IRES – International Renewable Energy Storage Conference 2006 – 2021

Vor fünfzehn Jahren führten EUROSOLAR und der Weltrat für Erneuerbare Energien (WCRE) die erste IRES-Konferenz unter hoher öffentlicher Aufmerksamkeit durch, denn die Frage der Speicherung von Energie im Rahmen eines Energieversorgungssystems spielte zwar unter Fachleuten, aber in der allgemeinen Öffentlichkeit keine besondere Rolle.

Interview mit Dirk Uwe Sauer, erschienen im SOLARZEITALTER 1 – 2021

Erst mit der Nutzung Erneuerbarer Energien (EE) und ihrem rasanten Ausbau nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) wurde in Deutschland die Diskussion über die Möglichkeiten kontrovers diskutiert. Gefördert wurde die Stromerzeugung aus Wind-, Solar- und Biomassekraftwerken, aber von wirklich systemrelevanten Anteilen der EE wurde nicht ernsthaft ausgegangen. Entsprechend wurden weder die Themen der Energiespeicher oder Stromnetze noch des dynamischen Lastmanagements und die sektorenübergreifende Zusammenführung des Energiesystems diskutiert.

Unterstützt durch die fossile Energiewirtschaft wurde die Energiesystemwende mit EE diskreditiert. Als „nicht grundlastfähig“ müssten fluktuierende Energieangebote der EE immer über fossile Energien ausgeglichen werden. Kohlehalden und Gaspipelines sowie Öllieferungen mit Transportketten (um den halben Globus) seien dazu die Voraussetzung. Diese Diskussion führte zu harten politischen Auseinandersetzungen. Die Forderung nach einem Übergang vom fossilen zum solaren Zeitalter wurde als „Ideologie“ verunglimpft. Einseitige Wirtschaftsinteressen bilden dazu den Hintergrund heute wie damals. Ein dem Gemeinwohl geschuldeter Energiesystemwandel fordert aber unterstützende politische Rahmenbedingungen. Diese anzumahnen bleibt weiterhin Aufgabe. Im Einladungstexten zur IRES formuliert EUROSOLAR die umfassende Bandbreite der technischen Möglichkeiten.

Die überall auf der Erde verfügbaren natürlichen Potenziale Erneuerbarer Energien ermöglichen den vollständigen Ersatz fossiler und atomarer Energien bei der Strom- und Wärmeversorgung sowie für die Mobilität und die Industrie. Dieser Umbau erfordert einen Mix der verschiedenen Formen Erneuerbarer Energien, die sich wechselseitig ergänzen, die Ausrichtung der Versorgungsnetze und deren Management auf die Erneuerbaren Energien und natürlich die Speicherung von Strom und Wärme für verschiedene Anwendungen, Leistungsbereiche und Zeiträume. Dies eröffnet bahnbrechende Möglichkeiten zur dynamischen Entfaltung Erneuerbarer Energien in vielfältigen energieautonomen Formen: für Unternehmen, beim Wohnen, in Siedlungen, Städten, Regionen und Ländern. Darin stecken enorme Chancen für technologische Innovationen, die zukunftsweisende industrielle Perspektiven eröffnen.

In der Fachwelt hat sich die jährliche Konferenz als zentraler Ort des Wissens- und Meinungsaustauschs über eine der Schlüsselfragen der künftigen Energieversorgung etabliert. Neben Hermann Scheer als Ideengeber dieser Konferenzserie ist Dirk Uwe Sauer als langjähriger Scientific Conference Chairman Gestalter der ersten Stunde. Im Rahmen dieses Interviews spricht Herrn Sauer über seine Erfahrungen und beurteilt die Bedeutung dieser Konferenzserie auch angesichts der gerade erfolgreich abgeschossenen 15. Konferenz, die – der besonderen Zeit geschuldet – digital stattgefunden hat.    

SOLARZEITALTER: Energiespeicher spielen auf vielen Ebenen der Energieversorgung eine entscheidende Rolle. Über Ihre wissenschaftliche Tätigkeit haben Sie Erfahrungen und kennen das Gesamtspektrum mit seinen technischen Möglichkeiten. Über Ausschreibungen des wissenschaftlichen Beirats von EUROSOLAR wird die internationale Wissenschaft aufgefordert, sich mit Referaten und Projekten zu bewerben (Call for Papers). Wie hat sich das wissenschaftliche Spektrum in den fünfzehn Jahren verändert?

Dirk Uwe Sauer: Die IRES hat von Anfang das abgebildet, was heute unter dem Begriff „Sektorenkopplung“ geführt wird. Speicher für elektrische Energie, Wärme und chemische Energie in stationären und mobilen Anwendungen waren Themen bereits der ersten Konferenzen. Die ganzheitliche Betrachtung des Energiesystems ist immer ein besonderes Anliegen der Konferenz gewesen und daher haben wir immer auch Beiträge zur Energiesystemanalyse gehabt, die aufgezeigt haben, wie das Energiesystem bis zu 100 Prozent Erneuerbare Energien umgebaut werden kann. Da in den ersten Jahren die Zahl der Forschenden im Speicherbereich noch relativ klein war und auch das Interesse der Industrie, sich überhaupt erst Mal einen Überblick zu verschaffen, haben wir in den ersten Jahren das Programm sehr bewusst so gestaltet, dass möglichst die ganze Palette an Technologien vorkam.

Dieser mehr bildende Charakter ist dann mehr und mehr der Präsentation von technischen Details gewichen. Wir haben aber auch immer Wert daraufgelegt, Beiträge zu präsentieren, die praktische Beispiele und Feldergebnisse präsentiert haben. Heute glauben alle, dass Speicher gebaut und betrieben werden können, aber vor einigen Jahren war es noch sehr wichtig, die praktischen Erfahrungen aufzuzeigen. Insgesamt kann man sagen, dass die Zahl der Beiträge zu den chemischen Speichern (Wasserstoff, EE-Methan etc.) zugenommen haben während sich im Bereich der Batteriespeicher eine starke Fokussierung auf die Lithium-Ionen-Batterien ergeben hat. Es werden immer noch auch andere Batterietechnologien vorgestellt, aber bei vielen haben sich die Hoffnungen auf einen erfolgreichen Markteintritt oder Ausbau von Marktanteilen nicht erfüllt. Es werden weiterhin auch viele Studien für intelligentes Energiemanagement von Haushalten inkl. Strom, Wärme und Mobilität sowie für Vehicle-to-Grid-Konzepte vorgestellt. Was ziemlich gleichgeblieben ist, ist vor allem für den deutschen Markt die Feststellung, dass das Ausrollen der Speichertechnologien im großen Umfang an den mangelnden rechtlichen und regulatorischen Randbedingungen scheitert. Deutschland bleibt mit Ausnahme weniger Marktsegmente ein schwieriger Markt für Speichersysteme.

SOLARZEITALTER: Speicher braucht jedes Energiesystem. Warum war aber auch in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft dieses Thema lange nicht aktuell?

Dirk Uwe Sauer: Die Wissenschaft kann sich in größerem Umfang um Themen kümmern, die von Politik und Gesellschaft finanziert werden oder wo es fühlbare Probleme gibt. In den führenden Forschungsinstituten zu Erneuerbaren Energien, dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und dem National Renewable Energy Laboratory (NREL) in den USA sind auch die Themen der Speicherung in den Dimensionen Batterien für Strom, Nieder- und Hochtemperaturwärmespeicher sowie Wasserstoff als chemisches Speichermedium immer Themen gewesen. Aber Politik und Gesellschaft haben lange nicht wahrhaben wollen, dass ein massiver Umbau des Energiesystems bis zum vollständigen Ersatz der fossilen und nuklearen Energieträger in absehbarer Zeit möglich sein würde. Dazu kommt, dass gerade in Deutschland durch seine starke Einbindung in das europäische Stromnetz, durch einen noch aus der Zeit vor Liberalisierung stammenden Kraftwerkspark mit hohen Überkapazitäten und einem sehr gesunden Mix an Grund-, Mittel- und Spitzenlastkraftwerken und durch ein mit hohen Kosten sehr sicher gemachtes Stromnetz geprägt ist. Letzteres zeigt sich gerade im Vergleich mit den USA immer wieder. Während dort bei jedem größeren Strom in weiten Bereichen Stromausfälle auftreten, ist dies in Deutschland durch die weitgehende unterirdische Verkabelung der Mittel- und Niederspannungsnetze und der Redundanz im Übertragungsnetz nichts Ähnliches festzustellen. Entsprechend gab es weder im privaten Bereich noch in der Industrie ein Bedarfsgefühl für Speicher. Die amerikanische Szene ist das viel weiter gewesen, allerdings eben als Folge einer sehr unzuverlässigen Stromversorgung.

Durch den massiven gesellschaftlichen Einsatz, gerade auch von EUROSOLAR forciert und unterstützt, ist es dann zumindest mit dem EEG gelungen, die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien voranzubringen. An einen derartigen Erfolg des EEGs und den unglaublichen Senkungen der Kosten der EE-Stromerzeugung bereits um das Jahr 2020 herum, haben aber auch nur wenige Optimistinnen und Optimisten vor 15 bis 20 Jahren kaum geglaubt. Das zeigt sich z.B. in Studien von Greenpeace und anderen. Auch deren Studien wurden in Bezug auf Kapazitätszubau und Kostenentwicklung immer wieder von der Realität überholt.

Entsprechend lag der Fokus erst einmal darin, die Grundlage für die Wende in der Energieversorgung durch die neuen Stromerzeuger zu schaffen. Erst dann haben sich die Fragen gestellt, was passiert eigentlich, wenn 50, 80 oder 100 Prozent der Stromerzeugung aus fluktuierenden Quellen kommt? Was bedeutet das für den Speicherbedarf, den Netzausbau oder auch den flexiblen Betrieb der Verbraucher und die notwendige Digitalisierung der Energiesysteme. In den 1990er Jahren wurde Forschung an elektrischen Speicher in Deutschland von einer abzählbaren kleinen Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern betrieben, fast alle thematisch auf das Gebiet der netzfernen Stromversorgungen fokussiert, da diese immer schon Speicher benötigt haben und in denen die Photovoltaik früh die wirtschaftlichste Energieversorgungsquelle gewesen ist. Das ist auch der Bereich, in dem ich das Thema Speicher seit 1992 erlernt habe. Klar ist aber auch, dass nur diese großen Erfolge bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien Beschlüsse wie die Klimaneutralität 2050 erst möglich gemacht haben und es eben auch klar ist, dass das technisch und wirtschaftlich zwar mit einem großen Kraftakt verbunden ist, aber gut zu erreichen ist.

SOLARZEITALTER: Die IRES-Konferenz hat dieses Jahr erstmals als vollständige Konferenz digital stattgefunden. Was halten Sie für die Stärken und Schwächen dieses Formats und was sollten wir für die Zukunft daraus lernen?

Dirk Uwe Sauer: Die Corona-Pandemie hat uns ja alle zwangsweise in neue Format der Kommunikation und des Austauschs gezwungen und wenn wir in einigen Jahren auf diese schwierige Zeit zurückschauen, so wird – davon bin ich überzeugt – als einer der wenigen positiven Aspekte hängenbleiben, dass die digitalen Kommunikationsformate auch erhebliche Vorteile bringen. Ich bin davon überzeugt, dass zukünftige Konferenzen hybride Veranstaltungen sein müssen, bei denen jeder zwischen persönlicher oder digitaler Teilnahme wählen kann. Wir werden lernen müssen, wie das optimal funktioniert.

Insbesondere für die IRES sehe ich darin eine große Chance. Die Rettung des Klimas aber auch die segensbringende verbreitete Nutzung der Erneuerbaren Energien wird uns nur gelingen, wenn „Energiewende“ nicht nur ein Projekt der reichen westlichen Länder bleibt. EUROSOLAR zusammen mit dem World Council for Renewable Energy (WCRE) verfügt über ein weltweites Netzwerk in viele Länder dieser Welt. Mit hybriden Konferenzen können wir Vertreterinnen und Vertreter aus dem akademischen, dem politischen und dem industriellen Bereich aus der ganzen Welt zusammenbringen. Studierende oder Politikerinnen und Politiker aus Afrika, Asien oder Südamerika können für ihre Länder und Regionen eigene Sessions gestalten, zu den technologiebezogenen und insbesondere anwendungsbezogenen Sessions beitragen und gleichzeitig an allen Veranstaltungsteilen teilnehmen. Damit haben wir die Chance auf eine Kommunikation und einen Austausch, der so heute aufgrund der hohen Reisekosten (natürlich auch verbunden mit erheblichen Emissionen) unmöglich ist, aber gerade auch den jungen Menschen in aller Welt ganz neue Chancen der Teilhabe und des Beitrags ermöglicht. Mit einer Veranstaltung können wir die Welt zusammen- und damit entscheidend voranbringen.


SOLARZEITALTER: Ausstellungen im Rahmen der IRES fanden verständlicherweise zunächst in einem sehr bescheidenen Rahmen statt. Erst in der Zusammenarbeit mit der Messe Düsseldorf gab es neue Möglichkeiten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? (die wegen der Corona-Pandemie ins nächste Jahr verschoben werden muss).

Dirk Uwe Sauer: In vielen Bereichen gehen wissenschaftliche Konferenzen und Messeausstellungen Hand in Hand. Das macht viel Sinn, weil der wechselseitige Austausch von großem Wert ist. Die Forschenden aus den akademischen Bereichen sehen, was heute bereits geht, können aber im Gespräch mit der Industrie auch herausfinden, wo die es noch Probleme und offene Fragen ergeben. Es können sich auch Kontakte ergeben, die dabei helfen, z.B. Feldanlagen in die wissenschaftliche Forschung mit einzubeziehen. Umgekehrt ist es für Industrievertreter sehr wichtig, den Stand in der Forschung zu kennen. Die IRES war immer ein wichtiger Anlaufpunkt für Vertreterinnen und Vertreter aus der Industrie, um einerseits eine Einordnung in die Möglichkeiten und Potentiale einer globalen Energiewende zu sehen und andererseits die technischen Potentiale verschiedener Technologien im Detail kennen zu lernen. Gerade dieser Austausch geht aber leider über die digitalen Kanäle nur bis zu einem gewissen Grade. Messeausstellungen werden wohl noch lange am besten als Präsenzveranstaltung funktionieren. Von daher glaube ich weiter, dass die gemeinsame Veranstaltung der IRES mit der Messe in Düsseldorf und dem Bundesverband BVES eine gute Sache ist, insbesondere wenn es gelingt, durch die Digitalisierung die IRES noch weltumfassender aufzustellen.

SOLARZEITALTER: Weichenstellungen in der Energieversorgung aber auch politische Förderrahmenbedingungen orientieren sich mehr und mehr an der Forderung nach „Klimaneutralität“. Welche Erwartungen knüpft man in diesem Zusammenhang an Speicher in einem Energiesystem?

Dirk Uwe Sauer: In der Tat gilt die größte politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Sorge dem Klimawandel. Gerade für den Bedarf von Speichertechnologien haben die beiden vergangenen Jahre eine geradezu dramatische Veränderung in der Wahrnehmung der Notwendigkeit ergeben. Die politische Festlegung sowohl der EU als auch der deutschen Bundesregierung bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, hat die Situation gegenüber den vorher definierten Zielen von vielleicht 85 oder 90 Prozent CO2-Reduktion bis 2050 in Bezug auf den Speicherbedarf vollständig verändert. Alle Studien haben immer schon gezeigt, dass gerade der Langzeitspeicherbedarf erst jenseits von 80 Prozent Anteil Erneuerbarer Energien relevant wird und dann in Richtung 100 Prozent Klimaneutralität nahezu exponentiell ansteigt. Dazu kommt, dass damit auch klar ist, dass es nicht nur um den Stromsektor, sondern auch den Wärme-, den Mobilitäts- und den Industriesektor geht und die Aufgabe damit wirklich sehr groß ist. In der Summe wird allein für Deutschland über Kapazitäten Erneuerbarer Energien von mehreren 100 GW gesprochen und es einfach völlig klar, dass es da ohne Speicher nicht geht. Gerade auf der letzten IRES-Konferenz habe ich noch mal dargestellt, welche Systemrelevanz die Speicher haben. Wir brauchen sie auf Zeitskalen von Millisekunden für die Netzstabilität bis zu Wochen, um saisonale Schwankungen und mehrwöchige Schlechtwetterperioden zu überbrücken und wir brauchen sie Längenskalen vom Haushalt über Quartiere bis zum Ausgleich innerhalb Deutschland aber auch innerhalb Europas und dem Austausch über die Kontinente hinweg.

Gerade auch durch die Elektrofahrzeuge werden erhebliche Speicherkapazitäten zugebaut. Spätestens Ende 2023 wird die in PKWs auf der Straße stehende Speicherkapazität die aller deutschen Pumpspeicherkraftwerke überschreiten. Es ist ein großes Verdienst der IRES-Konferenzserie, frühzeitig den Boden dafür bereitet zu haben, so dass es heute eine klare Vorstellung von den verfügbaren Technologien gibt, das klar ist, wie sie funktionieren können und dass es auch Köpfe gibt, die in der Lage sind, Speicher und deren Systemintegration zu denken und damit voran zu bringen. Aber auch die Alternativen bzw. Ergänzungen der Speicher wie ein geeignetes Lastmanagement sind im Prinzip gut verstanden und es besteht viel Know-how, um auszurechnen, wann und wo es Speicher braucht. Das ist wichtig, denn im Vergleich mit dem Ausbau erneuerbarer Stromerzeuger, die wir aus heutiger Sicht einfach immer noch mit maximalen Tempo vorantreiben müssen, sollen Speicher immer nur gerade so viel gebaut werden, wie es für den wirtschaftlichen und stabilen Betrieb des Stromnetzes sinnvoll ist. Dann wird in der Regel auch ein ökologisches Optimum erreicht.

SOLARZEITALTER: Wasserstoff als Speichermedium spielt in der aktuellen Diskussion eine hervorgehobene Rolle. Was erwarten Sie von der „Wasserstoffinitiative“ in Deutschland aber auch in der Europäischen Gemeinschaft?

Dirk Uwe Sauer: Die Diskussionen zum Wasserstoff sehe ich mit großer Ambivalenz. Einerseits ist völlig klar, dass ein Energiesystem, dass eine Klimaneutralität ermöglicht, ohne wirklich großen Mengen Wasserstoff nicht auskommt. Das ist auch alles andere als eine neue Erkenntnis. In den Kreisen der Forschenden im Bereich Erneuerbarer Energien ist das Thema auch in den 1980er Jahren schon intensiv diskutiert worden und das DLR hatte z.B. seit Mitte der 1980er Jahre ein Projekt mit Kanada um zu analysieren, wie dort aus den großen Wasserkraftressourcen der Provinz Quebec Wasserstoff hergestellt und nach Deutschland bzw. Europa verschifft werden könnte. Gerade auch die Defossilisierung der Industrie mit ihren enormen Bedarfen für die organische Chemie, die Stahl- oder Zementherstellung aber auch der Kraftstoffherstellung für Schiffe und Flugzeuge verlangt nach großen Mengen Wasserstoff. Die dafür benötigt Menge Strom ist leicht so groß, wie der heutige Stromverbrauch in Deutschland.

Andererseits hat die Diskussion um den Wasserstoff ein Ausmaß erreicht, dass viele Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch im wissenschaftlichen Bereich, meinen lässt, dass der Wasserstoff die Lösung aller Probleme im Energiesektor sei. Dabei wird vielmals übersehen, dass der Wasserstoff eben nur ein Speichermedium ist und zuvorderst der massive Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung vornehmlich aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen stehen muss. Zudem muss klar sein, dass Wasserstoff eine wertvoller aber durch die zusätzlichen Wandlungsschritte teurer und weniger effiziente Energieträger im Vergleich mit Strom ist. Daher ist es für mich unverständlich, wenn Wasserstoff auch im Straßenverkehr oder als Ersatz für Erdgas für Heizungssysteme von einigen eingeplant wird. Hier sind Lösungen über die direkte Nutzung von Strom mittels Batterien (Mobilität) und Wärmepumpe (Hauswärme) wesentlich effektiver und in Bezug auf eine schnelle Reduzierung der CO2-Emissionen zielführender.

Zudem kenne ich noch kein überzeugendes Konzept dafür, wie eine weltweite Wasserstoffwirtschaft aussehen soll. Insbesondere muss geklärt werden, wer die Investitionsrisiken tragen wird. Wasserstoff (oder daraus hergestellte Kohlenwasserstoffe) ist also für eine klimaneutrale Welt unverzichtbar und es wird höchste Zeit, die Forschung und Entwicklung in dem Bereich massiv auszubauen und auch Erfahrungen über Demonstrationsanlagen zu gewinnen. Aber in Bezug auf die Herausforderungen einer „Energiewende“ hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft ist der Wasserstoff nur ein wichtiger Baustein, aber nicht die Lösung aller Probleme. Sehr teure und über viele Jahrzehnte abzuschreibende Infrastrukturen machen frühzeitige, aber weitsichtige Weichenstellung notwendig. Wer die Weisheit hat, diese Entscheidung zu treffen, muss aber wohl noch geklärt werden.

SOLARZEITALTER: Die EU-Kommission setzt das Ziel: „Klimaneutralität bis 2050“. Im Energiemix soll dabei neben Erdgas „grünem und grauem“ Wasserstoff auch die Atomenergie weiterhin eine Rolle spielen. Sehen Sie dazu eine Notwendigkeit?

Dirk Uwe Sauer: Die Diskussion um die Atomkraft kommt immer wieder und das, obwohl neben all der Fragen der Risiken, der ungelösten Endlagerfragen und der Gefahren der Proliferation von Atomtechnik und Atommaterial umfassend gezeigt worden ist, dass der Neubau von Atomkraftwerken wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Schon heute können neue AKWs nicht mit den Stromgestehungskosten von Wind- und PV-Anlagen konkurrieren. Dazu kommt, dass bei einer Neubauplanung Kapital für rund 50 Jahren gebunden wird und in dieser Zeit werden erneuerbare Energien und deren Systemeinbindung weiter immer günstiger werden und damit die Wirtschaftlichkeit der AKW noch weiter reduzieren. Aber auch ein gemeinsamer Betrieb von Wind- und Solarkraftwerken einerseits und von AKW andererseits macht gar keinen Sinn, weil die AKW dann viele Stunden im Jahr gar keinen Strom absetzen können.

Die Diskussion um die AKW kann aber auch deswegen immer wieder auf die Tagesordnung kommen, weil nicht klar unterschieden wird zwischen dem Neubau und dem Weiterbetrieb bestehender AKW. Wenn in Frankreich über die Nutzung von AKW-Strom für die Wasserstoffherstellung gesprochen wird, dann geht es um bestehende Anlagen, deren Laufzeit der französische Staat ja noch mal deutlich verlängert hat. Mit dem gleichzeitig auch in Frankreich einsetzenden Ausbau der Erneuerbaren Energien werden dann Kapazitäten der AKW frei, die vielleicht in die Richtung gehen. Das wird aber ein vorübergehendes Phänomen sein, denn auch aus Frankreich habe ich noch nie eine Rechnung gesehen, die den Neubau von AKW speziell zur Wasserstoffherstellung als eine wirtschaftlich sinnvolle Option ansehen würde.

Der andere Punkt, der in der Diskussion immer wieder übersehen wird: Da, wo sich AKWs im Bau oder in der Planung befinde, sind es von staatlicher Seite abgesicherte Investitionen, was z.B. beim Neubau in Großbritannien in Hickley Point dazu führt, dass die AKW-Betreiber über 35 Jahre eine Vergütung bekommen werden, die bei rund dem dreifachen dessen liegt, was Strom aus Windkraftanlagen an den guten Küstenstandorten in Großbritannien kostet. Ich kenne keine seriösen Energiefirmen, die den Neubau von AKW in einem rein marktlichen Umfeld planen. Und das ist gut so.

 
SOLARZEITALTER: Prof. Sauer, haben Sie vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Irm Scheer-Pontenagel, Herausgeberin SOLARZEITALTER.