Die Vorschläge des Abschlussberichts wurden veröffentlicht. Es wird vor allem eines: Sehr teuer. Die Kohlekommission nennt einige, wenn auch nicht alle Zahlen. Bis zum endgültigen Ausstieg in knapp 20 Jahren, Ende des Jahres 2038, werden 26 Milliarden Euro für den Industrie-Umbau benötigt; die Strompreisentlastung 2023-2030 beläuft sich auf 14 Milliarden Euro. Zusätzliche Renten und Abfindungen für bestehende Arbeitsverhältnisse schlagen mit fünf Milliarden Euro zu Buche. Macht 45 Milliarden Euro. Darüber hinaus sollen die betroffenen Bundesländer 0,7 Milliarden Euro über 20 Jahre gestreckt vom Bund bekommen. Diese 14 Milliarden addiert sind wir bei 59 Milliarden Euro – sofern nicht jedes der sechs Kohleländer jährlich 0,7 Milliarden Euro bekommen soll. Das lässt der Berichtstext offen.
Hinzu kommt der von der Kohlekommission als verpflichtend erwähnte aber nicht bezifferte Zukauf von Emissionsrechten durch den Staat. Bei einem Fortschreiben des aktuellen Trends der Emissionsreduzierungserfolge, an dem der Kommissionsbericht nicht viel zu ändern gedenkt, kommen laut Agora Energiewende auf den deutschen Haushalt Kosten in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro zu. Hierzu sagt der Bericht nichts. Auch wenn wir nur von der Untergrenze von 30 Milliarden ausgehen, sind wir somit schon bei mindestens 89 Milliarden Euro angekommen. Die wegfallenden Kohlekraftwerke sollen überwiegend durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Ein modernes Gas- und Dampfturbinen (GuD)-Kraftwerk kostet 900 €/kW. Wenn nur die Hälfte der 41 Gigawatt (GW) zu ersetzender Kraftwerkskapazitäten als GuD-Kraftwerke gebaut werden, kommen leicht weitere 19 Milliarden Euro Baukosten hinzu, die überwiegend auf die Verbraucher-Strompreise umgelegt werden. Der Bericht empfiehlt, ab 2023 einen Ausgleich in Höhe von zwei Milliarden jährlich zu schaffen, der durch die beschleunigte Beendigung der Kohleverstromung in Unternehmen und Privathaushalten entsteht. Das macht – nur bis 2030 gerechnet – weitere 16 Milliarden Euro.
Allein für die Kohlereduktion um gut die Hälfte der bestehenden Kapazitäten bis 2030 wären wir damit in einem Best-Case-Scenario bei 124 Milliarden Euro angekommen. Der Bericht lässt die Frage offen, wer die Ewigkeits- und Renaturierungs-Kosten für die stillgelegten Kohle-Reviere übernehmen soll. Die voraussichtlichen Kosten, die durch Klima- und Gesundheitsschäden verursacht werden, wenn wir weitere zwei Jahrzehnte mit Kohleemissionen die Luft verschmutzen, wurden in dem Bericht ebenfalls nicht beziffert. Ebenso unbeziffert ist die Höhe der Prämien respektive Entschädigung für die Kraftwerksbetreiber für die Nicht-Fertigstellung von begonnenen Kraftwerksneubauten und den Verzicht auf das goldene Ende der alten Mühlen, die schon seit vielen Jahren abgeschrieben sind.
Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft von 2018 kommt zu dem Schluss, dass durch einen schnellen Kohleausstieg jährlich 27,9 Milliarden Euro Kosten vermieden werden können. Das ist der Benchmark der Kommission. Demnach kostet es die Gesellschaft rein rechnerisch 27,9 Milliarden für jedes Jahr, das wir später aussteigen.
Absage an den Klimaschutz
Die Paris-Ziele werden weder 2020 noch 2030 erreicht, wenn der Bericht so umgesetzt wird. Die Kohlekommission befürwortet im Jahr 2030 immer noch einen Bestand von 9 GW Braunkohle und 8 GW Steinkohle. Das ist vielleicht doppelt so viel wie laut dem Klimaschutzplan der Bundesregierung 2030 noch am Netz sein sollte. Im Abschlussbericht wird lapidar darauf verwiesen, dass auch die anderen Sektoren zeitnah ihre Beiträge leisten müssten. Die Energiewirtschaft habe ja bisher bereits den größten Anteil an der gesamten Emissionsminderung erbracht. Die Kommission hat nicht ausdrücklich empfohlen, alte Kraftwerke mit enorm hohen Emissionen vor neuen, hocheffizienten Kraftwerken mit wesentlich weniger Emissionen vom Netz zu nehmen. Eine Emissions-Obergrenze ist nicht vorgesehen.
Fürs Klima kommt es noch schlimmer: Die wegfallenden Kohlekraftwerke sollen vor allem durch Gas-Kraftwerke an den vorhandenen Standorten ersetzt werden. Die weltweite Klimabilanz dürfte sich dadurch verschlechtern. Gas ist das reine Gift. In der Gesamtemissionsbilanz vom Bohrloch über den Transport bis zur Verbrennung ist der Klima-Rucksack von Erdgas größer als der von Kohle. Das Geld für neue Gaskraftwerke sollte besser in emissionsfreie Erneuerbare Energien-Anlagen investiert werden.
Die deutsche Bevölkerung soll demzufolge neben durch Kohleverbrennung verursachte CO2-Emissionen auch weitere 20 Jahre den in Deutschland überproportional hohen Anteilen an Quecksilber und Stickstoffoxiden aus Kohlekraftwerken ausgesetzt bleiben, deren Reduzierung Berlin in Brüssel blockiert. Das kostet weiterhin tausenden (!) Menschen in Deutschland jedes Jahr Gesundheitseinbußen und Lebensjahre.
Ein Wechsel hin zu einem dezentralen System Erneuerbarer Energien, das weder Gas-Großkraftwerke noch den Ausbau neuer Übertragungsleitungen im großen Stil erfordert, scheint nicht gewollt. Das EEG ist inzwischen zu einer riesigen Ausschreibungsverordnung mit der Beschreibung von Ausnahmen verkommen. Mit Bürgern, Kommunen und Unternehmern, die Solarstrom selbst erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen und damit zu einem zentralen Baustein des modernen Stromsektors werden, hat sich die Kommission nicht weiter befasst. Konsequenterweise spielt auch eine Unterstützung von Bürgerinitiativen, Genossenschaften oder kleinen Stadtwerken keine Rolle. Obwohl eben diese bisher die mit Abstand größten Treiber der Energiewende waren. Die vielen Industriebefreiungen für die Fossilen sollen beibehalten werden, während es auf der anderen Seite bei den bestehenden Hemmnissen und Deckeln für den Ausbau Erneuerbarer Energien bleiben soll.
Energiewende weiter ausgebremst
Deutschland ist jetzt schon vom weltweiten Marktführer in der Photovoltaik auf Platz 4 abgerutscht. Anstatt umzusteuern, wird eine träge, nicht zukunftsfähige Kohlewirtschaft mit direkten und indirekten Subventionen marktwirtschaftswidrig am Leben gehalten und sogar belohnt. Durch den Bericht der Kohlekommission stieg der RWE Monats-Schlusskurs im Januar 2019 um fast 13 Prozent. Die einst blühende deutsche Solarindustrie hat ausgeblüht.
Die Übertragungsleitungen sollen weitere Jahre mit Kohlestrom verstopft bleiben. Die Kohle-Kommission hat sogar die Stirn, darauf hinzuweisen, dass von den von der Bundesregierung geplanten 7.700 Kilometer neuer Übertragungsleitungen erst 950 Kilometer gebaut seien. Wer in Konzern-Systemkategorien denkt, sieht nur in Nischen Raum für dezentrale Erneuerbare Energien auf Hausdächern nah am Verbrauch.
Der Abschlussbericht der Kohlekommission ist eine unverbindliche Empfehlung für einen Strukturwandel in den betroffenen Kohlegebieten und bindet niemanden. Die Kommissionsmitglieder waren nicht demokratisch legitimiert. Sie erwarten jetzt sofort ein Mega-Gesetzespaket, das sie selbst mit dem Berlin-Bonn-Gesetz vergleichen. Obwohl noch viele Punkte offen sind und die Kommission selbst der Bundesregierung empfiehlt, zum Beispiel über Entschädigungen für entgangenen Gewinn erst mal ein Jahr lang mit den Kohlekraftwerks-Eigentümern zu verhandeln.
Bleibt zu hoffen, dass der Deutsche Bundestag seine Verantwortung für die Zukunft des ganzen Landes wahrnimmt und nicht nur für eine privilegierte Minderheit von Unternehmen zu Lasten aller anderen und der Umwelt und den Empfehlungen der Kohlekommission nicht folgt.
Eigentlich könnte es ganz einfach sein:
1. Alle Beschäftigten werden extrem großzügig abgefunden, beispielsweise mit bis zu 30.000 Euro pro Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit. Dafür können statt der bisher vorgesehenen fünf Milliarden auch 20 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das hört sich teuer an, ist aber nur ein einmaliger Betrag. Vor allem aber kann niemand mehr den gebeutelten Arbeiter vorschützen, wenn es in Wahrheit nur um Konzerngewinne geht.
2. Mit einem beschleunigten Herunterfahren der meist über 30 Jahre alten Kohleindustrieanlagen und dem gleichzeitigen radikalen Hochfahren des Ausbaus von Photovoltaik und Windparks, insbesondere auf den frei werdenden Flächen, wäre ein Konversionsprogramm möglich, das nur einen Bruchteil der von der Kommission veranschlagten Gelder kostet und schnell der Umwelt hilft.
3. Die von der Kommission vorgeschlagenen Infrastrukturmaßnahmen und Geschäftsmodelle geben meist Sinn und können parallel angegangen werden.
Derzeit sind Kohlekraftwerke mit einer Leistung (netto) von insgesamt 41 Gigawatt (GW) aktiv, davon 19 GW Braunkohle und 22 GW Steinkohle. Im deutschen Rekordjahr 2012, bevor die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren eindämmte, betrug der Zubau allein bei der Photovoltaik 8,3 GW. Wenn Deutschland also lediglich zu bereits geleisteten Solarausbauzahlen zurückfindet, können sämtliche bestehenden Kohlekraftwerke innerhalb der nächsten fünf Jahre ersetzt werden. Der Neubau von größeren Erneuerbare Energien-Anlagen ist jetzt schon billiger als der Weiterbetrieb der Kohlemeiler. Von Greenpeace bis hin zu einem Konsortium aus Vattenfall, BayWa und anderen stehen Investoren bereit, die auf den bergbaulich genutzten Flächen, inklusive Netzanschluss und genügend Fachkräften in der Region, einen Mix aus Photovoltaik-, Wind- und Hybrid-Kraftwerken mit Speichern bauen würden. Mit privatem Kapital und ohne jegliche staatliche Förderung. Beteiligt man auch die Anwohner und lokalen Gemeinden an dem Ausbau, könnten die Reviere einen erfreulichen lokalen Aufschwung erfahren. Ebenso wie das vielen abgehängten Dörfern in industriefernen Regionen gelungen ist, die dank ihres Engagements für dezentrale Erneuerbare Energien bei sich zuhause Unternehmen, Jobs und Gewerbesteuer-Einnahmen schaffen konnten. Der Haken an der Geschichte ist, dass die großen Stromkonzerne zukünftig auf exorbitante Gewinne verzichten müssten, was die Lobbyisten im Bundestag zu verhindern wissen.
Klimawandel wartet nicht
20.000 Arbeitsplätze gibt es noch in den deutschen Braunkohle-Revieren, inklusive derer, die mit der Rekultivierung ehemaliger Braunkohle-Reviere befasst sind. Das entspricht zwei Prozent aller lokalen Arbeitsplätze in der Lausitz, 1,2 Prozent am Rhein und unter 0,3 Prozent in den anderen Revieren. In der Steinkohle-Verbrennung gibt es noch knapp 6.000 Beschäftigte. Die Bezahlung in der Branche ist überdurchschnittlich, ebenso die Qualifikationen, insbesondere im MINT-Bereich. Es bestehen somit gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Freiwerdende Stellen sollen allerdings kontinuierlich nachbesetzt werden, so steht es im Abschlussbericht.
Dass der Klimawandel keine Rücksicht auf die Wünsche der Old Industry nimmt, hat die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ nicht thematisiert. Ebenso wenig, welche anderen staatlichen Aufgaben, deren Abwrackparty die nächsten Jahrzehnte gefeiert wird, weit bis nach Ablauf der Amtszeit aller gegenwärtigen Akteure, finanziert werden sollen.“
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