Solarzeitalter 3/4 – 2019: Kopernikus, Hermann Scheer und die Energierevolution

Anlässlich des heutigen Todestages von Hermann Scheer finden Sie hier den exklusiven Vorabdruck des Artikels, den Friedhelm Bütow für das nächste Solarzeitalter 3/4 - 2019 verfasst hat: Einige wenige, von Firmen bezahlte Forscher und Politiker, vor allem in Amerika (aber auch bei uns) behaupten, der von Menschen gemachte Klimawandel sei nicht wissenschaftlich bewiesen. Als ob, was wissenschaftlich nicht bewiesen ist, deswegen auch nicht existiere. Viele Phänomene unserer Welt sind nicht bewiesen und doch evident, also einsehbar vorhanden. Zur Erinnerung:

Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus war anfangs auch noch nicht bewiesen, aber es sprach viel dafür. Trotz des großen Umsturzes war es für die entscheidenden Geister ihrer Zeit evident (zwar teilweise bis in den Vatikan hinein als „verrückte Grille“ toleriert). Der dänische Astronom Tycho de Brahe zog die Konsequenz: Für die anderen Planeten stehe die Sonne im Mittelpunkt (so viel Kopernikus), aber dieses ganze System ließ er nun um die fest im Mittelpunkt stehende Erde kreisen (ein altes ägyptisches Modell). Damit war der Augenschein zunächst gerettet. Das übernahm die Kirche sofort und konnte sich als modern geben und am Alten festhalten. Schließlich hat ja auch Josua in der Bibel mit Gottes Hilfe die Sonne in ihrem Lauf stillstehen lassen. Aber Tychos Weltbild war noch weniger „bewiesen“ und brach bald zusammen. Galilei wollte Kopernikus beweisen und endete bekanntlich als Ketzer, zum Widerruf gezwungen, weil nicht wahr sein kann, was nicht sein darf. Giordano Bruno war zuvor verbrannt worden.

Der Klimawandel durch uns Menschen ist aber so evident, dass seine aktive Bekämpfung und Eindämmung viel intelligenter ist als seine Leugnung. Aber die Sinneszumutung des damals neuen kopernikanischen Weltbildes war wirklich viel größer als die heutige Wahrnehmung der Schäden durch die Erderwärmung; denn die Sinne nehmen ja den „Lauf“ der Sonne als objektiv ablaufende Bewegung wahr. Aber daraus den Schluss zu ziehen, sie drehe sich um die Erde, war ein (zwar naheliegender) Fehler des Verstandes. Die Sinne täuschen nicht, erst recht nicht bei der Wahr¬nehmung der Schädigung der Erde (z. B. der Smog über den Städten, die Verbrennungs-prozesse, die messbare Verseuchung der Luft und der Meere bis hin zum Ozonloch). Wer behauptet, das beweise nichts über den Einfluss unserer Lebensstile oder wer z. B. die Ausbremsung solarer Energie¬nutzung betreibt, offenbart nur seine eigentlichen Motive – weiter wie bisher! Die koperni¬kanische Revolution wiederholt sich heute im Energiesystem von Kohle, Erdöl, Gas und Uran. Deren Nutzung durch ihre Umwandlungs¬ketten für den Verbrauch verursachen die größten Schadstoffmengen, sozusagen als letzter Akt aus dem einsti¬gen geozentrischen Energie-Weltbild, dem die erschöpflichen Rohstoffe ausgehen und Kriege verursachen. Und Hermann Scheer ist der Hauptinitiator der solaren Energie¬revolution, gegen den angeblich „nicht bewiesenen“
Klimawandel durch den Menschen, weil auch hier nichts sein kann, was nicht sein darf.

Die bleibende Kraft der Sonne

In Dänemark nennt man die Erneuerbaren Energien auch „bleibende Energien“: Sonne (Strahlung), Wind (unterschiedliche Erwärmung der Erdoberfläche), Wasserkreislauf (Verdunstung), Biomasse (Wachstum). Also alles durch die bleibende Sonne. Weswegen schon der Mondraketenbauer Wernher von Braun das als kommendes „Solarzeitalter“ bezeichnete, was dann vor allem von Hermann Scheer und seinen vielen Mitstreitern ermöglicht wurde, z. B. auch mit der program¬matischen Zeitschrift „Solarzeitalter“, Gründung von EUROSOLAR, das EEG sowie seinen Büchern. Da stellt doch kaum noch ein klar denkender Mensch fest: Das alles beruhe auf einer wissenschaftlich nicht erwiesenen Behauptung. Und da hängen sich auch noch die absurdesten Verschwörungs¬theorien an. (Es gibt ja bis heute sogar noch Menschen, die immer noch glauben, die Erde sei eine Scheibe und haben zur Verbreitung ihrer „Lehre“ sogar eine Organisation gegründet: die „Flat Earth Society“. Also ein Geisteszustand sogar noch vor dem ptolemäischen Weltbild, aber bibelnah.)

Der Rückfall in die alte neodeterministische Leugnung des von Menschen mitverursachten Klima-wandels nutzt die bereits seit den 1990er Jahren agierende US-Anti-Klimaschutz-Organisation GCC (Globel Climate Coalition), finanziert von der Großindustrie, der es ja vor allem um solche interessengeleitete Feststellungen geht, was ja verständlich ist, denn es geht dabei um viel Geld für den Klimaschutz und langfristige Verhaltensänderungen. Alle bisherigen Klimaveränderungen in der Geschichte (Eiszeiten und Warmzeiten) haben auch angepasste Lebensstile der Menschen erzwungen. Dazu hat Hermann Scheer mit seinem mitreißenden Engagement viele Menschen ermutigt und die Idee eines Solarzeitalters, das ja nicht aus lauter Verzichten besteht, politisch und wissenschaftlich populär gemacht. Nicht erst seit heute gibt es bereits Solarstrom im Überfluss, in Spitzenzeiten mehr Strom als alle Atomkraftwerke hier erzeugen, ohne dass man „Ananas züchten in Alaska“ betreiben müsste (ehemaliger RWE-Chef Jürgen Großmann). Rückblick 1993, Prognose der Stromkonzerne: mehr als vier Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung sei nicht drin. Die Stromwirtschaft lästerte „die fangen den Wind und melken die Sonne?“ Im letzten Halbjahr 2019 betrug der Anteil der Erneuerbaren Energien bereits 45 % (Stuttgarter Zeitung, 07.09.2019). „Selten hat sich eine Branche dermaßen lächerlich gemacht“ (B. Janzing, Journalist).

Einige persönliche Erinnerungen zum neunten Todestag Hermann Scheers möchte ich hier dankbar seiner anschließenden großartigen Zusammenfassung der Grundzüge eines solaren Zeitalters voran¬stellen: Sein Buch „Sonnenstrategie“ (1993) hat mein Weltbild damals verändert. Es hat mich – wie viele andere – bis heute nicht mehr losgelassen und wurde Bestandteil meines Politik-, Gemeinschafts¬kunde- und Ethikunterrichts. Schon damals schrieb er, „dass die Zukunft der Menschheit – und mögen noch so viele Marsflüge stattfinden – auf der Erde oder gar nicht mehr sein wird“. Ich bin also auch über diesen Weg zur Solarenergie gekommen mit ihrer gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung; also nicht über technische Zusam-menhänge, die man sich dann erarbeiten muss. Bei Technikern ist das umgekehrt, weil bei der Umsetzung des technisch Möglichen politische und gesamtgesellschaftliche Bedingungen gekannt werden müssen (z. B. Gesetzgebung).

Sein letztes Buch wurde sein Vermächtnis und erschien noch in seinem Todesjahr: „Der ener-gethische Imperativ“. Ich war bei vielen seiner Buchvorstellungen dabei. In einem Gespräch in seinem Büro in Waiblingen erläuterte er, was der Titel ausdrücken soll: Er lehnt sich zunächst an den berühmten kategorischen Imperativ von Kant an, der ein unbedingtes Sollen ausdrückt. Wilhelm Ostwald, der Chemie-Nobelpreisträger, schrieb in einem Buch (1909), dass der „ener-getische Imperativ“ vor dem kategorischen stehe, weil die Energieverhältnisse allen gesell-schaftlichen Zuständen und Entwicklungen vorgeordnet seien. Hermann Scheer führte nun mit dem Begriff „energethisch“ beide Bedeutungen zusammen, Energie und Ethik und unterstellt sie dem Begriff Imperativ, als „ultimative Beschleunigung“ – seine letzten Worte seines letzten Buches.

Heldentum des Menschen

Mein Sohn Wolf Bütow lernte Hermann Scheer in Heidelberg kennen, auf einer Politik¬veran-staltung der Politikstudenten der Universität und wurde so zum Mitkämpfer bei Wahlveran-staltungen. Nach dem Studium arbeitete er eine Zeitlang bei EUROSOLAR in Bonn. Ich hatte Hermann Scheer wiederholt vor Wahlen in den Politikunterricht eingeladen und so lernten wir uns kennen. Ich arbeitete zu dieser Zeit an meinem Buch „Zeitgeistwandel“ und stellte es noch als Manuskript Hermann Scheer vor. Er las natürlich gleich das energiepolitische Kapitel und machte mir sehr interessante Vorschläge zur Ergänzung, mit vielen persönlichen Erfahrungen, von denen er noch wusste, in welchen Büchern er etwas dazu geschrieben hat. Ich könne das mit Quellenangaben verwenden. Eines der Beispiele erzählte er mir: Nach einer ORF-Fernsehdiskussion über Erneuerbare Energien sagte ein Vorstandsvorsitzender eines großen Stromkonzerns „persönlich vertraulich“ zu ihm: „Sie haben leider recht, aber wenn ich das öffentlich zugebe, bin ich morgen draußen. Was würden Sie denn tun, wenn Sie auf meinem Stuhl säßen?“ Hermann Scheer antwortete: Dass er sich nie auf seinen Stuhl setzen würde, aber auch kein Mitleid habe, wenn ihm diese Berufslüge eine Entschädigung in Millionenhöhe einbrächte. So auch manches andere. Ich las ihm aus einer Schrift des Philosophen Karl Jaspers vor, der von einem möglichen „Heldentum des Menschen“ schrieb: „Er verwirft die Erleichterung durch das, was alle tun und jedermann billigt, und lässt sich nicht erschüttern durch Widerstand und Ablehnung. Ihm eignet die Verlässlichkeit im Gehen eines Weges.“ Das trifft doch das Engagement Hermann Scheers als „Helden des grünen Jahrhunderts“ voll und ganz. Er war selbst davon beeindruckt und ergänzte gleich mit einem von ihm oft zitierten Ausspruch des Philosophen Schopenhauer, wonach eine neue Erkenntnis zuerst ignoriert, dann verspottet, dann bekämpft wird; und wenn sie sich durchgesetzt hat, waren schon immer alle dafür. Und dann fügte er hinzu, beginnt das Verwischen von Spuren der Bremser und alter Gegnerschaften.

Hermann Scheer hatte wahrlich Ecken und Kanten, aber kann man sonst Kämpfer sein? Sich selbst hat er auch nie geschont (z. B. ab 1980 keinen Urlaub mehr gemacht). Seine Reden zu seiner jährlichen Herbst-Veranstaltung „Martini“, als Resümee und Ausblick des Jahres, waren begeisternd: kompetent, knallhart sachlich, angriffslustig, auch witzig, nie unter der Gürtellinie und fair. Er blühte bei seinen Reden, die er meist frei hielt, förmlich auf. Deswegen war es bei seiner letzten Buchvorstellung in Fellbach auffällig, dass Franz Alt ihn vertreten hat, während er selber etwas weiter hinten sehr bleich auf Fragen antwortete. Da ging es ihm, der sonst vor Energie strotzte, offensichtlich schon sehr schlecht. Wenige Tage zuvor hatte er noch in Speyer den Deutschen Solarpreis verliehen. 1998 hatte er selber den Weltsolarpreis bekommen. Ein Jahr später erhielt er den Alternativen Nobelpreis. 2002 erklärte das Time Magazin ihn zu einer der wichtigsten Personen, die im 21. Jahrhundert zur Erhaltung der Erde beitragen. Die Zeitschrift sprach von seinem orkanartigen „Enthusiasmus“. Die Begeisterung in Amerika war beträchtlich. Am 14. Oktober starb er. Nicht einmal ein Jahr später kam nach Fukushima der Atomausstieg, der ja nur möglich war, weil bereits eine glaubwürdige und erfolgreiche Alternative vorlag. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein hoffnungsvoller Sprung in das energethische Solarzeitalter. „Willkommen im Anthropozän – unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde“ war das Motto der Sonderausstellung des Deutschen Museums in München 2015/16).

Lassen wir Hermann Scheer noch einmal, sozusagen in einem virtuellen „Martini“ zu Wort kommen mit jener großartigen Zusammenfassung der solaren Wende aus seinem letzten Buch:

Rückblick und Ausblick

„Wie bedrohlich der Wechsel zu erneuerbaren Energien für die Energiekonzerne ist, kann jeder ermessen, der sich konkret vor Augen führt, was geschieht, sobald dieser an Fahrt gewinnt. Jeder kann sich selbst die Frage beantworten, für wen die jeweilige Entwicklung vorteilhaft oder nachteilig ist. Es ist ein Wechsel

Kopernikus, Hermann Scheer und die Energierevolution

Friedhelm Bütow

Einige wenige, von Firmen bezahlte Forscher und Politiker, vor allem in Amerika (aber auch bei uns) behaupten, der von Menschen gemachte Klimawandel sei nicht wissenschaftlich bewiesen. Als ob, was wissenschaftlich nicht bewiesen ist, deswegen auch nicht existiere. Viele Phänomene unserer Welt sind nicht bewiesen und doch evident, also einsehbar vorhanden. Zur Erinnerung:

Das heliozentrische Weltbild des Kopernikus war anfangs auch noch nicht bewiesen, aber es sprach viel dafür. Trotz des großen Umsturzes war es für die entscheidenden Geister ihrer Zeit evident (zwar teilweise bis in den Vatikan hinein als „verrückte Grille“ toleriert). Der dänische Astronom Tycho de Brahe zog die Konsequenz: Für die anderen Planeten stehe die Sonne im Mittelpunkt (so viel Kopernikus), aber dieses ganze System ließ er nun um die fest im Mittelpunkt stehende Erde kreisen (ein altes ägyptisches Modell). Damit war der Augenschein zunächst gerettet. Das übernahm die Kirche sofort und konnte sich als modern geben und am Alten festhalten. Schließlich hat ja auch Josua in der Bibel mit Gottes Hilfe die Sonne in ihrem Lauf stillstehen lassen. Aber Tychos Weltbild war noch weniger „bewiesen“ und brach bald zusammen. Galilei wollte Kopernikus beweisen und endete bekanntlich als Ketzer, zum Widerruf gezwungen, weil nicht wahr sein kann, was nicht sein darf. Giordano Bruno war zuvor verbrannt worden.

Der Klimawandel durch uns Menschen ist aber so evident, dass seine aktive Bekämpfung und Eindämmung viel intelligenter ist als seine Leugnung. Aber die Sinneszumutung des damals neuen kopernikanischen Weltbildes war wirklich viel größer als die heutige Wahrnehmung der Schäden durch die Erderwärmung; denn die Sinne nehmen ja den „Lauf“ der Sonne als objektiv ablaufende Bewegung wahr. Aber daraus den Schluss zu ziehen, sie drehe sich um die Erde, war ein (zwar naheliegender) Fehler des Verstandes. Die Sinne täuschen nicht, erst recht nicht bei der Wahr¬nehmung der Schädigung der Erde (z. B. der Smog über den Städten, die Verbrennungs-prozesse, die messbare Verseuchung der Luft und der Meere bis hin zum Ozonloch). Wer behauptet, das beweise nichts über den Einfluss unserer Lebensstile oder wer z. B. die Ausbremsung solarer Energie¬nutzung betreibt, offenbart nur seine eigentlichen Motive – weiter wie bisher! Die koperni¬kanische Revolution wiederholt sich heute im Energiesystem von Kohle, Erdöl, Gas und Uran. Deren Nutzung durch ihre Umwandlungs¬ketten für den Verbrauch verursachen die größten Schadstoffmengen, sozusagen als letzter Akt aus dem einsti¬gen geozentrischen Energie-Weltbild, dem die erschöpflichen Rohstoffe ausgehen und Kriege verursachen. Und Hermann Scheer ist der Hauptinitiator der solaren Energie¬revolution, gegen den angeblich „nicht bewiesenen“
Klimawandel durch den Menschen, weil auch hier nichts sein kann, was nicht sein darf.

Die bleibende Kraft der Sonne

In Dänemark nennt man die Erneuerbaren Energien auch „bleibende Energien“: Sonne (Strahlung), Wind (unterschiedliche Erwärmung der Erdoberfläche), Wasserkreislauf (Verdunstung), Biomasse (Wachstum). Also alles durch die bleibende Sonne. Weswegen schon der Mondraketenbauer Wernher von Braun das als kommendes „Solarzeitalter“ bezeichnete, was dann vor allem von Hermann Scheer und seinen vielen Mitstreitern ermöglicht wurde, z. B. auch mit der program¬matischen Zeitschrift „Solarzeitalter“, Gründung von EUROSOLAR, das EEG sowie seinen Büchern. Da stellt doch kaum noch ein klar denkender Mensch fest: Das alles beruhe auf einer wissenschaftlich nicht erwiesenen Behauptung. Und da hängen sich auch noch die absurdesten Verschwörungs¬theorien an. (Es gibt ja bis heute sogar noch Menschen, die immer noch glauben, die Erde sei eine Scheibe und haben zur Verbreitung ihrer „Lehre“ sogar eine Organisation gegründet: die „Flat Earth Society“. Also ein Geisteszustand sogar noch vor dem ptolemäischen Weltbild, aber bibelnah.)

Der Rückfall in die alte neodeterministische Leugnung des von Menschen mitverursachten Klima-wandels nutzt die bereits seit den 1990er Jahren agierende US-Anti-Klimaschutz-Organisation GCC (Globel Climate Coalition), finanziert von der Großindustrie, der es ja vor allem um solche interessengeleitete Feststellungen geht, was ja verständlich ist, denn es geht dabei um viel Geld für den Klimaschutz und langfristige Verhaltensänderungen. Alle bisherigen Klimaveränderungen in der Geschichte (Eiszeiten und Warmzeiten) haben auch angepasste Lebensstile der Menschen erzwungen. Dazu hat Hermann Scheer mit seinem mitreißenden Engagement viele Menschen ermutigt und die Idee eines Solarzeitalters, das ja nicht aus lauter Verzichten besteht, politisch und wissenschaftlich populär gemacht. Nicht erst seit heute gibt es bereits Solarstrom im Überfluss, in Spitzenzeiten mehr Strom als alle Atomkraftwerke hier erzeugen, ohne dass man „Ananas züchten in Alaska“ betreiben müsste (ehemaliger RWE-Chef Jürgen Großmann). Rückblick 1993, Prognose der Stromkonzerne: mehr als vier Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung sei nicht drin. Die Stromwirtschaft lästerte „die fangen den Wind und melken die Sonne?“ Im letzten Halbjahr 2019 betrug der Anteil der Erneuerbaren Energien bereits 45 % (Stuttgarter Zeitung, 07.09.2019). „Selten hat sich eine Branche dermaßen lächerlich gemacht“ (B. Janzing, Journalist).

Einige persönliche Erinnerungen zum neunten Todestag Hermann Scheers möchte ich hier dankbar seiner anschließenden großartigen Zusammenfassung der Grundzüge eines solaren Zeitalters voran¬stellen: Sein Buch „Sonnenstrategie“ (1993) hat mein Weltbild damals verändert. Es hat mich – wie viele andere – bis heute nicht mehr losgelassen und wurde Bestandteil meines Politik-, Gemeinschafts¬kunde- und Ethikunterrichts. Schon damals schrieb er, „dass die Zukunft der Menschheit – und mögen noch so viele Marsflüge stattfinden – auf der Erde oder gar nicht mehr sein wird“. Ich bin also auch über diesen Weg zur Solarenergie gekommen mit ihrer gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung; also nicht über technische Zusam-menhänge, die man sich dann erarbeiten muss. Bei Technikern ist das umgekehrt, weil bei der Umsetzung des technisch Möglichen politische und gesamtgesellschaftliche Bedingungen gekannt werden müssen (z. B. Gesetzgebung).

Sein letztes Buch wurde sein Vermächtnis und erschien noch in seinem Todesjahr: „Der ener-gethische Imperativ“. Ich war bei vielen seiner Buchvorstellungen dabei. In einem Gespräch in seinem Büro in Waiblingen erläuterte er, was der Titel ausdrücken soll: Er lehnt sich zunächst an den berühmten kategorischen Imperativ von Kant an, der ein unbedingtes Sollen ausdrückt. Wilhelm Ostwald, der Chemie-Nobelpreisträger, schrieb in einem Buch (1909), dass der „ener-getische Imperativ“ vor dem kategorischen stehe, weil die Energieverhältnisse allen gesell-schaftlichen Zuständen und Entwicklungen vorgeordnet seien. Hermann Scheer führte nun mit dem Begriff „energethisch“ beide Bedeutungen zusammen, Energie und Ethik und unterstellt sie dem Begriff Imperativ, als „ultimative Beschleunigung“ – seine letzten Worte seines letzten Buches.

Heldentum des Menschen
Mein Sohn Wolf Bütow lernte Hermann Scheer in Heidelberg kennen, auf einer Politik¬veran-staltung der Politikstudenten der Universität und wurde so zum Mitkämpfer bei Wahlveran-staltungen. Nach dem Studium arbeitete er eine Zeitlang bei EUROSOLAR in Bonn. Ich hatte Hermann Scheer wiederholt vor Wahlen in den Politikunterricht eingeladen und so lernten wir uns kennen. Ich arbeitete zu dieser Zeit an meinem Buch „Zeitgeistwandel“ und stellte es noch als Manuskript Hermann Scheer vor. Er las natürlich gleich das energiepolitische Kapitel und machte mir sehr interessante Vorschläge zur Ergänzung, mit vielen persönlichen Erfahrungen, von denen er noch wusste, in welchen Büchern er etwas dazu geschrieben hat. Ich könne das mit Quellenangaben verwenden. Eines der Beispiele erzählte er mir: Nach einer ORF-Fernsehdiskussion über Erneuerbare Energien sagte ein Vorstandsvorsitzender eines großen Stromkonzerns „persönlich vertraulich“ zu ihm: „Sie haben leider recht, aber wenn ich das öffentlich zugebe, bin ich morgen draußen. Was würden Sie denn tun, wenn Sie auf meinem Stuhl säßen?“ Hermann Scheer antwortete: Dass er sich nie auf seinen Stuhl setzen würde, aber auch kein Mitleid habe, wenn ihm diese Berufslüge eine Entschädigung in Millionenhöhe einbrächte. So auch manches andere. Ich las ihm aus einer Schrift des Philosophen Karl Jaspers vor, der von einem möglichen „Heldentum des Menschen“ schrieb: „Er verwirft die Erleichterung durch das, was alle tun und jedermann billigt, und lässt sich nicht erschüttern durch Widerstand und Ablehnung. Ihm eignet die Verlässlichkeit im Gehen eines Weges.“ Das trifft doch das Engagement Hermann Scheers als „Helden des grünen Jahrhunderts“ voll und ganz. Er war selbst davon beeindruckt und ergänzte gleich mit einem von ihm oft zitierten Ausspruch des Philosophen Schopenhauer, wonach eine neue Erkenntnis zuerst ignoriert, dann verspottet, dann bekämpft wird; und wenn sie sich durchgesetzt hat, waren schon immer alle dafür. Und dann fügte er hinzu, beginnt das Verwischen von Spuren der Bremser und alter Gegnerschaften.

Hermann Scheer hatte wahrlich Ecken und Kanten, aber kann man sonst Kämpfer sein? Sich selbst hat er auch nie geschont (z. B. ab 1980 keinen Urlaub mehr gemacht). Seine Reden zu seiner jährlichen Herbst-Veranstaltung „Martini“, als Resümee und Ausblick des Jahres, waren begeisternd: kompetent, knallhart sachlich, angriffslustig, auch witzig, nie unter der Gürtellinie und fair. Er blühte bei seinen Reden, die er meist frei hielt, förmlich auf. Deswegen war es bei seiner letzten Buchvorstellung in Fellbach auffällig, dass Franz Alt ihn vertreten hat, während er selber etwas weiter hinten sehr bleich auf Fragen antwortete. Da ging es ihm, der sonst vor Energie strotzte, offensichtlich schon sehr schlecht. Wenige Tage zuvor hatte er noch in Speyer den Deutschen Solarpreis verliehen. 1998 hatte er selber den Weltsolarpreis bekommen. Ein Jahr später erhielt er den Alternativen Nobelpreis. 2002 erklärte das Time Magazin ihn zu einer der wichtigsten Personen, die im 21. Jahrhundert zur Erhaltung der Erde beitragen. Die Zeitschrift sprach von seinem orkanartigen „Enthusiasmus“. Die Begeisterung in Amerika war beträchtlich. Am 14. Oktober starb er. Nicht einmal ein Jahr später kam nach Fukushima der Atomausstieg, der ja nur möglich war, weil bereits eine glaubwürdige und erfolgreiche Alternative vorlag. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein hoffnungsvoller Sprung in das energethische Solarzeitalter. „Willkommen im Anthropozän – unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde“ war das Motto der Sonderausstellung des Deutschen Museums in München 2015/16).

Lassen wir Hermann Scheer noch einmal, sozusagen in einem virtuellen „Martini“ zu Wort kommen mit jener großartigen Zusammenfassung der solaren Wende aus seinem letzten Buch:

Rückblick und Ausblick

„Wie bedrohlich der Wechsel zu erneuerbaren Energien für die Energiekonzerne ist, kann jeder ermessen, der sich konkret vor Augen führt, was geschieht, sobald dieser an Fahrt gewinnt. Jeder kann sich selbst die Frage beantworten, für wen die jeweilige Entwicklung vorteilhaft oder nachteilig ist. Es ist ein Wechsel

– von Importenergie zu ‚heimischer Energie‘, in allen Energie-Importländern, wozu die Mehrheit der Länder gehört;
– von kommerzieller zu nichtkommerzieller Primärenergie, die weder gefördert noch aufbereitet werden muss und außerdem nichts kostet;
– von einer teilweise über den halben Erdball reichenden Transportinfrastruktur für die Lieferung von Primärenergie (Pipelines, Schiffe, Züge, Tankwagen) zu einer Primärenergie, die keine Transportinfrastruktur braucht;
– von konventionellen Energiespeichern zu neuen Speicherformen für die bereits in Strom und Wärme umgewandelten erneuerbaren Energien;
– von wenigen Großkraftwerken zu zahlreichen Kraftwerken an vielen Standorten, und damit von wenigen Anbietern und konzentrierter Kapitalakkumulation zu vielen Anbietern, breit gestreuter Kapitalbildung und Wertschöpfung;
– von vielen Hochspannungsleitungen, ausgehend von Großkraftwerken, zu einer Netzstruktur, die von regional breit gestreuten Produktionseinheiten ausgehen muss;
– von der gegebenen Energielieferwirtschaft zur Produktion von Technologien, um erneuerbare Energien ernten, umwandeln und nutzen zu können.“