Gespaltene Erkenntnisse zur Wasserstoffwirtschaft

Dies ist der Vollständige Artikel. Im SOLARZEITALTER 2-2022 erschien dieser Beitrag in gekürzter Fassung mit einer Einführung von Irm Scheer-Pontenagel

Von Dr. Ulf Bossel

Zwei Schulen für eine Physik

Kürzlich wurde meine kritische Analyse zur Wasserstoffwirtschaft so gedeutet, dass es wohl „zwei unterschiedliche Schulen“ gäbe. Die eine sei für und die andere gegen den Einsatz von Wasserstoff als universellen Energieträger der Zukunft. Meine erste Reaktion war der Hinweis auf die Gesetze der Physik. Wenn alles richtig bedacht wird, dann kann es nur eine Lösung geben, auch wenn in zwei Schulen über den Lösungsweg nachgedacht wird.

Nun jedoch nehme ich das Bild gerne auf, denn man kann die „zwei Schulen“ auch als aufeinander folgende Lernstufen betrachten. In der Grundschule wird das Basiswissen zur Wasserstoffwirtschaft mit bildlichen Darstellungen vermittelt. Einige Schüler vertiefen ihre Ausbildung später in Oberschulen, in denen die physikalischen Zusammenhänge einer Wasserstoffwirtschaft in Gleichungen gefasst werden. Die zwei Schulen sind also nicht parallel, sondern hintereinander angeordnet. Die in der Grundschule vermittelten Phänomene werden in der Oberschule ergänzt und auf wissenschaftlicher Basis gefestigt. Diese Vertiefung des Wissens wird jedoch nur wenigen zuteil. Deshalb verläuft die Diskussion über das Thema Wasserstoff auf zwei Informationsebenen. Das könnte der Grund sein für den Streit über Sinn und Unsinn einer Wasserstoffwirtschaft. Die einen kennen nur die Phänomene und erkennen eine machbare Zukunft. Die anderen kennen auch die Physik und können nachweisen, dass die Energiewende kaum möglich ist, wenn man die grüne Primärenergie mit dem künstlich erzeugten Energieträger Wasserstoff verteilt, anstatt den grünen Primärstrom direkt über bestehende Leitung dem Endverbraucher zuzuführen. Beides ist machbar, aber macht beides auch Sinn? Es besteht Klärungsbedarf.

Grundschule für Wasserstoff: Phänomene

In der Grundschule wird die Wasserstoffwirtschaft bildlich dargestellt. Die Schautafeln zeigen Windkraftanlagen, die über Hochspannungsleitungen mit einem Elektrolyseur am Ortsrand verbunden sind. Von dort führen Rohrleitungen zu anderen Gebäuden, in denen der Wasserstoff zum Heizen, Kochen und zur Stromerzeugung mit Brennstoffzellen eingesetzt wird. Eine weitere Leitung führt zu einer Tankstelle. Dort wird gerade ein Fahrzeug mit Wasserstoff betankt. Alles ist machbar, bekannt und bereits verfügbar. Das einleuchtende Bild verspricht eine Zukunft mit Wasserstoff. Die Zeit scheint reif zu sein für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Der Staat soll die Entwicklung bitte grosszügig unterstützen, denn nur so kann die Zukunft der Menschheit gesichert werden.

Bei dieser qualitativen Betrachtung wird Wasserstoff wie jedes andere Gas behandelt. Es kann verdichtet und verflüssigt werden. Wasserstoff ist das häufigste Element, das bei uns allerdings nur  in chemischer Bindung vorkommt. Wasserstoff gewinnt man am einfachsten durch Spaltung von Wasser mit grünem Strom. Danach kann der Wasserstoff wie Erdgas mit Tanklastwagen, durch Rohrleitungen oder mit Tankschiffen transportiert werden.  Man kann mit Wasserstoff bestehende Kessel beheizen. Mit Brennstoffzellen lässt sich Wasserstoff auch wieder in Strom verwandeln. Sogar Autos lassen sich mit Wasserstoff betreiben. Der im Sommer mit überschüssigem Grünstrom produzierte Wasserstoff soll für den Winter gespeicherte werden.

Aus solchen vereinfachten Darstellungen der physikalischen Abläufe wird geschlossen, dass eine Wasserstoffwirtschaft nicht nur machbar, sondern auch der Schlüssel zum Erfolg der Energiewende ist.  Leider folgt die Politik dieser einfachen Denkweise ohne kritische Prüfung der physikalischen Zusammenhänge und betrachtet den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft als Voraussetzung für die Gestaltung der Energiezukunft. Mehr noch, das Energiegas soll in den sonnenreichen Wüsten von Namibia, Australien mit Solarstrom, oder in Kanada mit Windstrom erzeugt und dann per Schiff nach Europa transportiert werden, um russisches Problemgas zu ersetzen. In der Grundschule wird dieses Wissen qualitativ dargestellt. Alles ist machbar, verfügbar und erprobt. Die Bilder überzeugen. Die physikalischen Zusammenhänge werden auf diesem Bildungsniveau jedoch noch nicht behandelt. Leider orientiert sich die Politik an dieser qualitativen Darstellung der Wasserstoffzukunft.

Oberschule für Wasserstoff: Physik und Chemie

Mit den qualitativen Betrachtungen der Grundschule lässt sich die Energiezukunft nicht gestalten, denn die Physik liefert die Basis für Entscheidungen im Energiebereich. In der Oberschule werden Schaubilder durch physikalische Erkenntnisse ersetzt. Alle Schritte und Verknüpfungen einer Wasserstoffwirtschaft werden mit Gleichungen erfasst. Für die Gestaltung der Energiezukunft wird der energetische Weg „von der Wiege bis zur Bahre“ nachvollziehbar beschrieben. Die Energiezukunft gehört dem effizientesten Weg vom Grünstrom zur Energiedienstleistung.  

Ziel der Energiewende ist die nachhaltige Energieversorgung mit sauberer Energie aus erneuerbaren Quellen. Mit Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse muss die Energieversorgung langfristig gestaltet werden. Das ist die zu lösende Aufgabe. Sie bedarf einer umfassenden Energieanalyse aller Wandlungsprozesse zwischen grüner Primärenergie und Energienutzung. Für den grünen Primärstrom führte der einfachste Weg über das bestehende Stromnetz, das sicherlich hier und da ertüchtigt werden muss. Im Endbereich der Stromnutzung werden Heizkessel durch Wärmepumpen und Verbrennungsmotoren durch Elektroantriebe ersetzt. Fossil oder nuklear befeuerte thermische Kraftwerke werden nicht mehr benötigt. Der direkte Weg vom grünen Primärstrom zur Stromnutzung ist mit wenigen, aber effizienten physikalischen Umformungen verbunden, also ohne verlustreiche elektrochemische Energiewandlungen. Dieser Weg führt zu einer hocheffizienten „Elektronenwirtschaft“, also zu einem vom Grünstrom dominierten Energiesystem.

Die Befürworter einer „Wasserstoffwirtschaft“ möchten das künstlich aus Grünstrom erzeugte Energiegas jedoch zur Leitwährung eines neuen Energiesystems machen. Der mit grünem Primärstrom erzeugte Wasserstoff wird als Sekundärenergie an die Verbraucher geleitet und dort zur Wärmeerzeugung verheizt oder in einem zweiten elektrochemischen Prozess mit Brennstoffzellen wieder in Strom verwandelt, mit dem man Elektrogeräte versorgen oder Fahrzeuge antreiben kann. Bei der Wasserstoffkette ist die Elektrolyse als erste verlustreiche Energiewandlung unbedingt notwendig. Mit der Rückwandlung von Wasserstoff in elektrischen Strom mit Brennstoffzellen oder Verbrennungsmotoren kommt ein zweiter verlustreicher Wandlungsschritt hinzu. Der energetische Wasserstoffweg wird durch diese verlustreichen Umformungen stark belastet.

Im Jahr 2002 habe ich eine vollständige Analyse der energetischen Zusammenhänge einer Wasserstoffwirtschaft unter dem Titel „The Future of the Hydrogen Economy: Bright or Bleak?“ vorgelegt. Diese ist 2006 im Auftrag des Karlsruher Instituts für Technologiefolgeabschätzungen in Deutsch mit dem Titel „Wasserstoff löst keine Energieprobleme“ veröffentlicht worden und steht seit 2010 im Netz [1]. Zu vergleichbaren Erkenntnissen kommt auch Klaus Maier [2]. In diesen Arbeiten werden die energetischen Merkmale aller wesentlichen Schritte einer Wasserstoffwirtschaft auf der Basis bekannter Gesetzmässigkeiten der Thermodynamik und Strömungsmechanik wissenschaftlich erfasst, also Energiebedarf und Energieverluste für Wasseraufbereitung, Elektrolyse, Kompression, Verflüssigung, Transport, Umfüllung und Speicherung. Für  unterschiedliche Wandlungsketten wird ermittelt, wie viel Grünstrom eingesetzt werden muss, um im Endbereich die gewünschte Nutzung zu erzielen. Der gesamte Energieaufwand der Wasserstoffketten vom Windrad zur Raumwärme oder vom Solardach zum Elektroauto wird mit der direkten Nutzung des Grünstroms verglichen, der über bestehende Netze verteilt wird und für fast alle Energiedienstleistungen im Endbereich eingesetzt werden kann.

Dieser Energievergleich basiert nicht auf der häufig verwendeten Multiplikation von Wirkungsgraden, denn solche Aufrechnungen sind nur für Verfahren zulässig, die mit dem gleichen Medium, aber unterschiedlichen technischen Geräten durchgeführt werden. Beispielsweise wird mit demselben Kompressor und bei gleichem Wirkungsgrad für die Verdichtung von Wasserstoff achtmal mehr Energie benötigt als für die gleiche Verdichtung von Erdgas. Der Energieaufwand ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen Molekularmasse und nicht aufgrund der Gestaltung des Verdichters. Der tatsächliche Energieaufwand bleibt bei der Multiplikation von Wirkungsraden oft unberücksichtigt.  

Die wesentlichen Merkmale einer Wasserstoffwirtschaft werden nun als Lektionen der Oberschule Wasserstoff dargestellt.

1. Lektion: Wasserstoff ist nicht Erdgas

Das Organigramm der Wasserstoffwirtschaft ist bereits in der Grundschule präsentiert worden. Wasserstoff hat man vereinfacht als „Gas“ dargestellt. Man orientiert sich am Erdgas, das heute über Rohrleitungen verteilt und vielfältig genutzt wird. Für alle Gase gelten die gleichen Gesetze. Wegen der unterschiedlichen Eigenschaften von Wasserstoff und Erdgas erhält man jedoch ganz andere Ergebnisse. Darüber muss in der ersten Lektion der Oberschule gesprochen werden.

Bekanntlich ist Wasserstoff wesentlich leichter als Erdgas oder Methan. Die molekulare Masse von Wasserstoff beträgt 2, die von Methan 16. Deshalb wird für die Verdichtung auf einen bestimmten Druck für Wasserstoff 8-mal mehr Energie benötigt als für Erdgas. Auch kann man in einem gegebenen Behälter bei gleichem Druck gewichtsmässig achtmal mehr Erdgas als Wasserstoff speichern. Dies ist auch für den Gastransport wichtig. Gleich ob zu Land oder zu Wasser, für den Energietransport mit Wasserstoff müssen grössere Transportvolumina eingesetzt werden. Der höhere gravimetrische Energieinhalt von Wasserstoff verringert das Volumenverhältnis von 8 auf 3,1.

Für den Seetransport wird Erdgas bei minus 110°C verflüssigt. Für die Verflüssigung werden etwa 11% des Energieinhalts des transportierten Erdgases benötigt. Das lässt sich wirtschaftlich verkraften. Wasserstoff muss jedoch in einem komplexen Mehrstufenprozess zur Verflüssigung auf minus 253°C oder 20°K abgekühlt werden. Dafür benötigt man etwa 45% des Energieinhalts der verflüssigten Wasserstoffmenge. Auch ist der Transport von flüssigem Wasserstoff mit erheblichen Abdampfverlusten verbunden. Beim Seetransport wird der verdampfende Wasserstoff für den Schiffsantrieb eingesetzt und steht nicht mehr für die Nutzung im Ankunftsland zur Verfügung.

2. Lektion: Wasserbedarf

Für die Herstellung von einem Kilogramm Wasserstoff werden neun Kilogramm oder neun Liter sauberes Wasser benötigt. Für Deutschland wird für 2050 ein Wasserstoffbedarf von 400 bis 800 TWh [3] prognostiziert. Bei einem Brennwert von etwa 40 kWh/kg müssten also 10 bis 20 x 109 kg Wasserstoff pro Jahr produziert werden. Dafür werden mindestens 90 bis 180 x 106 m3 Wasser benötigt. Der Wasserverbrauch der Stadt Frankfurt liegt bei 50 x 106 m3 pro Jahr. In Deutschland ist eine zuverlässige Wasserbeschaffung kaum machbar. Sie dürfte in sonnenreichen Wüstenregionen noch schwieriger sein. Meerwasser muss mit einem Energieaufwand von etwa 5 kWh/m3 geförderte und entsalzt werden. Das Wasserproblem ist bisher noch nicht ernsthaft thematisiert worden, obgleich es eigentlich am Anfang der Wasserstoffdiskussion stehen sollte.

3. Lektion: Wasserstofferzeugung 

Erdgas ist ein natürlicher Energieträger, der nach der Förderung nur gereinigt werden muss und dann als Primärenergie auf dem Markt erscheint. Der Sekundärenergieträger Wasserstoff muss jedoch mit Hilfe von Primärstrom durch die elektrolytische Wasserspaltung künstlich erzeugt werden. Nur etwa 60% der zugeführten elektrischen Energie werden an den Wasserstoff übertragen. Die Verlustwärme kann man nur selten nutzen. In Wüstenregionen besteht kaum Bedarf für die lauwarme Abluft.

Immer wieder wird die Wasserstofferzeugung mit überschüssigem Windstrom gefordert. Die etwa 30‘000 deutschen Windkraftanlagen haben 2021 etwa 122 TWh Strom geliefert. Gleichzeitig konnten 5.4 TWh, also 4.4% nicht eingespeist werden. Für die relativ geringen, aber stark schwankenden Stromüberschüsse sind Investitionen zur H2-Erzeugung betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. 

4. Lektion: Wasserstofftransport

Das Wasserstoffgas wird nach der Elektrolyse durch Kompression oder Verflüssigung transportfähig gemacht. Für die erste Kompressionsstufe auf 250 bar werden etwa 15% des Energieinhalts des Wasserstoffs benötigt. Für den Einsatz im Strassenverkehr muss der Wasserstoff weiter auf 900 bar verdichtet werden. Die gesamte Kompressionsenergie erhöht sich auf etwa 23% der getankten Energiemenge.  Für Erdgas wären es bei gleichem Druck lediglich etwa 2 und 3%. Für die Verflüssigung von Wasserstoff werden etwa 45%, für Erdgas aber nur etwa 11% des Energieinhalts (Brennwert) benötigt.

Wasserstoff kann unter Druck zu Land, zu Wasser und durch Rohrleitungen transportiert werden. Für den Gastransport wird Wasserstoff in der Regel auf 250 bar verdichtet. Die Speicherung in grösseren Tanks oder Kavernen erfolgt jedoch bei geringerem Druck. Wegen der kleinen spezifischen Masse ist das Gewichtsverhältnis von Wasserstoff zu Tankgewicht sehr schlecht. Die Transportfahrzeuge für Druckwasserstoff (40-Tonnen „Tube Trailer“) sind mit sechs rohrförmigen Behältern ausgestattet. Bei einem Innendruck von 200 bar sind jedoch lediglich etwa 500 kg Wasserstoff geladen. Fünfzehn solcher 40-Tonnen-Tanker müssen unterwegs sein, um die gleiche Energiemenge zu transportieren, die mit einem einzigen 30 Tonnen-Benzintankwagen geliefert wird. Mit Fiberglastanks ausgestatte Wasserstoff-Tanklastwagen transportieren etwa 700 kg Wasserstoff. Das bessere Nutzlastverhältnis verringert die Fahrzeugzahl auf etwa zwölf. Aber auch für diese Fahrzeuge bleibt der Kraftstoffverbrauch erheblich, weil ein geleertes Tankfahrzeug die Rückfahrt mit nahezu unverändertem Gewicht bestreiten muss. Bei einer Lieferdistanz von 200 km werden für Hin- und Rückweg etwa 14% des Energieinhalts des gelieferten Wasserstoffs für den Transsport benötigt.

Für den Seetransport ergeben sich noch schlechtere Zahlen. Das weltgrösste Tankschiff, die Mozah, kann in ihren 260‘000 m3 fassenden Tanks 120‘000 t Flüssiggas, aber nur 19‘000 t Wasserstoff unterbringen. Für den gleichen Energietransport muss sie mit Wasserstoff dreimal fahren.  Wegen der tieferen Temperatur des verflüssigten Wasserstoffs ist der Einsatz von LNG-Tankern jedoch nicht ohne wesentliche Änderungen möglich. Das erste LH2-Tankschiff „Suiso Frontier“ hat kürzlich 90 t flüssigen Wasserstoff von Australien nach Japan transportiert. Über Lieferkosten ist nichts bekannt. Der Seetransport von Wasserstoff von Australien, Namibia, Katar oder Kanada nach Deutschland wird aller Voraussicht nach zu einem wirtschaftlichen Debakel.

Auch der Wasserstofftransport in bestehenden oder neuen Pipelines ist nicht so trivial wie in der Grundschule dargestellt. Beim Einsatz bestehender Erdgas-Leitungsnetze sind technische Probleme zu erwarten. Die Umstellung auf 100% Wasserstoff wird Jahre in Anspruch nehmen. Während der Übergangszeit wird man Wasserstoff dem Erdgas in zunehmenden Mengen beimischen. Das Gemisch kann jedoch nicht ohne vorherige Reformierung in Wasserstoff-Brennstoffzellen eingesetzt werden. Auch müssen die Düsen von Gasbrennern ausgetauscht werden. Die Wasserstoffwirtschaft muss mit einem neuen Gasnetz aufgebaut werden.  

Markante Unterschiede ergeben sich für den Energietransport in Pipelines. Bei gleichem Druck beträgt der volumenbezogene Energieinhalt von Wasserstoff nur 32% des Wertes für Erdgas. Bei gleichem Energietransport in vorhandenen Erdgasleitungen muss Wasserstoff also schneller fliessen, was zu höheren Strömungsverlusten führt. Ein Teil der eingespeisten Gasmenge wird für den Antrieb der im Abstand von etwa 300 km installierten Verdichter eingesetzt. Bei einem Transportweg von 5‘000 km würde nur noch ein Drittel des eingespeisten Wasserstoffs das Ziel erreichen.

Auch ist Wasserstoff das einzige Gas, das sich im normalen Temperaturbereich bei der Expansion erhitzt und nicht wie alle anderen Gase abkühlt. Nach der Füllung mit 900 bar ist der getankte Wasserstoff heiss im Tank. Bei einem plötzlichen Leck kann die starke Entspannung des Gases zur Selbstentzündung führen. 

5. Lektion: Synthetische Kohlenwasserstoffe

Man möchte die für fossile Brennstoffe entwickelten Motoren, Turbinen, Heizkessel und Kraftwerke auch in Zukunft weiter betreiben. Dafür sollen die heute gebräuchlichen Kraftstoffe künstlich aus grünem Wasserstoff und CO2 hergestellt werden. Das benötigte Kohlendioxid wird der Luft entnommen. Für die chemische Vereinigung beider Gase zu gasförmigen oder flüssigen Brennstoffen wird ebenfalls Energie benötigt. Vom grünen Primärstrom können nur noch wenige Prozent genutzt werden. Nur für den Langstreckenverkehr zu Luft und zu Wasser werden auch in Zukunft flüssige synthetische Kraftstoffe verlangt. Für den täglichen Bedarf können diese jedoch kaum mit direkt geliefertem Strom konkurrieren. Auch hier verleiten die in der Grundschule präsentierten Möglichkeiten zu falschen Hoffnungen.

6. Lektion: Stromspeicherung

Energiespeicherung ist schon immer ein Problem gewesen, angefangen vom Brennholz für den Winter über Kohlebunker und Öltanks im Keller. Mit der Elektrifizierung ist die Speicherung von Nachtstrom als Nutzwärme in Boilern und Speicherheizungen hinzugekommen, um thermische Kraftwerke mit gleicher Auslastung rund um die Uhr betreiben zu können. Mit Pumpspeichern lässt sich Strom über längere Zeiträume konservieren.

Die Stromspeicherung ist eine organisatorische Massnahme. Ein schwankendes Angebot wird an den in anderem Rhythmus schwankenden Bedarf angepasst. Statt mit viel Aufwand den Stromüberschuss im Sommer mit Wasserstoff für den Winter zu speichern, sollte man die Stromnutzung an das  Grünstromangebot anpassen, um den Speicherbedarf auf das Machbare zu reduzieren.

Der Sonnenlauf führt zu Stromüberschüssen am Tag. Bestehende Nachtstromspeicher sollten in Zukunft nicht mehr nachts, sondern immer dann geladen werden, wenn überschüssiger Solar- oder Windstrom verfügbar ist. Dem Stromangebot folgend werden die Ladezeiten so vom Stromlieferer bestimmt. Das Gleiche gilt auch für die Batterieladung von Elektromobilen. Nicht mit Nachtstrom, sondern tagsüber am Arbeitsplatz, wenn das Auto ohnehin nicht gefahren wird. Mit Massnahmen dieser Art lassen sich kurzfristige Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage glätten.

Für die saisonale Energiespeicherung sollte man zuerst einmal die energetische Nutzung von Biomasse sinnvoller gestalten. Brennholz kann zusammen mit Restholz aller Art für den winterlichen Wärmebedarf gelagert werden. Das Gleiche gilt auch für Biogas, das im Sommer mit der Vergärung von Grünschnitt besonders stark anfällt. Man sollte das erzeugte Gas nicht sofort zur Stromerzeugung einsetzen, sondern für den Winter speichern. Es macht keinen Sinn, im Sommer Biostrom einzuspeisen, wenn das Stromnetz bereits mit Solarstrom ausgelastet ist, um dann mit dem überschüssigen Strom Wasserstoff für die Winternutzung herzustellen. Die saisonale Speicherung von Biomethan ist wegen des höheren Energieinhalts und der einfacheren Handhabung wesentlich sinnvoller als die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff mit überschüssigem Sommerstrom.

Erst wenn diese und andere organisatorische Massnahmen zur Glättung von Angebot und Nachfrage verwirklicht sind, wird man erkennen, wie gering der Speicherbedarf für Wasserstoff ist. Bevor man die saisonale Speicherung mit Wasserstoff aufbaut, sollte man den Energiebedarf im Winter durch organisatorische und energiesparende Massnahmen reduzieren.

7. Lektion: Energiebilanzen

Der beste Weg zur nachhaltigen Gestaltung der Energieversorgung hat die beste Energiebilanz. Alle Wandlungsschritte und Energieverluste müssen „von der Wiege bis zur Bahre“ berücksichtigt werden. Ausgehend vom grünen Strom führen zwei Wege zur Energiedienstleitung: die direkte Stromverteilung des Primärenergieträgers mit Kupferleitungen und die Energielieferung mit dem Sekundärenergieträger Wasserstoff.

Für die direkte Verteilung des Grünstroms sind neben elektrischen Leitungsverlusten nur geringe Umwandlungsverluste zu berücksichtigen. Bei Elektrofahrzeugen sind die Be- und Entladung von Batterien, Spannungswandlung und die Umrichtung von Gleich- in Wechselstrom mit vertretbaren elektrischen Verlusten verbunden.

Bei der Energielieferung mit Wasserstoff müssen wesentlich mehr verlustreiche Wandlungsschritte berücksichtigt werden. Grüner Strom wird für die Wasserbeschaffung und -aufbereitung benötigt. Dann folgt die energieintensive Elektrolyse. Der Wasserstoff muss danach durch Kompression oder Verflüssigung transportfähig gemacht werden. Energie wird für Transport und Umfüllung benötigt. Weitere Verdichtungen folgen für die Befüllung der Hochdrucktanks von BZ-Fahrzeugen. Die verlustreiche elektrochemische Wandlung in Brennstoffzellen erfolgt mit geförderter Luft. Wie bei Batterie-Fahrzeugen muss der Gleichstrom in hochfrequenten Wechselstrom umgewandelt werden.

Diese für den Fahrzeugantrieb beschriebenen Energieversorgungen verdeutlichen die Einfachheit der ganzelektrischen Lösung und die Komplexität der Wasserstoffkette. Ähnliche Analysen können für alle anderen Anwendungen für den Weg vom grünen Strom zur Energiedienstleistung erstellt werden. Sie führen alle zu vernichtenden Ergebnissen für Wasserstoff.

Mit dem Grünstrom, der für den Betrieb eines Brennstoffzellen-Fahrzeugs benötigt wird, kann man vier Batterie-Fahrzeuge gleicher Grösse betreiben. Oder mit dem Grünstrom, der für die Beheizung eines Gebäudes mit Heizkessel und Wasserstoff benötigt wird, könnte man drei gleiche Gebäude mit Grünstrom direkt und neun mit Wärmepumpen beheizen. Für die Stromlieferung einer mit Wasserstoff betriebenen Gasturbine wird mindesten viermal mehr Grünstrom benötigt als bei einer direkten Stromverteilung über das bestehende Netz. Wasserstoff ist nur in chemischen Prozessen sinnvoll, wenn er als Reduktionsmittel und nicht als Wärmequelle eingesetzt wird. Für Hochöfen sollte also gelten: elektrisch beheizen und Wasserstoff nur auf hohem Temperaturniveau für die Reduktion des Erzes verwenden. Beides mit Wasserstoff zu erledigen ist wegen des enormen Wasserstoffbedarfs keine sinnvolle Lösung.

8. Lektion: Energiekostenvergleich zwischen Wasserstoff und Direktstrom

Da für die indirekte Energielieferung mit Wasserstoff wesentlich mehr grüne Energie (und damit auch PV- oder WK-Anlagen) benötigt wird als für die direkte Verteilung von grünem Strom über existierende Leitungen, muss auch die vom Verbraucher zu zahlende Energie entsprechend teurer sein. Grüner Strom ist heute bereits unschlagbar günstig gegenüber Strom aus fossiler oder nuklearer Produktion. Hier geht es nicht um den Vergleich der zukünftigen mit der heutigen Energieversorgung, sondern um die Kosten der Energiedienstleistung, die mit direkt verteiltem Grünstrom oder indirekt mit geliefertem Wasserstoff Energie erbracht wird.  Aufgrund der physikalisch gegebenen Wandlungsschritte und der damit verbundenen Energievernichtung wird die mit Wasserstoff gelieferte Energie immer wesentlich teurer sein als Grünstrom aus der Steckdose. Man sollte mit dem Faktor vier rechnen, denn der Wasserstoffweg kann auch mit grossem Forschungsaufwand nicht wesentlich effizienter gestaltet werden.

Oft werden die Nutzerkosten für Wasserstoff mit denen für fossile Energieträger Heizöl und Erdgas verglichen.  Solche Vergleiche sind nicht zielführend. Nach der Klima- und Energiewende wird man vorwiegend Energie aus erneuerbaren Quellen ernten. Der Vergleich mit fossilen Energieformen hat dann nur noch historische Bedeutung. Was bleibt ist der Vergleich der beiden Lieferwege für Grünstrom. Energie fliesst am günstigsten zur Energiedienstleistung durch elektrische Leitungen. Die Energieversorgung mit Wasserstoff wird für immer eine Wunschvorstellung bleiben.

Mit dem weltweit rasant zunehmenden Aufbau von Solar- und Windkraftanlagen sind die  Anlagekosten so stark gesunken, dass die Erzeugungskosten für grünen Strom heute niedriger liegen als die für Strom aus fossil oder nuklear beheizten Kraftwerken. Leider wird immer noch behauptet, Energie aus erneuerbaren Quellen sei unbezahlbar. Diese Feststellung entspricht schon längst nicht mehr den Tatsachen. Heute rentieren Solar- und Windkraftanlagen auch ohne Förderung. Der im eigenen Land geerntete Grünstrom wird so billig sein, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit Energielieferungen aus fernen Wüstenregionen nicht weiter verfolgt wird. Für den gegenüber Grünstrom mindestens viermal teureren Wasserstoff fehlt der Markt. Voraussetzung für ein energetisches Schlaraffenland ist jedoch der Einsatz hochwertiger und langlebiger PV- und Windkraftanlagen, mit denen auch nach der Amortisationszeit noch Strom geerntet werden kann.

9. Lektion: Begleitende Massnahmen

Von den vielen Massnahmen, welche die Energiewende begleiten, soll hier nur eine wesentliche erörtert werden, die beim Wechsel zu einer strombasierten Energieversorgung von grosser Bedeutung ist: die energetische Sanierung von Gebäuden. Der Weg führt zur elektrischen Wärmepumpe. Da diese aber im Winter betrieben werden, wird der Austausch von Heizkesseln durch Wärmepumpen gleicher Nennleistung unweigerlich zu einer Strommangellage in der kalten Jahreszeit führen. Gebäude sollten deshalb zuerst energetisch saniert werden, bevor man für den stark verminderten Heizwärmebedarf kleine Wärmepumpe einbaut. Bessere Gebäudestandards und energiesparenden Massnahmen schaffen die Voraussetzungen für ein Gelingen der Energiewende,  gleich wie man es macht, mit Wasserstoff oder Elektronen.

10. Lektion: Veränderungen im Energiebereich

Die Energietechnik ist schon immer den Energiequellen gefolgt. Kohle führte zur Dampfmaschine, Erdöl zum Verbrennungsmotor und Erdgas zur Gasturbine. Bei der Gebäudeheizung wurden  Kohleöfen von mit Heizöl oder Erdgas befeuerten Kesseln abgelöst. Der Einsatz rotierender Maschinen zur Stromerzeugung veränderte die Welt. Nun steht eine weitere fundamentale Veränderung bevor. Die Zukunft muss mit Energie aus erneuerbaren Quellen gestaltet werden. Bereits heute liefern Sonne und Wind Strom zu günstigsten Preisen.

Strom wird also zur Leitwährung im Energiesystem. Mit gewissen Anpassungen des Leitungsnetzes wird Grünstrom als Primärenergie ins Netzt eingespeist und direkt zum Nutzer gelangen. Im Primärbereich des heutigen Energiesystems wird es jedoch zur Stilllegung von thermischen Kraftwerken kommen. Der verlustreich hergestellte Sekundärstrom wird durch grünen Primärstrom ersetzt. Die Energiewende wird in einer „Elektronenwirtschaft“ enden, bei der viel Grünstrom mehr oder weniger direkt „vom Hausdach in die Küche“ fliesst, also auf kürzestem  Weg mit den geringsten Leitungsverlusten zur Nutzung gelangt.

Diese Entwicklung folgt physikalischen Gesetzen. Wie oben angedeutet orientiert sich die Politik an den qualitativen Darstellungen der Grundschule und nicht an den hier vorgetragenen quantitativen Erkenntnissen der Oberschule. Die vertieften physikalischen Erkenntnisse werden nur von einer Minderheit bedacht. Man kann eine Wasserstoffwirtschaft nicht durch Mehrheitsbeschlüsse  erzwingen. Man sollte auch nicht den Versprechen von Vereinigungen folgen, deren Vereinszweck die Gestaltung einer Wasserstoffwirtschaft ist. Die Entwicklung wird der Physik folgend zu einer Elektronenwirtschaft führen.

11. Lektion: Erkenntnisse

Alle in der Oberschule für Wasserstoff gewonnenen Erkenntnisse belegen, dass sich Wasserstoff aus physikalischen Gründen nie als universeller Energieträger etablieren kann, denn er steht immer im Wettstreit mit seiner eigenen Existenzgrundlage, dem grünen Strom. Die hohen Energieverluste der elektrochemischen Wandlungen und der hohe Energiebedarf für den Betrieb machen die Wasserstoffwirtschaft ungeeignet für die Umsetzung der Energiewende. Die Ineffizienz der Wasserstoffkette ist physikalisch bedingt und lässt sich auch mit viel Aufwand kaum verbessern. Es bleibt ein Verlustfaktor vier gegenüber der direkten Grünstromerteilung über bestehende Stromnetze. Endkunden müssen nicht für den Aufbau viermal grössere Grünstrom-Anlagen zahlen, die am Anfang des Wasserstoffweges stehen. Mit Wasserstoff wird alles wesentlich teurer als mit Grünstrom aus der Steckdose. Aufgrund der physikalisch vorgegebenen Preisstruktur wird man für alle Energiedienstleistungen elektrische Lösungen finden. Eine auf Wasserstofftechnik aufbauende Energieversorgung kann sich nicht ohne massive staatliche Unterstützung entwickeln.

Wichtig erscheint vor allem, dass die Schaffung einer Wasserstoffwirtschaft nicht länger von oberster Stelle als notwendige Massnahme zur Verwirklichung der Energiewende angesehen und grosszügig unterstützt wird. Richtig wäre ein öffentliches Eingeständnis, dass man nach gründlicher Prüfung der physikalischen Zusammenhänge zum Schluss gekommen ist, den spekulativen Wasserstoffweg zu beenden, da sich die Energiewende volkswirtschaftlich vertretbar nicht mit Wasserstoff verwirklichen lässt. Mit teuren Programmen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft tut sich der Staat keinen Gefallen.

Der Wähler wird die Aussichten auf eine günstige und saubere Energieversorgung mit Grünstrom aus heimischen Quellen unterstützen. Eine auf Energieimporten basierende Wasserstoffwirtschaft wird bereits heute skeptisch beurteilt. Es droht eine Entwicklung analog zum „Wettlauf zwischen Hase und Igel“ aus Grimms Märchenbuch. Immer wenn der Wasserstoff-Hase am Ziel zu sein glaubt, ist der Platz bereits vom elektrischen Igel (bzw. seiner Frau) besetzt. Das erleben wir gerade beim Strassenverkehr. Wasserstoff und Brennstoffzelle werden von elektrischen Lösungen von der Strasse  gefegt. Schlussendlich wird sich die „Elektronenwirtschaft“ durchsetzen. Die Politik sollte den physikalisch bedingten Wandel schnell erkennen und unterstützend begleiten.

Literaturverzeichnis

[1]          Ulf Bossel, Wasserstoff löst keine Energieprobleme
https://www.leibniz-institut.de/archiv/bossel_16_12_10.pdf

[2]          Klaus Maier, Gutachterliche Stellungnahme zum Hessischen Wasserstoffzukunftsgesetz

https://www.stromdaten.info/wp-content/uploads/2021/10/Maier_Gutachten_Hessen-Zukunft.pdf

[3]          Deutscher Bundestag, Ausarbeitung Wasserstoff  
https://www.bundestag.de/resource/blob/894040/0adb222a2cbc86a20d989627a15f4bd8/WD-5-024-22-pdf-data.pdf