Paris ist nicht genug: EUROSOLARs Regenerative Dekade zeigt die Beschleunigung hin zur klimapositiven Wirtschaft und regenerativen Gesellschaft auf

Professor Peter Droege, Präsident EUROSOLAR 

Eine neue Regierung formiert sich. Unser Land spielt eine bedeutende Rolle im Begreifen der tatsächlichen Lage, in der die Menschheit sich befindet, und im Entwickeln und Ergreifen von mindestens zehn Handlungsbereichen, die unter ‘Regenerative Dekade’ (Regenerative Earth Decade) zusammengefasst sind. 

Alle reden von Klimaneutralität, von ‘Net Zero’ bis 2050. Dennoch sind solche Konzepte als gesamtgesellschaftliche Ziele nicht nur ungenügend, und derer kalkulatorischen Vagheit wegen schwer umsetzbar – sie sind auch zeitlich viel zu spät gesetzt – etwa 50 Jahre zu spät. Es ist so unlogisch wie unverantwortlich, bei heute 420 Millionstel Teile (ppm) an CO2 in der Atmosphäre – bzw wohl knapp 500 ppm in 2050 – Klimaneutralität zu fordern, wenn 280 ppm das stabile Niveau darstellen. Die Forderung und Aktion muß immer Klimapositivität heißen und bedeuten. Jeder spricht vom Pariser Klimaabkommen – dabei wird verschwiegen dass nicht nur kein Land der Erde bereit ist in absehbarer Zeit deren Ziele zu erreichen sondern dass auch das Pariser Klimaabkommen selbst bereits auf ungenügenden Zielen aufbaut.

Zwei Grad Anstieg, auch 1.5 Grad sind nachweislich zu hoch für die Stabilität der irdischen Eiswelt – von der Arktis über den Permafrost bis Grönland, über Gletscher weltweit hin zur Antarktis: alles begann bereits bei einem halben Grad Anstieg sichtbar dahinzuschmelzen. Heute liegt die mittlere globale Erderwärmung gegenüber der tatsächlichen vorindustriellen Zeit von 1750 mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits bei über 2 Grad. Um diese eklatante Inkonsistenz zu verbrämen, wird in offiziellen Berichten nunmehr von 1860, 1990 und gar 2006 als Referenzjahren gesprochen. 

Durch eine Kombination von gekonntem Aufschieben – scheinbar wissenschaftlich gestützt – haben die fossilen Industrien aber auch manche Regierungen die Öffentlichkeit sich selbst, die Welt, Europa  in Sicherheit wiegend – insbesondere auch die Menschen in Deutschland –  jahrzehntelang in die Irre geführt. 

Bisherige Maßnahmen und Zielsetzungen zur ‚Klimaneutralität’ in  viel zu langen Zeiträumen von 20 bis 30 Jahren sind völlig unzureichend. So steigerten sich nicht nur die CO2 Emissionen auf den heute 150%igen, weiter ansteigenden Überschuss: auch Methankonzentrationen liegen bereits dreimal so hoch wie ein stabiles Klima es toleriert: bei über 1900 Milliardstel anstatt 600. Dennoch sprechen sich viele immer noch für Erdgas als Brückentechnologie aus. Aber Brücke wohin? Methan ist der größte potenzielle Risikofaktor unter den anhaltenden Fehlmaßnahmen überhaupt: hier braut sich durch das Auftauen arktischer Böden, Seen und Meeresböden Bedrohliches zusammen. 

Noch mehr unterschlagen in der öffentlichen Debatte als der steigende atmosphärische Methanüberschuß ist der Sauerstoffentzug aus der Atmosphäre und den Ozeanen als Desoxygenierung. Dabei ist die fossile Ressourcenverbrennung der größte anthropogene Faktor. Diese setzt im Augenblick jährlich soviel CO2 frei wie atmosphärischer Sauerstoff (O2) durch Verbrennung vernichtet wird: etwa 40 Gigatonnen pro Jahr – wobei beide Größen bei anhaltenden Verbrennungspraktiken weiter ansteigen.  

Das kehrt im Handumdrehen den erdgeschichtlichen Prozess um, der vor 2.4 Milliarden Jahren zur heutigen sauerstoffreichen Atmosphäre geführt hat, die bekanntlich für mehrzellige Lebewesen und zuletzt der Entwicklung des Menschen nötig war. Es gibt Indizien, dass der Sauerstoffentzug sich im Zuge des Anstiegs von CO2 beschleunigt und durch Rückkoppelungen in auch menschengeschichtlich relativ kurzer Zeit – möglicherweise in nur wenigen Tausenden von Jahren – atmosphärischer Sauerstoff zu kollabieren droht. Nur das Beenden fossiler Karbonemissionen mit Entzug überschüssigen Konzentrationen aus der Atmosphäre durch biosphärische Regeneration in großem Maßstab kann diesen Prozess verlangsamt werden.  

Das sogenannte Karbonbudget – die angebliche Möglichkeit, noch weiter Abgasströme in die Luft jagen zu können ohne ein bedeutendes Risiko einzugehen ist reine Fantasie, eine bequeme Mär, Business as Usual voranzutreiben. Das weltweite durch Raubbau an biosphärischen Ressourcen geschwächte terrestrische Karbonmanagementsystem ist so sensitiv, dass die kleinsten Schwankungen in THG-Konzentrationen und Temperaturen Unheil bringen. Tatsächlich war dieses sogenannte Budget bereits zu dem Zeitpunkt überschritten, als die CO2-Konzentrationen 280 ppm wesentlich überschritten hatten: 1990 lagen sie bereits bei über 350 ppm.  

Keine politische Parteien, keine Politikerin und kein Politiker stellte sich bisher dieser Problematik – und praktisch keine der Klimaexperten und -expertinnen selbst. Alle sprechen von Klimaneutralität als Wunderheilmittel, obwohl das die Wahrheit verbrämt, mit Sicherheit in die Irre führt und als fernes bewegliches Ziel kostbare Zeit verschwendet.

Wesentlich schlagkräftigere Methoden sind nötig als sie heute in Deutschland, Europa und weltweit in Kabinetten und Parlamenten überlegt und debattiert werden: das kommt einer generellen Mobilmachung gleich. Dennoch sind sie möglich, relativ einfach und existenziell unumgänglich. Dazu gehören die folgenden Punkte der Regenerativen Dekade (earthdecade.org):  

  1. Die Einführung eines Klimaschutzbudgets durch jedes Land und jede Region für den raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und die Umstellung auf erneuerbare Energien – und den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft und Gesellschaft. Dies wird einen beträchtlichen Prozentsatz des Bruttosozialprodukts ausmachen, der ein Vielfaches des Umfangs der meisten nationalen Verteidigungshaushalte beträgt. Wenn 80-100% der Covid-Konjunkturmittel auf diese Weise ausgegeben worden wären bzw. würden, könnten zwei große Krisen auf einmal bewältigt werden.
  2. Die Umsetzung der Klima-Friedensdiplomatie und die Beendigung bewaffneter Konflikte im gemeinsamen Interesse des Überlebenskampfes gegen den gemeinsamen Feind – die Erderwärmung durch fossile Brennstoffe. Dazu gehört eine europäische und globale, effektive und offene Planung des Klimamigrationsmanagements. Denn mehrere Milliarden Mitmenschen werden sich sehr bald eine neue Heimat suchen müssen – selbst unter den vergleichsweise optimistischen BAU-Annahmen des RCP 8.5.
  3. Die gezielte Restrukturierung der fossilen Industrien durch technische Substitutionsprogramme, den Abbau fossiler Subventionen und Strukturmaßnahmen sowie Transformationshilfen. Der sofortige Abbau der massiv blockierenden Regelungen für erneuerbare Netze, Speicher und Verteilersysteme – unterstützt durch eine neue, erneuerbare Energiemarktordnung kann nicht länger warten.
  4. Der Ersatz von Arbeitsplätzen in der fossilen Industrie durch vorrangige Strukturreformen hin zu erneuerbaren Industrien. Alle Erfahrungen zeigen, dass diese erneuerbaren Industrien einen weitaus größeren Beitrag zur Beschäftigung leisten und die Innovation fördern.
  5. Die Umkehrung der Emissionsziele ist die logische Konsequenz aus der Erkenntnis, dass Klimaneutralität allein nicht ausreicht, und dass sogenannte Null-Emissionsziele allein nicht mehr ausreichen. Die Weltwirtschaft braucht Strategien, die in der Lage sind, die Konzentration von Treibhausgasen (THG) in der Atmosphäre zu reduzieren.
  6. Die Einstufung fossiler Energieträger als tödliche Substanz: Ihre Gewinnung und Verteilung sollte nach einer kurzen Übergangszeit für inakzeptabel erklärt und in einem ersten Schritt nicht mehr subventioniert, sondern an der Quelle der Gewinnung stark besteuert werden.
  7. Biosequestrierung: der rasche Aufbau und die Renaturierung von gesunden, klimaaktiven landwirtschaftlichen Böden, Feuchtgebieten und Wäldern.
  8. Industrielle Sequestrierung: die Umwandlung der Bauindustrie und aller produktiven Industrien und Fertigungsbetriebe in kohlenstoffbindende Prozesse. Dies bedeutet eine groß angelegte Umwandlung von atmosphärischem Kohlenstoff in nachhaltiges Holz, Kohlenstofffasern und andere feste Kohlenstoffprodukte, aber auch deren Bindung in Stein.
  9. Antizipation und Einbeziehung der Migration als eine der wichtigsten Klimarealitäten, sowohl global als auch lokal – etwa drei Milliarden Menschen werden innerhalb weniger Jahrzehnte vertrieben. Volle Ausschöpfung der noch nie dagewesenen Produktivitäts- und Innovationsschübe für eine massive Ausweitung der hochwertigen Beschäftigungsmöglichkeiten für alle neuen Bürger: bestehende und neue Klimaflüchtlinge.
  10. Es werden neue Finanzierungsmechanismen benötigt, die langfristige Investitionen wie Defossilisierung, Agrarreform und Aufforstung mit höheren Renditen belohnen als kurzfristige Investitionen. Was wir jetzt brauchen, sind „Zukunftsbanken“, die Währungen mit negativen Zinssätzen schaffen, die Investitionen fördern und deren Ausgaben an nachhaltige Produkte und Dienstleistungen gebunden sind.

EUROSOLAR fordert eine Fokussierung und Verschärfung des europäischen Green Deals, über die Lippenbekenntnisse zur Klimaneutralität hinaus, hin zu 100% erneuerbaren Energien, kohlenstoffbindender Landwirtschaft, Aufforstung mit dürreresistenten Wäldern und die Umwidmung der europäischen Richtlinien zur Kreislaufwirtschaft in wirtschaftsweite Regeln und Vorschriften zur Kohlenstoffbeseitigung. Ziel und Ergebnis muss eine klimapositive, emissionsnegative Welt sein.