Prof. Dr. Wolfgang Palz promovierte 1965 zum Dr. rer. nat. an der Universität Karlsruhe. Seine Doktorarbeit betraf die Beeinflussung der Infrarotempfindlichkeit des Photovoltaikeffektes. Von 1965 bis 1970 war er Professor für Halbleitertechnik an der Grande École ENSEM der Universität Nancy, Frankreich. 1977 wurde er durch die Europäische Kommission nach Brüssel berufen, wo er über 20 Jahre Leiter des Departements für Erneuerbare Energien wurde.
Interview mit Wolfgang Palz, erschienen im SOLARZEITALTER 1 – 2021
„Wasserstoff ist das neue Zauberwort zur Sicherstellung unserer zukünftigen Energieversorgung“ so lautet die Formel in Wissenschaft und Politik. Dazu gehören strategische Pläne sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Gemeinschaft. In seinem Beitrag (s. Kurzfassung S. SZA) beginnt Wolfgang Palz mit einer Rückschau auf das Jahr 1975, als die EU-Kommission ein Programm zur Energieversorgung ohne Atomenergie erstellte das auch den Wasserstoff einschloss.
SOLARZEITALTER: Sie waren an der Umsetzung des Programms prominent beteiligt und für die Bereiche Wind- und Sonnenkraft zuständig. Mit der ersten Frage möchte ich daher an den Forschungsstand jener Zeit anknüpfen. Die Umsetzung der Wind- und Solarenergie in eine Praxis mit regionalen Wertschöpfungsketten wurde schnell sehr erfolgreich. Politische Rahmenbedingungen, wie das Erneuerbare-Energie-Gesetzt (EEG) des deutschen Parlaments trug dazu entscheidend bei. Diese Entwicklung war aber nicht ohne begleitende Widerstände aus der überkommen Energiewirtschaft zu erwarten. Wie haben sie diese Zeit erlebt?
Wolfgang Palz: Windkraft und solare Photovoltaik (PV) haben sich quasi aus dem Nichts zu den führenden Stromquellen in vielen Industrieländern gemausert, eine industrielle Revolution, die von Deutschland eingeleitet wurde. Der Initiator war Hermann Scheer, damals ein prominenter Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag. In 1990/91 gelang es ihm zunächst das „Stromeinspeisegesetz“ auf den Weg zu bringen, das einen ersten Boom der Windenergie auf den Märkten auslöste, gefolgt vom EEG ab etwa dem Jahr 2000, das die PV in die Startblöcke hob. Für die PV wurden erstmalig die Dächerprogramme auf den Weg gebracht – damals gab es keine Häuser mit PV-Dächern, heute gibt es Millionen davon. Eine wesentliche Neuerung waren die „Fit“ (Feed-in-Tariffs), die Stromeinspeisung von Wind- und Sonnenstrom in die Netze. Die neuen Gesetze haben die etablierte Energiewirtschaft dabei kalt erwischt. Es ging um die Vergütung des eingespeisten Stroms durch die Netze. Die etablierte Industrie setzte alle Hebel in Bewegung um die Gesetze zu kontern, aber der Gang durch die Gerichte, bis zu den höchsten der EU und den Wettbewerbshütern der Kommission führte zu nichts. Noch heute sind die Einspeiseregelung und der Vorrang der Erneuerbaren in den Netzen Gesetz. Das deutsche Beispiel wurde begierig im Ausland übernommen und so entpuppten sich PV und Wind zu den Marktführern weltweit. Aber nicht mehr Deutschland ist der globale Schrittmacher heute sondern China. Hermann Scheer bekam meinerseits als Leiter der Solarprogramme der EU seit 1975 Unterstützung durch Ideen und vertragliche Förderung. Der Durchbruch war aber allein sein Verdienst.
SOLARZEITALTER: In Ihren Büchern zur Windkraft- und Sonnenkraft Entwicklung – die heute zu Standardwerken gehören – dokumentieren Sie auch die Rolle der Wissenschaft in den entscheidenden Entwicklungsfragen, aber auch die politischen Voraussetzungen. Was würden Sie als besondere Fakten dabei gern herausstellen?
Wolfgang Palz: Windkraft und PV haben gewaltige technologische Entwicklungen im Gepäck. Für die Windturbinen gab es vielfältige Entwicklungen, vor allem in Dänemark auf die man zurückgreifen konnte. Eine der ersten Herausforderungen war es, die Turbinen effizienter und größer zu machen – heute ragen sie bis zu 150 Meter in den Himmel. Dazu kommt heute die Offshore-Technologie, um den stärkeren und gleichmäßigeren Wind auf dem Meer zu nutzen, wo es auch weniger Gerangel um den Platz gibt, als auch um Geräuschpegel und Vogelgezwitscher. PV hat als Basis die Weltraumforschung (aus der ich selber komme), es gibt seit Mitte der 50er Jahre praktisch keine Satelliten ohne PV. Es gibt viele Arten von Solarzellen und noch immer viele Forscher auf dem Gebiet. Aber bis heute hat die Siliziumzelle, erfunden 1954, mit 95 Prozent die Oberhand auf den Weltmärkten behalten. Sie sind halt die besten und die billigsten. Insbesondere bei der PV war es die Massenproduktion, die zum Durchbruch am Markt geführt hat. Und es war ein weiter Weg, von 1€/kWh am Anfang in Deutschland bis gut 1cent/kWh an den besten Standorten in den Sonnengürteln heute.
SOLARZEITALTER: Obwohl schon im EU-Programm von 1975 der grüne Wasserstoff in einer zukünftig zu erwartenden Energieversorgung aufgenommen wurde, spielten aber Umsetzungsschritte in der Praxis nur eine geringe Rolle. Worauf führen Sie das zurück?
Wolfgang Palz: Das nichtnukleare Energieprogramm von 1975 war ein Forschungsprogramm und hatte nichts mit Markteinführung zu tun. Politisch sollte ein Zeichen gesetzt werden, dass nicht nur Atomenergie als neue Energie nach der Ölkrise 1973 in Frage kam. Die EU hat es beschlossen nach einem Wink aus Paris. Ich arbeitete damals mit der französischen Regierung in Paris und hatte ein Großes Solarprogramm auf Basis von PV für Frankreich vorgeschlagen (ich war damals M. Energie solaire in Paris, unterstützt vom Präsidium der franz. Weltraumbehörde CNES). Zu der Zeit 1973/74 war noch kein Atomprogramm für Frankreich beschlossen und es gab Diskussionen auf allen Ebenen zwischen den Befürwortern der Atom- bzw. der Solarenergie. Die Atomindustrie mit ihrer gewaltigen Lobby hat natürlich das Rennen gemacht. Heute haben die Franzosen 59 Atomblöcke in Betrieb und sie sind stolz darauf, sowohl die Regierung als auch die öffentliche Meinung. Damals hat Paris gesagt, dann soll Europa doch ein Solarprogramm machen. Und ich wurde dessen Leiter, eingestellt vom deutschen General Direktor für Forschung und Entwicklung G. Schuster.
SOLARZEITALTER: Das Wasserstoffprogramm der EU hatte drei Schwerpunkte wie Sie schreiben: 1) die elektrolytische Produktion, 2) Wasserstoff- Speicher und Transport sowie 3) Wasserstoffproduktion auf thermischer und chemischer Basis. Daran schlossen sich wissenschaftliche Projekte an mit umfassenden Fortschrittsberichten auf jährlichen internationalen Kongressen seit 1976. Aber erst durch das neue öffentliche Bewusstsein über den Klimawandel unterstützt durch die Pariser Beschlüsse 2015 wurde die Forderung nach „grünem“ Wasserstoff in der Wissenschaft und Politik ein viel diskutiertes Thema. Wie erklären Sie diesen langen Zeitraum?
Wolfgang Palz: Der grüne Wasserstoff ist bis heute zu teuer und nicht wettbewerbsfähig in den Energiemärkten. Da er ja aus Strom aus PV und Windkraft gewonnen wird mussten die erst mal billiger werden. Wie Sie richtig sagen gibt es heute seit den Pariser Beschlüssen von 2015 weltweit ein neues Bewusstsein für die Notwendigkeit einer umfassenden Energiewende, in der auch die Treibstoffe nachhaltig werden müssen. Also auch eine Zukunft für den grünen Wasserstoff.
SOLARZEITALTER: Da Wasserstoff keine Primärenergie darstellt und grüner Wasserstoff klimaneutral nur über Erneuerbare Energien erzeugt werden sollte, brauchte es wohl diese 20 Jahre. Wie sehen Sie aber die notwendigen industriellen Voraussetzungen dazu heute – welche Rolle wird dabei aus Kostengründen die Wasserstoffproduktion aus Erdgas als „grauem“ Wasserstoff spielen?
Wolfgang Palz: Es ist anzunehmen, dass die Produktion von grauem Wasserstoff auch in Zukunft auf heutigem Niveau fortgeführt wird. Die Herausforderung ist aber der Einsatz vom neuen grünen Wasserstoff in den Energiemärkten, und das in großem Stil. Eine gewaltige Industrie aus der konventionellen Energiewirtschaft aber auch interessante Start-Ups haben sich dazu bereits engagiert.
SOLARZEITALTER: Deutschland will einerseits Wasserstoff aus Saudi-Arabien importieren andererseits starten Unternehmen in Deutschland die industrielle Produktion von Wasserstoff aus Windkraft zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie. Sehen Sie darin einen Widerspruch?
Wolfgang Palz: Heute stehen alle Optionen offen. Und es sind viele. Die Saudis als große Exporteure von Öl und Gas wollen natürlich sehn, was es mit dem Treibstoff der Zukunft so auf sich hat. Dieses Projekt finanziert von Deutschland sollte man nicht überbewerten. Es ist nur eines von vielen. In der Presse wird fast jeden Tag ein neues vorgestellt.
SOLARZEITALTER: In Ihrem Beitrag überschreiben Sie Ihren Ausblick: MAKE EUROPE AND THE WORLD GREEN AGAIN. In welchem Zeitrahmen und unter welchen politischen Rahmenbedingungen sehen Sie diese Forderung und Möglichkeit?
Wolfgang Palz: Die Welt wieder grün, wieder zukunftsfähiger zu machen, sollte unser aller Anliegen sein, nicht nur das der Jugend. Es wurde schon viel geschafft. Aber bis 2050 unseren Kontinent klimaneutral zu machen, das wird schwer. Und wie schon Hermann Scheer sagte, erst sollte man mal das Kriegsgeheul in der Welt reduzieren. Was soll man davon halten, wenn jetzt sogar Biden den sog. „Verteidigungshaushalt“ der USA erhöht? Unvorstellbare Mengen an Geld für den Krieg.
SOLARZEITALTER: Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Irm Scheer-Pontenagel, Herausgeberin SOLARZEITALTER.