Weißbuch Regeneratives Europa 2018 für ein Europa 100% dezentraler erneuerbarer Energien

Elemente einer Neuen Energiemarktrahmenverordnung
EUROSOLAR-Positionen 1988-2018, erweitert für 2018-2028 für das Symposium  “Ein Europa der
Erneuerbaren Energien“ anlässlich des 30-jährigen Bestehens von EUROSOLAR am 27. September 2018 in Berlin


Energiewende als Friedensprojekt – Große Versprechungen, langsamer Fortschritt
EUROSOLAR wurde 1988 gegründet, um das Solarzeitalter in Europa und der Welt einzuläuten und um die Bedingungen für Volkswirtschaften und Gesellschaften zu schaffen, die ohne fossile und nukleare Energien gedeihen. Obwohl die drei Jahrzehnte seitdem eine Zeit außerordentlicher Fortschritte in der Welt der Erneuerbaren Energien waren, wurde zu viel Lippenbekenntnis abgelegt, während Kampagnen der dominierenden etablierten Industrien – fossilen wie atomaren – dazu beitrugen, den Fortschritt zu verlangsamen und teilweise gar umzukehren. Bedauernswerte Verzögerungen, die durch mangelhafte Emissionspreisgestaltung, Handels- und Klimaschutzmaßnahmen noch verschärft wurden, führten dazu, dass die Klimabilanz des Planeten ebenso vorhersehbar wie gefährlich zu kippen begann.

Heute sind wir in einer Zeit angelangt, in der die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre exponentiell steigt. Hier ist die negative Kohlenstoffwirtschaft – eine „klimapositive“ Wirtschaft, die mehr atmosphärischen Kohlenstoff absorbiert als sie abgibt – zu einem existenziellen Ziel geworden. 100-prozentige Ziele für Erneuerbare Energien sind unerlässlich geworden, doch sie allein reichen nicht mehr aus, und die CO2-Ziele werden nicht niedrig genug angesetzt: Sie müssen unter Null liegen. Die zentrale Herausforderung heute besteht darin, die regenerative Wirtschaft auf der Grundlage einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung als Grundvoraussetzung, als Sinn und Ziel aller wirtschaftstechnischen Aktivitäten zu verwirklichen.

Die konzentrierte und zügige Transformation zu einem 100 Prozent erneuerbaren Europa ist längst überfällig. Das Fortführen einer langsamen und komplizierten „kohlenstoffarmen“ Politik als Antwort auf den „Klimawandel“ bedeutet, Orwellschem Neusprech zu erliegen. Die durch fossile Energien ausgelöste Klimakatastrophe als „Wandel“ zu bezeichnen, ist euphemistisch und schädlich. Denn die Trivialisierung verbirgt den Ernst der Situation und öffnet Tür und Tor für die Illusion, dass die gegenwärtige Destabilisierung des planetarischen Klimas auf natürliche Schwankungen zurückzuführen sei. Ähnlich gefährlich und kurzsichtig sind Lösungen, die eine angemessene Berücksichtigung von Kosten und Risiken oder den Wert von Resilienz und Effektivität ignorieren. Die besten Beispiele dafür sind nukleare Lösungen.

Der Grundstein für die Europäische Union wurde 1950 mit dem Ziel gelegt, Frieden und Sicherheit zu fördern und die langen, blutigen Konflikte zu beenden, die den Kontinent erschütterten. Doch genau dieser Geburtsakt – die Schuman-Erklärung – schuf eine grundlegende Abhängigkeit von Energieformen und industriellen Praktiken, die nicht nachhaltig sind. Sie mögen damals verständlich, ja sogar unvermeidlich gewesen sein. Doch dass sie heutzutage fortgeführt werden ist unverzeihlich, wenn man bedenkt, dass wir nun um den Zustand der Welt und den Schaden, den sie in ihr anrichten, wissen. Das beständige Festhalten an Kohle, Gas und Uran ist trotz einiger Erklärungen zu Emissionshandel und Zielen für Erneuerbare Energien eine schizophrene Gewohnheit, die eben jene Friedens- und Sicherheitsziele zunichtemacht, die der Existenz Europas zugrunde liegen. Nachdem das Problem erkannt wurde, ist es höchste Zeit, es zu beheben.

Heute braucht die Europäische Union eine Form der Energieversorgung die frei, flexibel und unabhängig von Konzerninteressen oder dem Druck ausländischer Regierungen ist. Die Energiewende, wie EUROSOALR sie verlangt, ermächtigt Bürgerinnen und Bürger, aktiv an der Erzeugung von Strom und Wärme teilzuhaben. Eine sichere und preiswerte Energieversorgung, die unabhängig ist von externen Faktoren und resistent gegen die Willkür Dritter, schafft die Basis für einen neuen sozialen Zusammenhalt in Europa. Sie macht Energie für alle erschwinglich, schafft Arbeitsplätze und ermöglicht zukunftsfähige Volkswirtschaften. Sie schafft eine hohe Lebensqualität unter physischen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten. Und es ist nur der Anfang: Heute ist die Regeneration der natürlichen Systeme und die der Wirtschaft gefragt – hin zu einer klimapositiven Zukunft, in der Kohlenstoff aus der Atmosphäre zurückgeholt wird. Diese Aufgaben bringen Menschen in Europa zusammen, anstatt sie gegeneinander aufzuwiegeln. Die große europäische regenerative Wende kann, wenn sie richtig angegangen wird, ein verbindendes Moment für Europa werden.

Die grundlegende Umgestaltung des europäischen Energiesystems bringt Mehrwert und Sicherheitsvorteile, Arbeitsplätze und Innovation, spart Milliarden an Gesundheitskosten und baut geopolitische Spannungen ab.

Europäische Energiepolitik und das Weltklima – Auf dem Weg zu einem Aktionsprogramm für Erneuerbare Energien in Europa

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Auswirkungen der globalen Erwärmung, die weitgehend durch fossile Emissionen ausgelöst werden, bestenfalls an der Grenze jener Kontrolle liegen, die in den gängigen Zielvorstellungen für die Reduktion von Emissionen und der Erreichung von Erneuerbaren-Energienquoten implizit ist. Die konkrete Möglichkeit einer globalen Klimakatastrophe mit dramatischen Folgen für Europa und die Welt ist heute klar erkennbar sowie spürbar geworden – und wird von Politik und Medien dennoch weitgehend ignoriert. Die meisten Erklärungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) verbreiten noch immer irreführende lineare Klimaprognosen, während die nichtlinearen Reaktionen der Erdsysteme und der exponentielle Charakter des Konzentrationswachstums über die gesamte Dauer der IPCC- und UNFCCC-Arbeiten beobachtet und bekannt sind. In 2018 ist eine Reihe von Klima-Kipppunkten unübersehbar ins Sichtfeld gerückt. Massive Freisetzungen von arktischem und sibirischem Methan, von schmelzendem Permafrost und Meeresböden zeichnen sich ab. Die Erwärmung der Ozeane ist so weit fortgeschritten, dass ohne massive Änderungen die Meere bald beginnen werden, CO2 abzugeben, anstatt es aufzunehmen. Auch der Raubbau an Wäldern nimmt ihnen diese Fähigkeit. Und auch das Verschwinden des polaren Meereises, das als Folge der geringeren Rückstrahlkraft seit langem arktische Hitzewellen erzeugt hat, ist mehr als besorgniserregend. Andere starke Klima-Feedback-Mechanismen sind die Unterbrechung des asiatischen Monsunregens oder die Eskalation des globalen Waldsterbens. Mehr als 15 Klima-Kipppunkt-Mechanismen laufen Gefahr, ausgelöst zu werden oder wurden bereits aktiviert.

Ein plötzlicher Klimaumschwung droht, eine Zeit rasanter, nicht linearer, sondern exponentieller Klimaveränderungen als vorhersehbares aber dennoch nicht in den offiziellen IPCC-Studien und UNFCCC-Klimaabkommen einkalkuliertes Resultat des aus geologischer Sicht explosionsartigen Ausbruchs von Treibhausgasen durch Verbrennung fossiler Ressourcen und dessen Rückkoppelungseffekten. Ohne wesentlich schnellerer und weitreichenderer Maßnahmen als bisher diskutiert wird liegt es nicht außerhalb der Möglichkeiten, dass globale Temperaturen innerhalb weniger Jahrzehnte um zehn Grad Celsius oder mehr steigen könnten. Eine zielführende Klimapolitik muss daher nicht nur so gestaltet werden, dass sie die Strukturen für eine vollständig erneuerbare und dezentrale Energieversorgung von unten nach oben schafft – sondern auch, dass sie gleichzeitig und überall umgesetzt werden – auch ohne globale oder europaweite Abkommen und gemeinsame Zielsetzungen. Wegen der fortgeschrittenen Lage ist es auch nicht mehr ausreichend, auf 100%-ig erneuerbare Energiesysteme zu setzen: diese sind nunmehr zu einer essenziellen Basis für noch weitergehende regenerative Maßnahmen geworden. Dazu zählen neben dem sofortigen Kohleausstieg auch die dringend gebotene, radikale Verminderung des Erdölkonsums in allen Volkswirtschaften weltweit sowie die drastische Umstellung von einer industriellen, ressourcenintensiven, flächenrodenden und ökosystemvernichtenden Fleischdiät auf eine weitgehend pflanzliche, nachhaltig gesicherte Ernährungsgrundlage. Die GAP, die Gemeinsame Agrarpolitik Europas, ist dringend reformbedürftig, weg von der destruktiven übermäßigen Abhängigkeit von Fleischerzeugung, fossilen Brennstoffen und chemischen Betriebsmitteln und der forstzerstörerischen industriellen Expansion der landwirtschaftlichen Produktion.

Darüber hinaus ist die Gewinnung von CO2 aus der mit Treibhausgasen bereits seit langem übersättigten Atmosphäre eine Notwendigkeit geworden. Sie kann durch massive Aufforstungs- und Regenerationsprogramme für Feuchtgebiete auf allen Kontinenten und durch sofortige Einstellung der Abholzung von Regenwäldern unterstützt werden. Auch die Erhöhung des organischen Humusgehalts in städtischen Parklandschaften und landwirtschaftlichen Böden ist eine Möglichkeit, ebenso wie die Umstellung der industriellen Landwirtschaft durch ökologische Anbaumethoden. Anstatt organische Abfälle zu verbessern, ist es möglich, sie anaerob vergären zu lassen und die daraus entstehenden Endprodukte zu nutzen. Dadurch wird auch eine langfristige Bindung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in landwirtschaftlich produktiven Böden begünstigt.

Warum brauchen wir eine Neue und Erneuerbare Energiemarkt-Rahmenordnung?

Von der Idee der Energieunion…

Die Klimaschutzmaßnahmen auf europäischer Ebene sind schlichtweg unzureichend. EUROSOLAR hat aus diesem Grund Umwandlungsmaßnahmen für das Energiesystem entworfen, die auf einer ungleich größeren Umsetzungsbasis und Priorisierungsebene fußen. Die tatsächliche Lage zeigt, dass die EU-Politik, wie sie grade betrieben wird, vielleicht vor einem halben Jahrhundert Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, hätte sie zu einer bereits heute umgesetzten, 100 Prozent erneuerbaren Wirklichkeit geführt. Heute müssen die Ziele anders aussehen. Die Zielvorgaben, auf die sich Kommission, Rat und Parlament verständigen konnten, bleiben viel zu zaghaft und unverbindlich, um endlich die Vorherrschaft der fossil-atomaren Interessen zu beenden. Aus diesem Grund plädiert EUROSOLAR für eine Neue Energiemarktrahmenordnung, die eine sichere und kostengünstige Energieversorgung ermöglicht und eine dezentrale Energiewende beschleunigen kann.

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007, der aus den Verträgen von Maastricht (1993) und Rom (1957) hervorgeht, ist die Energiepolitik der Europäischen Union auch vertraglich institutionalisiert. Erklärtes Ziel der aktuellen europäischen Energiepolitik ist eine „umweltfreundliche, sichere und wirtschaftliche“ Energieversorgung. Hier sind die besonderen Schwerpunkte neben der Diversifizierung der Energieträger, der Energieeinsparung und der Förderung Erneuerbarer Energien auch explizit der Abbau staatlicher Beihilfen. Maßnahmen, die die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen, also den Energiemix der Mitgliedsstaaten betreffen, können nur einstimmig getroffen werden. Die EU ist der größte Energie-Importeur der Welt und der zweitgrößte Verbraucher. Da der Energiebedarf der 28 Mitgliedsstaaten nur zu etwa 50 Prozent aus ansässigen Quellen gedeckt wird, ist die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene aus EU-Perspektive die Grundlage einer gesicherten Energieversorgung. Aus diesem Grund sollte die Union Unterstützung bei den ambitionierten Transformationenpfaden gewähren. Gleichzeitig wird sie nicht umhin kommen, Druck auf ihre Mitglieder auszuüben, die Subventionen für fossile und atomare Technologien zu beenden. Darüber hinaus müssen schließlich die alten, zentralistischen Strukturen verlassen werden, um die Staaten beim dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien zu unterstützen.

2015 war die Idee der Energieunion geboren, die alle Akteure stärker miteinander vernetzen sollte. In ihrem Rahmen sollten grundsätzliche Fragen zu den unterschiedlichen Strategien der 28 EU-Mitgliedstaaten stärker aufeinander abgestimmt werden. Doch die Erfahrung zeigt: Meist werden die Interessenkonflikte jedoch nicht durch umfassende Strategien aufgelöst, sondern durch kleine, oft unscheinbare, aber problemorientierte Fortschritte verkleinert. In der geplanten Form soll die Energieunion eindeutig als Mittel der Außenpolitik genutzt werden. In der Rahmenstrategie ist die Rede von der Verbesserung von Möglichkeiten „zur Geltendmachung ihres Gewichts auf den globalen Energiemärkten“. Mit einer Energieunion will die EU-Kommission die Integration der nationalen Energie- und Verbundmärkte vertiefen. Ziel ist es, den europäischen Energiesektor unabhängiger von Importen zu machen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Für eine nachhaltige Energieversorgung in Europa bedarf es jedoch keiner zentralen bürokratischen Energieunion. Vielmehr müsste eine Europäische Union für Erneuerbare Energien geschaffen werden, um die Mitgliedstaaten und die Regionen beim Aufbau einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung zu unterstützen und Marktregulierungen im Sinne einer stärkeren Vernetzung der Nachbarregionen zu etablieren. Die bewährten Kernelemente der EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien sollten erhalten bleiben, um den Mitgliedsstaaten den notwendigen Gestaltungsspielraum für die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen zu lassen, anstatt den nationalen Handlungsspielraum durch bloße Bevorzugung bürokratischer Ausschreibungen einzuschränken.

Dabei erzielt die Europäische Kommission geringfügige Fortschritte. Das über 1000-seitige Winterpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ macht das deutlich. Die hier formulierten Ziele wie etwa die EU-interne Minderung von Treibhausgasemissionen von mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 scheinen zunächst löblich. Zielformulierungen wie ein Anteil von 32 Prozent Erneuerbaren am Endenergieverbrauch bis 2030 und der Governance-Mechanismus, bei dem die Mitgliedsstaaten durch integrierte nationale Energie- und Klimapläne zum Prozess beitragen und die Kontrolle durch regionale Konsultationen erfolgt, zeigen die gegenwärtige Richtung des Pakets auf – doch leider auch ihre mangelnde Entschlossenheit und Geschwindigkeit. Darüber hinaus will die EU den Eigenerzeugern von Solarstrom, so genannten Prosumern, mehr Rechte einräumen. Finanzielle Hürden für den Handel mit dezentral erzeugtem Bürgerstrom müssen abgeschafft werden.

Die Schwäche des Pakets besteht jedoch darin, dass es übersieht, dass die Parameter von smarten, dezentralen und Erneuerbaren Energien mit denen der konventionellen, zentralisierten Mächte im Wesentlichen nicht kompatibel sind. Vor allem wird die Notwendigkeit ignoriert, sich möglichst schnell, planbar und aktiv von den Kohle- und Atomkraftwerken zu verabschieden.

…zu einer Neuen Energiemarkt-Rahmenordnung

Die technischen und finanziellen Mittel für eine echte europäische Energiewende sind bereits vorhanden. Die Gestehungskosten für Strom aus Wind und Sonne sind unter realen Bedingungen längst konkurrenzfähig und auch die notwendigen Flexibilitätsoptionen stehen zur Verfügung.

Die Rolle der Europäischen Union besteht darin, den Rahmen zu setzen, der den einzelnen Mitgliedsstaaten die notwendigen und der Zeit angemessenen Vorgaben macht. Dabei bleibt sie dem Prinzip der Subsidiarität treu und greift nicht mehr als notwendig in die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten ein. Denn bei Schaffung eines europaweiten Rechtsrahmens für den Ausbau der Erneuerbaren Energien ist es zentral, die Balance zu erhalten zwischen Respekt vor den einzelnen nationalstaatlichen Interessen und dem effizienten Handeln im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, zu ihrem Wohl und dem der hoffentlich nachfolgenden Generationen. Dabei steht die Europäische Union vor der historischen Herausforderung, zu der energie- und friedenspolitischen Relevanz zurückzukehren, die ihr bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor nunmehr fast 70 Jahren inne war. Kommission, Rat und Parlament können das Vertrauen der Europäerinnen und Europäer stärken und dem Friedensprojekt Europa zu neuer Größe verhelfen. Wenn die EU den Rahmen schafft für 100 Prozent Erneuerbare Energien auf den konvergenten Energiemärkten für Strom, Wärme und Mobilität, leistet sie damit einen entscheidenden Beitrag zum Frieden der Staaten untereinander und über Europas Grenzen hinaus.

Erneuerbar

Strom aus Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse ist unter Berücksichtigung der Umweltbelastungen bereits heute kostengünstiger als alle fossilen und atomaren Energien. Die weitestgehend sozialisierten externen Effekte der fossilen und atomaren Energien und jahrzehntelange Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe in Kostenvergleichen nicht zu berücksichtigen, war noch nie legitim und ist es heute weniger denn je. Rechnet man alle staatlichen Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und Befreiung von Umwelt- und Gesundheitskosten, von denen konventionelle Energieträger in den letzten Jahrzehnten profitiert haben, zusammen, ergäbe sich für das Beispiel Deutschland im Jahr 2017 eine „Konventionelle-Energien-Umlage“ von bis zu 11,5 Cent pro Kilowattstunde.

Dezentralisiert

Entscheidend für dezentrale Flexibilitätsmärkte sind die Anpassung der Rahmenbedingungen für Energiespeichersysteme und die Intensivierung der Forschung und Markteinführung von Umwandlungs- und Speichertechnologien. Die angepasste Regulierung der KWK-Erzeugung und die Einführung von Flexibilitätsprämien sind daher wichtige Instrumente. Strom kann in allen Regionen Europas regional und lokal zu niedrigen Kosten und Wertschöpfung schaffend erzeugt werden. Die regionale Überschussproduktion sollte ungehindert verteilt werden und könnte in den Bereich Wärme und Mobilität einbezogen werden. Zu diesem Zweck wäre es notwendig, dass die Staaten die noch immer gängige Praxis Abschottung ihrer Strommärkte aufgeben. Ein ausreichend entwickeltes, zumindest überregionales und gesellschaftlich akzeptiertes Leitungs- und Stromversorgungssystem in ganz Europa ist allerdings noch nicht abzusehen.

Der Bedarf an Speichertechnologie könnte durch den Ausbau des Netzes reduziert werden: Das ist sowohl billiger, als auch im Interesse der Bürger. Um den gesellschaftlichen Konsens über den Ausbau der Erneuerbaren Energien aufrechtzuerhalten, müssen Alternativen zum Netzausbau in Form von Speichern weiter gefördert werden. Neben einem flexiblen Markt sollten Speichertechnologien eine immer wichtigere Rolle bei der Integration Erneuerbarer Energien spielen, um bedarfsgerecht Strom zu erzeugen. Der breite Einsatz von Speichertechnologien muss bereits durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen vorbereitet werden, die es diesen Technologien ermöglichen, zur Marktreife zu gelangen.

Räumlich und strategisch

Eine tiefgreifende Transformation der Energieversorgung hin zu dezentral erzeugten, Erneuerbaren Energien kommt nicht umhin, von einer ebenso grundlegenden Veränderung der stadträumlichen Gestaltung begleitet zu werden. Dabei spielen verteilte Energiesysteme in ländlichen Räumen eine ebenso wichtige Rolle wie die Entwicklung von Energieregionen, die Rekommunalisierung städtischer Energieversorger und Formen der lokal organisierten Energieversorgung wie etwa die Bürgerenergie. Die Stadt als erneuerbares Kraftwerk rückt in den Vordergrund kommunaler Planungsaufgaben. All diese Ausgestaltungen einer künftigen Energieversorgung brauchen die entsprechende politische Unterstützung. Bei der Veränderung der stadträumlichen Gestaltung mit einer dezentralen Energieinfrastruktur ist eine Agenda gefragt, die es der Kommunalpolitik erlaubt, durchdachte und innovative Lösungen aufzugreifen und umzusetzen. Damit verbunden sind Fragen von Standorten von Anlagen und deren Akzeptanz, sowie neue Formen regionaler Governance.

Konvergent

Um die Energiemärkte im Sinne des fluktuierenden Angebots von Sonnen- und Windenergie zu flexibilisieren und sie so effizient wie möglich zu gestalten, bedarf es einer Konvergenz der bisher getrennt regulierten Märkte für Strom, Wärme und Mobilität – die so genannte Sektorenkopplung. Eine Europäische Energiemarkt-Rahmenordnung ist in der Lage, marktwirtschaftliche und verlässliche Anreize für Zukunftsinvestitionen zu setzen. Den Kern dieser Rahmenordnung bildet ein Flexibilitätsmarkt als notwendige Voraussetzung für eine Energiewende, in der die Versorgungssicherheit trotz volatiler Energieträger jederzeit gewährleistet ist. Diese konvergenten Energiemärkte umfassen die etablierten Instrumente wie Kraft-Wärme-Kopplung und profilierte Mechanismen aus dem EEG ebenso wie eine Flexibilitätsprämie. Voraussetzung für ein Gelingen ist die Vereinheitlichung von Steuern, Abgaben und Umlagen der bisher getrennt regulierten Sektoren und in der Folge eine umfassende und effiziente Regulierung.

Flexibel und smart

Inzwischen ist unbestritten, dass auch eine zu 100 Prozent auf Erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung trotz schwankender Energieträger kostengünstig gesichert werden kann. Dies erfordert die Unterstützung von Flexibilitätsoptionen, die uns bereits heute in vielfältiger Weise zur Verfügung stehen. Diese Formen der zeitlichen Harmonisierung von Stromerzeugung und -verbrauch brauchen auch verlässliche und ausgeklügelte politische Rahmenbedingungen, wenn sie zu stabilen Säulen der Energiewende und investitionsattraktiven Geschäftsfeldern werden sollen. Neben dem Ausbau der Infrastruktur auf der Ebene der Verteilnetze stehen natürlich auch Speicher- und KWK-Lösungen zur Verfügung, um das Stromnetz flexibler zu gestalten.

Aber auch Power-to-X ist ein Bereich, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihm derzeit zu Teil wird. Die optimale Durchführung dieser Maßnahmen erfordert intelligente Steuerungskonzepte für erneuerbare, dezentrale Energiequellen. Diese wachsen heute rasant, werden aber weiterhin durch das Fehlen eines umfassenden Marktrahmens behindert, der eine effektive Verteilung erleichterten und die Flexibilität optimieren könnte. Die Zukunft gehört einem System effizienter, intelligenter lokaler und regionaler Netze und neuen Regulierungsrahmen, die einen offenen und flexiblen Handel mit Strom aus Erneuerbaren Energien ermöglichen, z.B. zu Preisen, die auf dem Markt für dezentralen Strom aus Erneuerbaren Energien festgelegt werden, der garantiert die niedrigsten Kosten und Preise sucht, findet und belohnt – für Anbieter und Nutzer von Erzeugungs-, Verteilungs-, Speicher- und Mobilitätsdiensten gleichermaßen.

EURENEW statt EURATOM

Durch eine neue Europäische Energiemarktrahmenordnung wird der EURATOM-Vertrag hinfällig. Er muss ersetzt werden durch einen EURENEW-Vertrag, in dessen Rahmen auch das Monitoring des Umbau-Prozesses geregelt wird. Darüber hinaus sollte die in der Existenz von EURATOM zum Ausdruck kommende institutionelle Privilegierung der Atomenergie in Europa endlich überwunden werden. Deshalb muss es jetzt darum gehen, die Privilegierung der Atomenergie durch eine konsequente Privilegierung der Erneuerbaren Energien zu ersetzen und damit den EURATOM-Vertrag durch einen EURENEW-Vertrag (European Renewable Energies; Europäischer Vertrag für Erneuerbare Energien). Ebenso wie die Beendigung des Betriebs der restlichen Atomkraftwerke und den Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag muss damit der Ausstieg aus der Forschung an Fusionsreaktoren und neuen Atomreaktorendesigns einhergehen.

Energiesicherheitspolitik

Die Energiewende zu 100% Erneuerbaren Energien muss ein Hauptbaustein der Energiesicherheitspolitik der EU werden. Dies umfasst nicht nur die Unabhängigkeit von Energieimporten aus unsicheren Ländern, sondern auch die Diversifizierung der eigenen Energieversorgung. Hierzu gehört die Stärkung der Verteilnetze im Sinne einer vernetzten Autonomie. Die europäische Infrastruktur wird damit weniger anfällig für terroristische Anschläge, kriegerische Akte aus dem so genannten Cyberspace, oder für Hitzestress, Wassermangel und andere Erderwärmungskonsequenzen. Zur Energiesicherheitspolitik gehört auch eine entsprechende Energieaußenpolitik, die für die Chancen einer Erneuerbaren Ökonomie erforderlich wird und andere Staaten und Weltregionen bei dem notwendigen Wandel unterstützt.

Erneuerbare Industrie – Arbeitsplätze und Export

Die vollständig Erneuerbare Energieversorgung ist ein industrielles Hochtechnologieprojekt. Die Energiewende bietet damit die Chance einer Reindustrialisierung der EU und damit die Chance für den Erhalt und die Schaffung neuer industrieller Arbeitsplätze. Dabei ist im Sinne einer solaren Weltwirtschaft die echte Energiewende nur der erste Schritt und die Basis für eine moderne Industrie, die auf geschlossenen Rohstoffkreisläufe orientiert ist und große Teile des internationalen Welthandels durch Relokalisierung überflüssig macht. Empfehlenswert wäre dabei auch, Bewegungen wie „Transition Town“ Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Art der Initiativen, die mittlerweile zahlreich auf der ganzen Welt vertreten sind, haben das Schaffen und die Stärkung lokaler partizipativer Wirtschaftsformen im Fokus. Ihr zentrales Ziel ist es, eine möglichst hohe lokale Resilienz zu erwirken, um weniger abhängig von globalen Wirtschaftsströmen, Importen und zentral gesteuerter Energie zu sein. In diesem Prozess verringern Vielfalt und modulare Strukturen die Störanfälligkeit eines Systems und erhöhen seine Flexibilität. Für die Energieversorgung heißt das: Umso mehr Energieträger etwa an einem Ort genutzt werden, desto leichter kann die Störung eines einzelnen Trägers ausgeglichen werden.

Offene erneuerbare Energiemärkte für alle: Ausschreibungen verlangsamen die Energiewende und schaden Wettbewerb und Gemeinschaft

Für die Zukunft Europas entwerfen wir eine Energiepolitik, die frei und unabhängig von Konzerninteressen sinnvolle Anreizsysteme schaffen kann. Dafür ist es von entscheidender Bedeutung, einen fairen wettbewerblichen Rahmen für die Marktteilnehmer zu schaffen – vor allem für jene, deren Interessen sonst oftmals kein Gehör finden wie etwa Bürgerenergiegenossenschaften oder Eigenverbraucher (Prosumer). Dem zielführenden Ausbau von Prosumerrechten muss in jedem Fall Aufmerksamkeit geschenkt werden, ist doch der Übergang hin zu einer eigenverantwortlichen Energieerzeugung der Kern einer echten, dezentralen Energiewende. Aus diesem Grund muss der Strommarkt für die Energiewende den Handel mit erneuerbaren Stromprodukten so niederschwellig wie möglich gestalten – durch einen Erneuerbaren Strommarkt und die Mieter‐Direktvermarktung. Wirtschaftliche Vorteile lokaler und regionaler Vermarktung von Strom muss der Markt nutzen können statt sie durch Auflagen, Steuern oder Umlagen künstlich zu verteuern.

Es müssen faire Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen, KMU, Stadtwerke und Bürgergenossenschaften geschaffen werden. Einspeisevergütungen stellen weiterhin ein wichtiges Instrument dar. Wenn die Mitgliedstaaten allerdings beschließen, Ausschreibungen anstelle von Einspeisetarifen zu verwenden, müssen De-minimis-Regelungen obligatorisch sein, um das Risiko einer Verdrängung zu minimieren. Während in Zukunft kommerzielle Projekte ausgeschrieben und versteigert werden, müssen Alternativen in Form von Gemeinwohlprojekten oder in öffentlicher Hand (Kommunen) realisiert werden. Gemeinnützige Projekte werden es den Bürgern ermöglichen, die Energiewende im Interesse der lokalen Gemeinschaft durchzuführen, wobei die Einnahmen für nicht-private Aktivitäten gemäß den Statuten der Organisation ausgegeben werden. Gemeinnützige Projekte werden der Verbesserung der lokalen Infrastruktur dienen. Zukünftige Tarife können aus zwei Komponenten bestehen: a) realen Kosten (Zinsen, Abschreibungen, Betriebskosten) plus b) einer Leistungszahlung an die betroffene Gemeinde.

Sogenannte technologieoffene Ausschreibungen zur Ermittlung der finanziellen Förderung von Erneuerbaren Energien setzen Solar- und Windenergie in Konkurrenz zueinander – dabei sind beide Technologien für das Gelingen einer kosteneffizienten Transformation des Energiesystems in einem ausgewogenen Verhältnis nötig. Ein Blick auf die Ergebnisse der ersten Ausschreibungen bzw. auf die Ergebnisse der Ausschreibungen vor und nach der Umstellung in Deutschland zeigt deutlich, dass sich die teilnehmenden Akteure stark dezimiert haben. So findet nach und nach eine erneute Zentralisierung der Energieversorgung statt, da sich nur noch die großen Unternehmen durchsetzen. Eben das ist es, was verhindert werden muss. Für unsere Vision einer ganzheitlichen und nachhaltigen Energiewende ist es von zentraler Bedeutung, dass diese von den Menschen vor Ort getragen und in jedem Sinne partizipativ ist. Das System der Ausschreibungen konterkariert diese Idee zugunsten größerer Unternehmen und ist zügig zu beenden und auf europäischer Ebene auszuschließen.

Subventionen für fossile und nukleare Energietechnologien und Energiequellen beenden

Nukleare und fossile Energietechnologien wurden allein in Deutschland seit den 70er Jahren mit zusammen rund 400 Mrd. Euro subventioniert. Das verzerrt den Energiemarkt bis heute. Ohne diese Subventionen für die inzwischen abgeschriebenen Atom- und Kohlekraftwerke wären die Erneuerbaren Energien schon heute kostengünstiger als eben diese Atom- und Kohlekraftwerke – das heißt sie sind bereits tatsächlich kostengünstiger, was aber durch die Subventionspolitik verzerrt wird. Das Festhalten an der Kohleverstromung ist ein ökologisches Desaster und behindert durch die unflexiblen Überkapazitäten die Dynamik des wirtschaftlichen Wandels hin zu einer echten sozialen Verträglichkeit. Die vorhandenen Überkapazitäten sorgen für beispiellos niedrige Strompreise im europäischen Stromgroßhandel und verzerren damit die Marktsignale.

Angesichts der ungebremsten Kohleverstromung und den damit einhergehenden Schadstoffemissionen wird die Glaubwürdigkeit der EU in Frage gestellt. Die EU-Klimaziele können nur durch die Verabschiedung eines Kohleausstiegsgesetzes bewahrt werden, wie es mittlerweile bereits von verschiedenen Seiten gefordert wurde. Einen Konsens mit den Profiteuren der Kohleverstromung zu suchen, führt zu Verzögerungen, höheren Kosten und fragwürdigen Kompromissen, weswegen eine gesetzliche Regelung mit begleitenden ordnungspolitischen Maßnahmen notwendig wird.

EUROSOLAR – die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V. setzt sich seit 1988 als gemeinnütziger und unabhängiger Verein für die vollständige Ablösung atomarer und fossiler Ressourcen durch die umgehende und dezentrale Umstellung auf Erneuerbare Energien ein. EUROSOLAR versammelt branchen- und parteiübergreifend Fachkompetenz aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und wirkt durch vielfältige Aktivitäten für eine Veränderung der herkömmlichen politischen Prioritäten und Rahmenbedingungen zugunsten aller Formen Erneuerbarer Energien. Als gemeinnütziger Verein bietet EUROSOLAR allen Menschen die Möglichkeit, durch ihre Mitgliedschaft an einer soziokulturellen Bewegung zur Realisierung dieser Jahrhundertaufgabe mitzuwirken und teilzuhaben.