Graichen, Habeck, (grüne) Fehlerkultur und Ampel-Kakophonie

Aus dem Kuratorenkanal von Claus P. Baumeister:

Der Autor gehört nicht zu den selbsternannten Propheten, zumal nichts schwieriger vorauszusagen ist als die Zukunft, und dafür gibt es schließlich Zukunftsforscher. Aber die triviallyrische Forderung im letzten Artikel („Hier muss nicht nur Graichen weichen, um Grüne wieder auf Glaubwürdigkeit zu eichen“), wurde inzwischen zumindest teilweise von der Realität eingeholt und BMWK Robert Habeck damit erneut durch eine eklatante Fehlentscheidung und verspätetes Einlenken kompromittiert.

Der vergoldete Rauswurf

Wie schon bei der von Graichen ausgeheckten und völlig verfehlten „Gasumlage“ im Sommer 2022, die nach heftiger Gegenwehr in das Gegenteil (Energiepreisdeckel) umgewandelt wurde, fällt Habeck wiederholt das eigene Defizit an Wirtschafts- und Technikkompetenz auf die Füße. Er ist nämlich ziemlich widerstandslos den falschen Ratgebern ausgeliefert – bisher in erster Linie seinem vertrauten Energiestaatssekretär Graichen. Die aufgedeckte Vetternwirtschaft und Compliance-Verstöße des Staatssekretärs waren in sofern nur die Spitze des Eisberges, die zum fälligen Rauswurf (na ja, gut dotierten vorzeitigen Ruhestand) geführt haben.

Der von Habeck empfundene schmerzliche Verlust des vermeindlich wichtigsten Mitarbeiters sollte sich folglich mehr als kompensieren lassen. Allerdings müsste der Minister dazu einmal erkennen, dass er sich vermutlich in einer „Blase“ weitgehend gleichgesinnter „grüner Klimaschützer:innen“ befunden hat bzw. sich noch immer befindet. Nicht alles, was aus dieser Blase auf ihn einwirkt, ist ideologiefrei pragmatisch, und schon gar nicht wird auch gut gemacht was gut gedacht war.

Fehlerkultur?

Sicher ist die Fehlerkultur im „grünen“ Hause BMWK nicht unterentwickelter als in anderen Ressorts – im Gegenteil. Habeck hat, wenngleich auch oft verspätet nach regelmäßig vorausgehender Trotzreaktion, schon mehr Fehler zugestanden als viele andere Spitzenpolitiker. In der aktuellen Situation dürfte er noch dazugelernt haben, wie man mit Fehlern umgeht und ihre Wiederholung möglichst verhindert.

Aber was heißt hier eigentlich „Fehler“? Der Begriff erinnert an s.g. „ärztliche Kunstfehler“, die oft weder auf Kunst basieren, noch Fehler im Sinne von Versehen sind, sondern Absicht, um z.B. mit unnötigen chirurgischen Eingriffen mehr monetären Ertrag zu erwirtschaften. Auch das Verhalten von Graichen war kein Versehen, sondern die wohl bewusste Förderung des persönlichen Umfeldes. Erst recht gilt das für den ebenfalls fälligen Staatssekretär Philipp, der in dreister Weise Start-ups gefördert hat, an denen er selbst als Investor beteiligt ist.

Nomen est omen: Auch wenn der Nachfolger von Graichen, Nimmermann, nur mit Vornamen Philipp heißt, kommen schon wieder Zweifel auf. Jetzt soll also ein ehemaliger Banker die Energiewende wuppen.

GEG mit Senioren-Gag

Eigentlch müsste man Habeck dringend empfehlen, auch mal nach unabhängigen (weder Industrie- noch ideologische Klimalobbyisten) Beratern bzw. Mitarbeitern mit Sachkompetenz Ausschau zu halten. Richtige gesetzgeberische Initiativen wie der definitive Ausstieg aus fossilen Heizungen gemäß Gebäudeenergiegesetz (GEG) müssen auch richtig kommuniziert und umgesetzt werden, und zwar nicht mit der finanziellen Brechstange undifferenzierter Förderungen auf Kosten (Schulden) der Steuerzahler:innen.

Warum über 80-Jährige weiterhin fossile Heizungen einbauen dürfen, ist übrigens auch ein Mysterium des Graichen-GEG-Entwurfes. Viele Menschen dieser Altersklasse sind durchaus in der Lage, den finanziellen Aufwand ohne Kredit zu stemmen oder aber ggf. wie andere Bedürftige unterstützt zu werden. Ansonsten handelt es sich bei dem seltenen Öl- oder Gasheizungstotalschaden ohne Reparaturoption – und nur der ist schließlich relevant – weitgehend um einen Sowieso-Ersetzungsaufwand.

Energiewende juristisch oder technisch-naturwissenschaftlich steuern?

Offensichtlich fehlt dem BMWK der technisch-naturwissenschaftliche Sachverstand oder er kommt zumindest nicht angemessen zum Zuge. Die komplexen Bedingungen und Maßnahmen zur Energiewende erfordern aber diesen Sachverstand, wenn schon nicht beim Minister, dann doch bitte in der Riege der Staatssekretäre und internen Berater. Jurist:innen (alleine) können jedenfalls nur an dieser Aufgabe scheitern und sitzen – wie der Minister selbst – jedem Technologieoffenheits-, e-Fuel- oder Wasserstoff-Narrativ auf. Der blinde Aktionismus, mit jedem Autokraten (wie Saudi Arabien, VAE und zuletzt Katar) eine „Energiepartnerschaft“ zu etablieren, kann jedenfalls nicht über die mangelhafte Umsetzung der Energiewende im eigenen Land hinweghelfen.

Für Erneuerbare Energien hierzulande wäre eine „Schwuppdizität“ (© Donald Duck und c’t-Technikmagazin) entsprechend dem s.g. „Doppelwumms“ (© Kanzler Olav Scholz) fällig, anstatt wohlhabenden Bürger:innen ihre Energiekosten und neuen Wärmepumpen zu subventionieren. Schließlich geht das ideologisch motivierte Bashing der heimischen Kohle zugunsten von Gas voll am Ziel vorbei. (Fracking-)LNG kommt mit einer schlechteren Umwelt- und Klimabilanz daher als Kohle, durch die Fördermethode selbst sowie notwendige Kompression, Kühlung und Schiffstransport, aber vor allem durch die enormen Leckagen des extremen Klimagases Methan mit (je nach Rechenmethode und betrachtetem Beobachtungszeitraum) 25-80 fachen CO2-Äquivalenten. Da die Gaspräferenz zusätzlich Staat, Bürger:innen und Volkswirtschaft mit horrenden Kosten belastet, handelt es sich hier nicht nur um einen ökölogischen, sondern auch um einen ökonomischen Irrweg.

Auch mit der von Habeck angesagten Beschleunigung des SmartMeter-Rollouts folgt er der Netzbetreiber- und Industrielobby sowie falschen Beratern im eigenen Hause, die das SmartMetering als Schlüssel zur Energiewende „verkaufen“. Dabei hebelt das zentrale Metering jedes einzelnen Haushaltes inkl. Steuerungseingriffen in die Prosumer-Anlagen die dezentrale Energiewende durch unsinnige Datenvernetzung wieder aus, macht die Stromnetze vulnerabel und liefert die Haushalte einem profilingfähigen Datenabfluss aus. Dabei würde ein SmartMetering an den Mittelspannungsübergängen zu den 400V-Niederspannungsanschlüssen für zahlreiche Haushalte zur Steuerung des Verteilnetzes völlig ausreichen (dazu später mehr in diesem Blog).

Ampel-Partner – oder alle gegen Habeck?

Hält sich die SPD und insbesondere ihr Kanzler zur Energiewende weitgehend bedeckt und lässt die Streitfragen zwischen FDP und Grünen austragen, wagt sich nun (19.5.) der Fraktionsvorsitzende und „ausgewiesene Energieexperte“ Mützenich zu Wort. Man sollte nicht nur auf Wärmepumpen setzen (tut der GEG-Entwurf auch nicht, dort ist nur der 65%ige EE-Anteil gefordert) und einen „vielfältigen Technologiemix“ anstreben („Technologieoffenheit“ © FDP – wer mit denen koaliert, kann die Opposition in Kurzarbeit schicken). Fragt sich nur, was hier „gemixt“ werden soll. Außer der nur regional gegebenen Möglichkeit, sich an geothermisch, KWK- bzw. BHWK-getriebene Nah-/Fernwärmenetze anzuschließen, existiert KEINE adäquate Technologiealternative zur Wärmepumpe, um mit mindestens 65% Umweltenergie oder bei Nutzung regenerativer Stromquellen 100% nachhaltige Wärme zu erzeugen.

Zu den alternativ-kakophonischen Beiträgen der „Technologieoffenen“ sei nochmals angemerkt, dass die Holzverbrennung keineswegs nachhaltig bzw. klimaneutral ist und mit exorbitantem Schadstoff- und Feinstaubausstoß „glänzt“. Und grüner Wasserstoff ist weder Primärenergieträger noch regenerativ, weil er nicht in der Natur vorkommt, sondern mit schlechtem Wirkungsgrad per Elektrolyse aus regenerativem Strom hergestellt werden muss. H2-ready-Gasthermen würden, sofern Wasserstoff überhaupt in ausreichender Menge anstelle von Erdgas verfügbar wäre, mehr als die sechsfache EE-Strommenge einer Wärmepumpe verbrauchen. Die Alternativen zur Wärmepumpe sind also rein fiktional und werden vor allem von bekannten Klimaleugner:innen verbreitet, auch unter namhaften Mitglieder:innen und Berater:innen der FDP, was man eigentlich nur von der AfD erwartet.

So wird das nix mit der Energie- und Wärmewende – mehr als ein Fehler zuviel.

Mit herzlichen Grüßen
Claus P. Baumeister