Die Energiewende ist die zivilisatorische Herausforderung für die nächste Bundesregierung

Resolution der Mitgliederversammlung der deutschen Sektion von EUROSOLAR am 02. Dezember 2017 Die nächste Bundesregierung trägt die Verantwortung dafür, den energiepolitischen Schlingerkurs der letzten Jahre zu beenden und endlich klare, verlässliche und unbürokratische Rahmenbedingungen zu schaffen, und die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie muss dafür Sorge tragen, dass die Energieversorgung Deutschlands schnell, kostengünstig und vollständig auf 100 % Erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Dieser Wechsel ist technisch möglich, ökonomisch sinnvoll, gesellschaftlich geboten und mit einem reparierten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sowie einer Neuen Energiemarktordnung realisierbar.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen für eine Schwampel-Koalition ist die Regierungsbildung bis dato noch nicht abzusehen. Offensichtlich sind hingegen die Anforderungen an die zukünftige Energiepolitik als notwendige Basis für eine zukunftsfähige, nachhaltige, friedliche und gerechte Zukunft in Deutschland, Europa und der Welt.

Wir appellieren an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Parteien, sich fraktionsübergreifend und faktenorientiert für eine schnelle, kosteneffiziente und dezentrale Erneuerbare Energieversorgung als dem entscheidenden und wirtschaftlich erfolgreichen Instrument für den Klimaschutz einzusetzen. Ein solches Bekenntnis ist dringend geboten und durch eine Reihe notwendiger Sofortmaßnahmen zu flankieren.

Die letzten beiden Bundesregierungen haben die Energiewende zugunsten der Verlängerung der fossil-atomaren Geschäftsmodelle durch die Bürokratisierung, Deckelung und Deformation des EEGs massiv ausgebremst. Sie verantworten damit erheblichen Schaden und den Verlust zehntausender Arbeitsplätze einer bedeutenden zukunftsfähigen Branche und steigende Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft.

Angesichts der, durch das EEG erreichten, Technologie- und Preisentwicklung gehören die aufgeregten Kostendebatten der Vergangenheit an. Es ist jetzt Zeit für konsequentes Handeln. Windkraft und Photovoltaik produzieren Energie bereits hier und heute kostengünstiger als jedes neu gebaute Kohle- oder Atomkraftwerk. In Kombination mit Wasserkraft, Solarthermie, Geothermie, flexibler Bioenergie und dem Einsatz von Speichern und Power-to-X Technologien ist die Basis für eine sichere Versorgung mit Strom, Wärme und Mobilität mit 100 % Erneuerbaren Energien vorhanden. Unter Berücksichtigung der Folgekosten ist ein solches System auch als Ganzes heute schon kostengünstiger als der Status Quo. Dieser Erfolg ist dem EEG zu verdanken, dem erfolgreichsten wirtschafts- und entwicklungspolitischen Gesetz der Bundesrepublik.

Eine echte Energiewende meint einen schnellen, günstigen und dezentralen Umstieg auf Erneuerbare Energien innerhalb einer Generation. Je konsequenter der Umstieg vorangetrieben wird, umso kürzer und günstiger fällt die Übergangsphase aus, in der zwei unvereinbare Energiesysteme parallel betrieben werden müssen. Und umso geringer sind auch die Kosten für heutige Fehlinvestitionen in fossile und atomare Kapazitäten und deren Infrastruktur. Eine dezentrale Energiewende ist sinnvoll, weil sie durch die Beteiligung vieler Akteure im ganzen Land die Basis für eine emissionsarme und innovative Wirtschaft, für eine zukunftsfähige Mobilität, für eine dynamische Exportwirtschaft nachhaltiger Technologien und für eine gerechte Verteilung der Wertschöpfung und des Wohlstandes schafft. Global gesehen ist die Energiewende das einzig probate Mittel gegen die Klimakrise, verringert Konfliktursachen, fördert Entwicklung und mindert damit Fluchtursachen wirkungsvoll, wenn Lieferketten nachhaltig verantwortungsvoll gestaltet werden. Die Energiewende ist das ökonomische, soziale und gemeinwohlorientierte Projekt unserer Generation.

100 Prozent Erneuerbar als zivilisatorisches Projekt muss auch im globalen Maßstab die Antwort auf das Pariser Klimaabkommen sein. Die Verengung der Debatte auf die unbestreitbar notwendige CO2-Reduzierung birgt die Gefahr einer Renaissance der unwirtschaftlichen und unverantwortlichen Atomenergie oder der fossilen Energieträger durch die Förderung von Technologien wie CCS. Damit würde das für die Klimakrise verantwortliche fossil-atomare Industriemodell erhalten und überlebensfähig gemacht.

Der Ausstieg aus der Kohle kann ohne Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit vollzogen werden und muss jetzt eingeleitet werden. Dies ist notwendig, um die Klimaziele 2020 einzuhalten aber auch zur Dynamisierung der Energiewende, die durch die massiven und unflexiblen Überkapazitäten am Strommarkt behindert wird. Es kommt jetzt darauf an, den Strukturwandel nicht länger hinauszuzögern, sondern mit allen verfügbaren Mitteln, z.B. mit klarem Ordnungsrecht, umzusetzen. Die betroffenen Regionen sind bei einer sozialverträglichen Transformation zu unterstützen.

Wir lehnen die Pläne für die Einführung einer CO2-Steuer als Ersatz für das EEG ab. Eine CO2-Steuer unterliegt der Willkür wechselnder Regierungsmehrheiten und kann gekippt werden. Damit kann sie nicht die erhoffte Lenkungswirkung und nicht das notwendige Vertrauen der mittelständischen, kommunalen und genossenschaftlichen Marktteilnehmer für langfristige Investitionen schaffen. Stattdessen setzen wir uns für eine umfassende Schadstoffsteuer als Ergänzung zum EEG ein.

Das EEG ist und bleibt das entscheidende Werkzeug, um den Ausbau der Kapazitäten in der Fläche und unter breiter Beteiligung von Kommunen, Stadtwerken, kleinen und mittelständischen Unternehmen und Bürgergesellschaften voranzutreiben. Um wieder seine volle Wirkung entfalten zu können, bedarf es allerdings einiger Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung seiner Funktionalität und zur Schaffung von Vertrauen für langfristige Energiewendeinvestitionen:

  • Die Ausbauziele im EEG müssen für Wind- und Solarenergie als Mindestziele definiert werden und auf einen Zubau von jeweils mindestens 5 GW pro Jahr, besser 7-8 GW, angehoben werden (Änderung § 1 Abs. 2 und § 4 EEG 2017).
  • Abschaffung des absoluten Solardeckels von 52 GWp installierter Leistung nach § 49 Abs. 5 EEG 2017.
  • Ausschreibungen als Mittel der Mengensteuer lehnen wir grundsätzlich ab. Als Sofortmaßnahme fordern wir wenigstens die Freistellung kleiner Windparks (bis 6 Anlagen à 3 MW) von Ausschreibungen durch die Ausschöpfung der De-Minimis-Regelung der EU-Kommission (Änderung § 22 Abs. 2 EEG 2017). Dies ist die wirkungsvollste Maßnahme, damit die Träger der Energiewende (Kommunen, Mittelstand, Stadtwerke und Bürgergenossenschaften) wieder aktiv werden können.
  • Technologieübergreifende Ausschreibungen, z.B. von Wind- und Solarenergie, abschaffen.
  • Abschaffung der künstlichen Verteuerung der Eigenversorgung durch die sog. „Sonnensteuer“ (§ 61 EEG 2017).
  • Garantierte Einspeisevergütung für alle PV-Anlagen.
  • Abschaffung der Ausbau-Deckel bei solarem Mieterstrom nach § 23b Abs. 3 und 4 EEG 2017 und Öffnung des Mieterstroms für Quartierskonzepte und weitere EE-Technologien (Änderung § 23b Abs. 1 und 2 EEG 2017).
  • Sicherstellung einer umfassenden Flexibilisierung der Biomassenutzung durch wirksame Anreize und Maßnahmen zur Ertüchtigung aller bestehenden Anlagen für eine flexible und lastabhängige Fahrweise (Änderung §§ 39f, 39g EEG 2017).

Darüber hinaus braucht es weitere Weichenstellungen und eine Neue Energiemarktordnung (NEMO), um die Konvergenz der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr durch Schaffung lokaler und regionaler Flexibilitätsmärkte und echter marktwirtschaftlicher Verhältnisse zu ermöglichen. Die Marktordnung muss dabei die Erneuerbaren Energien und deren besondere Eigenschaften ins Zentrum der zukünftigen Marktmechanismen stellen.

  • Gesetzlich geregelter und zügiger Kohleausstieg mit einem Neubauverbot von Kohlekraftwerken (Änderung Bundes-Immissionsschutzgesetz) und einem klaren Ausstiegszeitplan.
  • Abschaffung aller direkten und indirekten Subventionen für fossile und atomare Energieproduktion.
  • Schaffung dezentraler Flexibilitätsmärkte, die Anreize zur Speicherung oder Wandlung Erneuerbarer Energien für eine sichere Versorgung setzen. Maßgeblich ist dazu die Anpassung der Rahmenbedingungen für Energiespeicher sowie die Intensivierung von Forschung und Markteinführung bei Wandlungs- und Speichertechnologien.
  • Um Wärme und Verkehr effektiv in die Energiewende einzubeziehen, müssen die Steuern, Abgaben und Umlagen zwischen den einzelnen Märkten und Energieträgern harmonisiert und neu strukturiert werden.
  • Entsprechend dem Beispiel von Dänemark sollte das Sonnenhaus/Energie-plus-Haus als Neubaustandard implementiert und der Einsatz fossiler Wärme- und Kälteenergieträger verboten werden, ergänzt durch die Pflicht zum Einsatz von Erneuerbaren im Gebäudebestand.
  • Für die Verkehrswende bedarf es umgehend der Beendigung aller (in)direkten Subventionen für fossile Mobilität. Die Infrastrukturausgaben müssen in Zukunft die Verkehrswende zum Ziel haben und alle Verkehrsträger gleichmäßig berücksichtigen.
  • Unter Berücksichtigung vor allem dezentraler Versorgungsmuster muss die bestehende Netzausbauplanung auf nationaler und europäischer Ebene kritisch und unabhängig geprüft und revidiert werden.
  • Der Netzausbau, die Netzsteuerung und die Marktmodelle müssen dezentral von den unteren Netzebenen her gedacht werden. So können der überzogene und teure Ausbau der HGÜ-Trassen vermieden und intelligente Speicher-, Steuer- und Vermarktungsoptionen ermöglicht werden.

Das EEG wurde weltweit als Blaupause kopiert. Die Europäische Kommission ist jedoch mit ihrer einseitigen Fixierung auf europaweite technologieoffene Ausschreibungsmodelle und der Vision einer erneut zentralistisch gedachten Energieversorgung dabei, die Freiheitsgrade der Mitgliedsstaaten bei der Wahl der Mittel für die Energiewende massiv zu beschränken. Die unsachgemäße Fokussierung auf eine vermeintliche Kosteneffizienz als alleingültiges Kriterium muss ersetzt werden durch einen flexiblen, an der Vielfalt der erneuerbaren Ressourcen und Technologien und den jeweiligen regionalen Verhältnissen angepassten Werkzeugkasten für die Energiewende. Dafür sollte Deutschland seinen Einfluss in Europa nutzen, um die Fixierung auf Ausschreibungsmodelle abzuschaffen und allen Ländern der Europäischen Union eine dezentrale, dynamische und Werte schaffende Energiewende zu ermöglichen. So erfüllt Politik den Anspruch, flächendeckend gleichwertige Lebensverhältnisse durch lokale Wertschöpfung zu schaffen und eine dem Gemeinwohl verpflichtete Politik zu verwirklichen.

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