Verkehrswendeverhindernde – ein Nachtrag zur karnevalistischen Realsatire

Aus dem Kuratorenkanal von Claus P. Baumeister: Gebetsmühlenartig bemüht die „Freie-Bürger“-Partei das Allheilmittel zur Lösung des Klimaproblems, nämlich die technologische Forschung und Entwicklung, um sich vor unangenehmen konkreten Maßnahmen zu drücken. Wenn man keine kognitive Dissonanz bei den Protagonisten unterstellt, übersehen diese bewusst, dass der Klimawandel einerseits nicht allein technisch zu beherrschen ist, aber andererseits auch kein Anlass besteht, auf imaginäre technologische Durchbrüche zu warten.

Das Verhalten der energieverbrauchenden und CO2-emittierenden Menschen muss sich drastisch in Richtung Konsumverzicht und nachhaltiger Lebensweise verändern. Wenn das nicht in Eigenverantwortung geht, muss der Gesetzgeber mit Regulierungen mehr oder weniger drastisch dazu auffordern, z.B. durch ein allgemeines Tempolimit, das über die 7 Mt CO2-Einsparung hinaus noch zahlreiche positive Nebeneffekte für die Gesellschaft aufweisen würde (weniger und leichtere Unfälle, weniger Staus etc.). Die „Freie-Bürger“-Partei sperrt sich gegen ein solches Tempolimit und jedwede sinnvolle Maßnahme, weil wenige Raser mit überdimensionierten Motoren nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt werden und Hersteller eine Rechtfertigung für unzeitgemäße Produkte haben sollen.

Und das Warten auf technologische Entwicklungen ist ein weiteres Alibi, aktuell nichts verändern zu müssen. Wir verfügen aber bereits über ein umfangreiches Arsenal klimafreundlicher(er) technologischer Mittel in allen Sektoren. Aber diejenigen, die am lautesten nach technologischen Lösungen rufen, weigern sich standhaft, die vorhandenen Optionen zu nutzen, also z.B. im Sektor (Individual-)Verkehr das eindeutige Bekenntnis zum effizienten E-Antrieb.

So bemüht sich Volker Wissing nach allen Kräften, einen Ausstieg aus dem EU-Verbrenner-Ausstieg (2035) zu organisieren, und die grünen Ampel-„Weicheier“ schauen tatenlos zu, wie erneut eine klimagerechte Regelung ausgebremst, der Geist des Koalitionsvertrages verletzt und Deutschland in der EU erneut als Verhinderer qualifiziert wird. Unterstützt wird er dabei von unerwarteter Seite, nämlich aus der IG-Metall, die von „Verbotskultur“ (klingt wie „Coronadiktatur“) spricht, wo bislang die „Konzerngewinnmaximierungskultur“ herrschte.

Wissing möchte also Verbrennern eine langes Überleben sichern, natürlich mit „klimaneutralen“ e-Fuels, einer weiteren Wundersubstanz neben dem allseits gehypten Wasserstoff. Man erinnert sich sofort an die Förderung selten oder nie elektrisch betriebener Plug-in-Hybride und fragt sich, wie er sicherstellen und kontrollieren will, dass diese Fahrzeuge nach 2035 nur noch mit e-Fuels betankt werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist jenseits von Lobby-Interessen kompletter Schwachsinn (sorry, anders kann man diese Initiative und ihre Argumentation nicht bezeichnen) und wird auch noch mit Wissing-eigener Logik untermalt. Nach dieser müssten e-Fuels ohnehin für die zig Millionen verbleibenden Verbrenner produziert werden und dann käme es auch nicht auf zusätzlich neu produzierte Verbrenner an. Aha!

Was Wissing nicht weiß oder in seiner Lobby-Hörigkeit nicht wissen will: Die Erneuerbaren Energien werden auch nach 2035 nicht annähernd ausreichen, die gesamte Fahrzeugflotte alter Verbrenner zu versorgen. Und solange keine vollständige Deckung unseres Energiebedarfes existiert (sicher nicht mehr in der ersten Jahrhunderthälfte), ist es absolut unverantwortlich, den Weg des geringsten Wirkungsgrades (noch schlechter als H2) zu gehen, anstatt auf die 8-fach effizientere direkte Stromnutzung zu setzen.

Wir brauchen e-Fuels allenfalls für solche Verkehrsmittel, die zunächst nicht in vollständigem Maße elektrifizierbar sind und aufgrund ihrer langjährigen Entwicklungszeiten und hohen Investitionskosten über mehrere Jahrzehnte betrieben werden. Dazu gehören Flugzeuge und Containerschiffe, aber sicher keine PKW, die schon heute sogar bei Porsche problemlos elektrifizierbar sind – übrigens auch zu angemessenen Kosten, wenn die Industrie ihre per „Umweltprämie“ steuergeldgepufferte „Abzocke“ aufgibt und nicht die angeblich hohen Entwicklungskosten mehrfach einfahren will. Die schämen sich nicht einmal, wenn sie – wie gerade Mercedes mit 28% Steigerung auf 21 Mrd. € für 2022 – Rekordgewinne verkünden und hohe Dividenden ausschütten, aber gleichzeitig Kurzarbeit (für das Werk Bremen) anmelden, um die temporäre Lieferkettenproblematik auf die Gemeinschaft abzuwälzen, streng nach dem Motto „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren“.

Da gibt es noch ein Buzzword, das auch von Volker Wissing stereotyp benutzt wird, um Unsinn zu vernebeln. Die vielbeschworene „Technologieoffenheit“ meint eigentlich „Geschäftsmodelloffenheit“, womit man auch nachweislich ungeeignete, aber gewinnträchtige Technologien rechtfertigen kann. Da könnte man Autos auch wieder mit kohleverheizenden Dampfmaschinen betreiben. Erstaunlicherweise ist zumindest ein Teil der Automobilindustrie schon weiter, so hat sich VW bereits zum Verbrennerausstieg bekann und wird dafür noch explizit von Greenpeace als Klimasünder verklagt. Sollen e-Fuels letztlich nur Porsche retten? Die haben zumindest schon eine demonstrable e-Fuel-Pilotanlage.

Wenn Abqualifizierungen mit Begriffen wie „Verbotskultur“ oder Scharmoffensiven wie „Technologieoffenheit“ nicht ausreichen, unliebsame Regulierungen zu verhindern, hilft die Drohung mit Arbeitsplatzverlust immer, paradoxerweise auch bei gleichzeitigem Gejammer über den Fachkräftemangel. Warum produzieren die freigesetzten Fachkräfte nicht PV-Anlagen, Windräder oder Wärmepumpen statt (Verbrenner-)Autos? Warum muss man immer noch scheintoten Industrien mit Steuergeldern und/oder zulasten des Klimas das Überleben sichern, während zukunftsweisende und klimafreundliche Maßnahmen durch den Fachkräftemangel ausgebremst werden?

Abschließend sei noch auf zwei andere aktuelle Irrwege hingewiesen, für deren Korrektur sich niemand zu interessieren scheint. Nach den übereifrigen, angstgetriebenen, marktverzerrenden und teuren Gas-Einkaufstouren und langfristigen Verträgen weltweit (man rühmt sich aber dafür, eine Gasmangellage ausgeschlossen zu haben), drohen uns nun Überkapazitäten bei LNG-Terminals, die zumindest in ortsfester Version jahrzehntelang betrieben werden müssen, um rentabel zu sein. Gleichzeitig wollen bzw. müssen wir den Gasverbrauch in den nächsten Jahren drastisch reduzieren. Das „H2-ready“-Märchen soll über diesen Widerspruch hinwegtäuschen. Über die Gefährdung des Wattenmeer-Ökosystems wollen wir hier gar nicht sprechen.

Last but not least muss man hier die seit März rückwirkend zum Jahresanfang 2023 geltenden Energiepreisbremsen ansprechen. Wer stoppt diese bislang einmalige Steuergeldverschwendung mit der Gießkanne? Selbst wenn die dafür vorgesehenen 200 Mrd. € nicht „verbraucht“ werden, ist es völlig unsinnig, wohlhabende und meist energiehungrigere Bevölkerungsschichten überhaupt und dazu noch mit viel mehr Steuergeldern zu entlasten als tatsächlich existenzbedrohte Menschen. Dabei sind die Gas- und Strompreise an den Börsen wieder unter Vorkriegsniveau gefallen, weil in der Tat auch ohne russische Quellen keine Mangellage existiert und der Preisauftrieb überwiegend spekulative Ursachen hatte.

Wenn die Regierung nicht mit voreiligen Entlastungspaketen gewuchert, sondern an den Sparwillen der Bürger:Innen apelliert und nur Bedürftige gezielt entlastet hätte, wäre der Spuk bereits vorbei, noch bevor er richtig begonnen hätte. Stattdessen ist der Markt nun völlig aus dem Ruder gelaufen und eine Nehmermentalität hat sich durchgesetzt. Das gilt nicht nur für die Verbraucher:Innen, sondern insbesondere auch für die Energiekonzerne, die nun absolute Mondpreise aufrufen können, die aus der Steuerkasse mitfinanziert werden. Dass die Abrechnungsmethodik unnötig komplex ist und alle Versorger zu eiligen und fehlerträchtigen Software-Updates gezwungen hat, sei nur am Rande erwähnt.