Artikel von Dr. Fabio Longo, erschienen im Solarzeitalter 1 – 2021
Auf Bundes- und Landesebene ist die Verpflichtung zum Einbau von Photovoltaikanlagen derzeit in aller Munde. Die Länder Baden-Württemberg und Hamburg haben bereits in ihren Klimaschutzgesetzen die Weichen gestellt, in Berlin ist das Gesetzgebungsverfahren für das Solargesetz weit fortgeschritten. Weitere Bundesländer stehen in den Startlöchern. Zeitgleich haben SPD und Grüne Programme zur Bundestagswahl vorgelegt, die eine PV-Pflicht vorsehen. Wie passt eine PV-Pflicht in den Gesamtkontext der Solarpolitik?
Neuer Impuls: PV-Pflicht
Nachdem sich die Photovoltaik auf Dachflächen inzwischen zu einer der günstigsten Arten der Stromerzeugung entwickelt hat, haben einige Bundesländer erkannt, dass Gebäude standardmäßig mit PV-Anlagen ausgestattet sein sollen. Die weitgehende Nutzung der Solarressourcen Dach und Gebäudehülle ist eine Voraussetzung, um eine Energieversorgung aus 100 % Erneuerbaren Energien erreichen zu können.
Vorreiter auf dem Weg zum Solarstandard auf Gebäuden sind die Städte Marburg, Waiblingen, Tübingen und Kaiserslautern, in deren Bebauungsplänen der Einsatz von Solaranlagen vorgeschrieben wird. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin gehen über diese Festsetzungen in Bebauungsplänen hinaus und regeln die PV-Pflicht in allgemeinen Landesgesetzen. Hamburg hat dazu schon eine Umsetzungsverordnung erlassen, in Baden-Württemberg ist sie in Arbeit. Das Solargesetz Berlin ist vom Senat beschlossen und befindet sich in den letzten Zügen der parlamentarischen Beratung im Abgeordnetenhaus.
In Baden-Württemberg wird die PV-Pflicht als erstes gelten und zwar schon ab 2022 beim Neubau von Nichtwohngebäuden und großen offenen Parkplätzen ab 75 Stellplätzen. Die Umsetzungsverordnung ist derzeit in Arbeit. Im Zuge der Bildung einer neuen Landesregierung aus Grünen und CDU haben sich die Parteien im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Klimaschutzgesetz auf Wohngebäude, grundlegende Dachsanierungen im Bestand und auf mittelgroße Parkplätze zu erweitern.
In Hamburg sind Gesetz und Umsetzungsverordnung schon in Kraft und gelten ab 2023 für den Neubau und ab 2025 auch im Gebäudebestand im Falle einer umfassenden Dachsanierung. Nach dem Senatsentwurf für das Solargesetz sollen im Land Berlin ab 2023 auf Neubauten und bei wesentlichen Umbauten des Daches PV-Pflichten greifen. Aus den Ländern Bremen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern sind Absichten für die Einführung von PV-Pflichten bekannt geworden.
Bundespolitische Ausstrahlung
Der Bundespolitik sind die Vorteile zum Ausrollen der günstigen Photovoltaik nicht verborgen geblieben, weshalb auch in der Hauptstadt das Thema PV-Pflicht angekommen ist. Initiativen hierfür sind von der SPD-Bundestagsfraktion im Rahmen der Gesetzgebung für das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021) ergriffen worden. Auch Bundesumweltministerin Schulze (SPD) hat sich für den Solarstandard auf Gebäuden stark gemacht. Der für die Energiewende zuständige Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier (CDU) und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben diese Initiativen abgeblockt. Hilfreich waren diese Initiativen trotzdem, weil sie das Feld erweitert haben, um die eigentliche Aufgabe der Erneuerbare-Energien-Gesetzgebung des Bundes zu stärken: Wirtschaftliche Investitionsbedingungen für den Ausbau Erneuerbarer Energien zu schaffen. Genau dies ist nach harten parlamentarischen Verhandlungen und einer starken Stimme aus dem Bundesrat mit dem EEG 2021 erst einmal für die Photovoltaik gelungen (näher hierzu der Beitrag von Gremmels/Geipel in diesem SZA-Heft). Dadurch konnte der Versuch abgewendet werden, den Photovoltaik-Zubau abzuwürgen, wie es noch der erste Gesetzentwurf von Minister Altmaier vorsah. Konkrete Vorschläge von EUROSOLAR wurden im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen. Die Photovoltaik ist wieder zurück und diesen Erfolg gilt es jetzt zu sichern.
EEG und Ausbauziele für PV
Nach Abschaffung des absoluten Solardeckels in 2020 und durch die Anpassungen im EEG 2021 setzt sich der kleine Solarboom der letzten Jahre auch in 2021 fort. Die Talsohle nach dem EEG 2012 ist durchschritten, in 2020 hatten wir einen PV-Zubau von knapp 5 GW. Weil auch mit dem EEG 2021 nicht alle Problembaustellen der Photovoltaik gelöst werden konnten, kann sich das Investitionsklima bei dem erwünscht starken Zubau allerdings schnell wieder verfinstern, insbesondere im Hinblick auf hinreichend große PV-Anlagen (Stichwort: Dächer vollpacken!). Denn der sog. atmende Deckel im EEG führt dazu, dass die Vergütung für Einspeiseanlagen weiter stark sinkt. Nach einem PV-Zubau von über 1,3 GW im 1. Quartal 2021 sinkt die Vergütung Monat für Monat um 1,4 % – und das bei tendenziell steigenden Kosten insbesondere für die Montage von PV-Anlagen. Dies kann noch im Laufe dieses Jahres oder im nächsten Jahr zur Unwirtschaftlichkeit neuer PV-Einspeiseanlagen führen.
Konkret würde das bedeuten: Die Optimierung der PV-Anlagen auf Eigenversorgung dürfte sich noch stärker als ohnehin schon ausbreiten. Dies führt dazu, dass oft nur ein Bruchteil der solargeeigneten Dachfläche für PV genutzt wird, da der Haushalt im Gebäude nicht mehr PV-Strom sinnvoll nutzen kann. Für das Ziel einer 100%-igen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien wird die Ressource Dach allerdings in großem Umfang benötigt. Der kleine Solarboom von 5 GW pro Jahr reicht bei weitem nicht aus, um bis 2030 die für eine beschleunigte Energiewende nötige installierte PV-Leistung von 200 GW zu erreichen. 200 GW PV bis 2030 sind auch nötig, um die neuen Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgebot des Grundgesetzes einhalten zu können. Dazu müssen bereits ab 2022 jedes Jahr mindestens 10 GW und ab 2024 jedes Jahr mindestens 15 GW PV zugebaut werden. Im Weg steht das viel zu geringe Zubauziel im atmenden Deckel.
EEG und PV-Pflicht
Bei der Verstetigung und für die Verlässlichkeit des stark zu beschleunigenden Zubaus können PV-Pflichten einen wesentlichen Beitrag leisten. Dabei verlassen sich die Bundesländer auf das Versprechen des Bundes, dass das EEG Vergütungen und Marktprämien für PV zu auskömmlichen wirtschaftlichen Bedingungen bietet. Diese Hausaufgabe liegt beim Bund, weshalb der atmende Deckel entweder abgeschafft oder überarbeitet werden muss – und zwar noch vor der Bundestagswahl. Es darf nicht riskiert werden, dass das Kind dann schon im Brunnen liegt, weil der Gesetzgeber vor und nach der Wahl über Monate nicht handlungsfähig ist. Das Momentum des Bundesverfassungsgerichtsurteils muss jetzt genutzt werden. Jetzt ist nicht nur Zeit für neue Ziele im Klimaschutzgesetz, sondern auch dafür, dass die neuen Ziele auch tatsächlich erfüllt werden können. Das geht im Bereich der Photovoltaik schnell und effektiv durch kleine Anpassungen im EEG.
Überarbeitung des EEG hat Priorität
Zur Zielerreichung muss wenigstens das Zubauziel für Gebäude-PV im atmenden Deckel von 2,5 GW auf 5 GW verdoppelt und in den Folgejahren weiter gesteigert werden. Gleichzeitig sollte die Abwärtsspirale der Vergütung dadurch verlangsamt werden, dass Kürzungsschritte nicht schon nach 1 GW Überschreitung des Zubaukorridors einsetzen – auch hier ist eine Verdoppelung auf 2 GW sinnvoll.
Wenn in der Bundespolitik nun in manchen Wahlprogrammen über PV-Pflichten nachgedacht wird, darf dies nicht ernsthaft als Alternative zum EEG gesehen werden, wie es hier und da anklingt. Wer PV-Pflichten und EEG gegeneinander ausspielt, setzt die Akzeptanz der Photovoltaik aufs Spiel und entzieht den Länder-PV-Pflichten ihre Grundlage. Wer dies tut, greift einer Entwicklung weit voraus, in der die Photovoltaik ganz ohne EEG zum selbstverständlichen Standard in jedem Gebäude wird. In der Zwischenzeit brauchen wir für die Beschleunigung des Ausbaus der günstigen Photovoltaik auskömmliche wirtschaftliche Bedingungen im EEG für möglichst große PV-Anlagen auf Dächern und Fassaden sowie eine Mindestpflicht für die PV-Installation.
Dr. Fabio Longo ist Vizepräsident EUROSOLAR e.V., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Karpenstein Longo Nübel Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, und berät Städte, Gemeinden und Bundesländer bei der Bauleitplanung und Gesetzgebung von PV-Pflichten.