Ohne beschleunigte Energiewende ist ernstzunehmender Klimaschutz unmöglich

Resolution der Mitgliederversammlung der deutschen Sektion von EUROSOLAR vom 26. Oktober 2019
Energiebedingte Emissionen machen aktuell rund 85 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen aus. Das zeigt: Ohne sofortige Energiewende mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien ist ernstgemeinter Klimaschutz unmöglich. Der Vorstand und die Mitglieder der deutschen Sektion von EUROSOLAR e.V. fordern daher von der Bundesregierung die dringend notwendige, beschleunigte und ambitionierte Nutzung Erneuerbarer Energien. Nicht nur, um alles Leben vor den Folgen einer ungebremsten Klimaveränderung zu schützen, sondern auch, um den technologischen wie sozialen Fortschritt in Deutschland voranzubringen und als Vorbild für andere Industrienationen, Schwellen- und Entwicklungsländer zu dienen.

Für die Beschleunigung der Energiewende in der Bundesrepublik ist zunächst eine Reparatur des in den letzten Jahren in mehreren Schritten deformierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erforderlich. In den letzten zwei Jahrzehnten haben zahlreiche Novellen dazu geführt, dass aus dem Gesetz zur Förderung der Erneuerbaren Energien teilweise ein Energiewende-Verhinderungsgesetz geworden ist EUROSOLAR hat schon unter seinem Gründer Hermann Scheer, dem Architekten des ursprünglichen EEGs, eine Reparatur des Gesetzes gefordert, die nun dringender ist denn je. Konkret müssen im Sinne einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Politik folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Auflösung des Windkraft-Investitionsstaus durch Abschaffung des bürokratischen Vergabeverfahrens namens Ausschreibungen; mindestens eine Ausnahme-Regelung für Windkraftanlagen (maximal sechs Anlagen mit maximal sechs Megawatt) für kleine Windparks
  • Freistellung der Eigenversorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien von Steuern und Abgaben
  • Festschreibung eines jährlichen Ausbauziels von mindestens 6 GW Wind- und 12 GW Solarstrom
  • Anerkennung von Photovoltaik, Wasser- und Windkraft sowie effizienter und naturverträglicher Nutzung des Bioenergiepotentials als vorrangiger Beitrag gegen die Klimakrise und damit zum Natur-, Fisch- und Vogelschutz
  • Festschreibung der Erneuerbaren Energien als wichtiger Gemeinwohlbelang
  • Festschreibung des Einspeisevorrangs für Erneuerbare Energien

Auch warnt EUROSOLAR eindringlich vor einer – auch teilweisen – Verschiebung der EEG-Umlage in den Staatshaushalt. Mit dieser Änderung würde das Gesetz gefährdet, da es dem EU-Beihilferecht unterläge und die EU-Kommission dem Ausbau der Erneuerbaren bekanntermaßen nicht gerade wohlwollend gegenübersteht. Darüber hinaus wird die Umlage ab dem kommenden Jahr ohnehin sinken, denn die geförderten Projekte fallen nach und nach aus der Förderung. Bevor die Umlagekosten, die in den ersten 15 EEG-Jahren als Anschubförderung angelaufen sind, in einen Fonds überführt werden, muss anhand einer Protokollerklärung der EU-Kommission ausgeschlossen werden, dass sie diese Maßnahme als Beihilfetatbestand auffasst.

Darüber hinaus empfiehlt EUROSOLAR die folgenden Maßnahmen, um die Erneuerbaren Energien in der Klimakrise angemessener Geschwindigkeit auszubauen:

  • Entfesselung des sozial-solaren Mieterstroms

Die gemeinschaftliche Nutzung von lokal produziertem Strom auf Mietshäusern ist eine wesentliche Chance für die dezentrale und partizipative Energiewende in Bürgerhand. Das Potential von Mieterstrom ist enorm – 3,8 Millionen Wohnungen laut Bundesministerium für Wirtschaft (BMWI)—, doch es muss gehoben werden. Die aktuelle Politik der Bundesregierung macht dies eindeutig nicht: Im Mieterstrombericht von September 2019 stellt sie selbst fest, dass nur rund ein Prozent der gesetzlich möglichen Mieterstrommenge ausgenutzt wird. Im EEG 2017 wurde dafür ein Förderanspruch für direkt gelieferten Strom aus PV-Anlagen auf Wohngebäuden verankert. Laut diesem erhalten Anlagenbetreiber einen Mieterstromzuschlag.

Doch während der Eigenverbrauch aus Solaranlagen unter zehn Kilowatt vollständig und über zehn Kilowatt zu 40 Prozent von der EEG-Umlage befreit ist, fällt diese für die Nutzung von Mieterstrom in voller Höhe an. Zeitgleich ist der Mieterstromzuschlag auf weniger als ein Prozent zurückgegangen. Hier ist eine Anhebung das Mittel der Wahl. Weiterhin sollte der enge, im Gesetz geforderte „räumliche Zusammenhang“ zwischen Lieferung und Verbrauch des Stroms zumindest so ausgelegt werden, dass etwa Gebäude im selben Quartier mitversorgt werden können, ohne dass die Förderung entfällt. Auch der Verhinderung von Mieterstromprojekten durch entsprechende Regelungen, weil die Immobilienbesitzenden den Verlust ihrer Gewerbesteuerbefreiung fürchten, muss Einhalt geboten werden.

  • Ausnahmeregelungen für Windkraft

In der Windkraft sind in den letzten Jahren bereits 25.000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Ihr Ausbau wird von Bundesgesetzgeber und Bundesregierung durch ein absurd bürokratisches Vergabeverfahren ausgebremst. Das Genehmigungsverfahren ist derart langwierig, dass mehr als 10.000 Megawatt in vorbereitenden Verfahren feststecken. Darüber hinaus reformierte die Regierung den Auktionsmechanismus im Juni letzten Jahres so, dass Bürgerenergieparks ihre Besserstellung verloren. Die Folge: Im Jahr 2019 kamen bis Ende Juni in der ganzen Republik netto nur 35 neue Windkraftanlagen hinzu. Das ist die niedrigste Neubaurate seit knapp 20 Jahren. Derweil unterbieten sich die Regierungen der Länder mit überzogenen Flächenrestriktionen.

EUROSOLAR verlangt: Kleine Windparks mit maximal sechs Anlagen zu jeweils maximal sechs Megawatt installierter Leistung dürfen dem Zuteilungsregime zukünftig nicht mehr unterworfen werden.

  • Konvergenz der Energiemärkte

Sektorenkopplung ist die zentrale Strukturentscheidung für die Energiewende innerhalb einer Neuen Energiemarktordnung. Die Märkte für Strom, Wärme/Kälte und Verkehr müssen zusammengefügt werden, um ein flexibles erneuerbares Energiesystem versorgungssicher und preisgünstig zu gestalten. Das Hinauszögern dieses Schrittes birgt die stetige Gefahr energiepolitischer Fehlentscheidungen wie etwa die des überdimensionierten Netzausbaus.  Mit der dezentralen Abstimmung von Erzeugung und Verbrauch jedoch können derartige Transporte vermieden werden.             

EUROSOLAR fordert die sofortige Umsetzung dieser Maßnahmen, da ein Strommarkt für die Energiewende nur mit der Konvergenz der Energiemärkte durch die Kopplung der Energiebereiche Strom, Wärme/Kälte, Gas und Verkehr gelingen kann. Um die Aufgabe der Energiewende zu erfüllen, müssen heute die Weichen für Power‐to‐Heat, Elektromobilität und Power‐to‐Gas gestellt werden. Im Gegenzug fordert EUROSOLAR den Verzicht auf die Kapazitätsreserve und auf das kostspielige parallele Gleichstrom‐Super‐Netz (HGÜ‐Trassen) neben dem bewährten Drehstromnetz; beides begünstigt ein veraltetes Energiesystem mit zentralen Kohlegroßkraftwerken.

  • Verzicht auf überdimensionierten Netzausbau

Mit dem Vorwand, ausreichend Kapazitäten für den Transport erneuerbaren Stroms auszubauen, lässt sich die Bundesregierung von den Netzbetreibern vor den Karren spannen. Der Netzentwicklungsplan 2019 der Übertragungsnetzbetreiber (ÜBN) sieht vor, für über 60 Milliarden Euro Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) quer durchs Land zu bauen, die Macht der zentralistischen Stromkonzerne zu festigen und schließlich der Bevölkerung weiszumachen, dass dies im Namen der Energiewende geschehe. Die HGÜ-Trassen von Nord- nach Süddeutschland werden aber nicht für den angeblichen Transport von Windstrom  benötigt. Sie sichern vielmehr den ungehinderten Export und die Durchleitung von Kohle- und Atomstrom ins angrenzende Ausland – auch bei hoher Einspeisung von Sonnen- und Windstrom.

Dass die so genannten Stromautobahnen weder der Energiewende noch der Versorgungssicherheit dienen, lässt sich daran ablesen, dass die Summe des durch Windkraft onshore und offshore in den nördlichen deutschen Ländern (also nördlich der Linie Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Sachsen) erzeugten Stroms den Strombedarf in diesen deutschen Ländern selbst in optimistischsten Szenarien nicht übersteigt. Darüber hinaus können sie keine flexible Antwort auf die fluktuierende Stromerzeugung aus Erneuerbaren sein, da sie den Strom nur örtlich und nicht zeitlich verschieben. Anstatt Milliarden dort zu versenken, müsste die Versorgung vor Ort weitgehend gedeckt und mit Hilfe von Speichern und Power-to-X-Technologien in ein vollständig erneuerbares Energiesystem überführt werden.

  • Netzdienliche Integration von Energiespeichern

Für eine Energiewende, die ihren Namen verdient, sind Speichertechnologien essentiell. Sie stellen die wichtigste Flexibilitätsoption der Zukunft dar. Gleichzeitig bieten sie industriepolitisches Potential, das zu verschenken mehr als fahrlässig wäre. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass sie auf stabilisierende Art und Weise in die Netzregulierung integriert werden. Das neue Klimapaket der Bundesregierung kündigt zwar die Befreiung der Speicher von Umlagen an. Gleichzeitig aber wird ihnen nur der Status eines „Letztverbrauchers“ zugesprochen – was weder faktisch richtig noch politisch oder ökonomisch sinnvoll ist. Darüber hinaus wird die Umsetzung von der Entwicklung der Strompreise abhängig gemacht. Speicher brauchen keinen „Letztverbraucherstatus“ – sie sind ebenso wenig Stromverbraucher wie sie Stromerzeuger sind und brauchen deshalb eine eigene Kategorie.  

Analog zum Marktanreizprogramm für Erneuerbare Wärmetechnologien muss auch für Speicher ein Marktanreizprogramm geschaffen werden, das mittelfristig durch Instrumente im EEG, wie z.B. eine Reform der Flexibilitätsprämie bzw. eine Speicherprämie, abgelöst wird. Diese Regelung sollte auch Bioenergie‐, Wasserkraft‐ und Geothermie‐Anlagenbetreibern den Anreiz geben, ihre Energieerzeugung auf die schwankende Energieerzeugung aus Wind‐ und Solarkraftwerken abzustimmen. Regionale Verbundkraftwerke sind eine sachdienliche Option zum Bereitstellen von Regelenergie. Hierfür müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Andienung von Regel- bzw. Ausgleichsenergie so geändert werden, dass z.B. auch Verteilnetzbetreiber hier tätig werden können.

Fazit: Das EEG reparieren, nicht weiter deformieren! Außerdem darf es unter keinen Umständen durch eine Vermengung mit dem Staatshaushalt der Beihilfewillkür der Europäischen Kommission ausgesetzt werden. Insbesondere das enorme Potential der Windkraft sowie der Mieterstrom in seiner Eigenschaft als sozial gerechte und partizipative Form der Energieversorgung müssen gezielt und ambitioniert gefördert werden. Statt wertvolle Ressourcen auf unnötige Stromtrassen zu vergeuden, sollen Speichertechnologien bedarfsgerecht in die Netzstrukturen integriert werden.

Die Resolution finden Sie hier als PDF-Dokument.