Aus dem Kuratorenkanal von Claus P. Baumeister:
Tag 0+1: Randerscheinungen
Erste Enttäuschung am Konferenzgelände: Keine Fahrradstellplätze. Man wird von der Security freundlich aber bestimmt aus der Nähe des WCCB-Hauptgebäudes verwiesen und sucht sich einen „wilden“ Stellplatz gegenüber auf dem „Platz der Vereinten Nationen“, direkt am Zaun des Plenargebäudes, an dem man das Rad auf keinen Fall anketten darf. Aber wer kommt schon auf die abwegige Idee, ein ortsansässiger Teilnehmer könnte mit dem Fahrrad zu einer Klimakonferenz anreisen?
Wer jetzt große Demos auf dem Platz erwartet hatte, wurde gleich nochmal enttäuscht. Eine versprengte Kleingruppe Veganer mit Hühnchenkopfmasken und ein Karnevalswagen – pardon Aktionswagen – waren die einzigen Auffälligkeiten. Immerhin konnte man dem Schriftzug darauf kaum widersprechen, machte er doch die eigentliche Absurdität dieser Konferenz deutlich:“Klimaschutz ist nicht verhandelbar“.
Auch eine internationale Großveranstaltung im professionellen Umfeld des World Conference Center Bonn (WCCB) hat ihre organisatorischen Tücken. Man darf sie natürlich nicht mit der Jahreshauptversammlung eines Kaninchenzüchtervereins vergleichen – dafür ist sie strukturell, thematisch und hinsichtlich der multinationalen Teilnehmer viel zu komplex. Aber dass sich am ersten Tag gleich eine Warteschlange zurück bis fast zum Post-Tower bildete, hätte man vermeiden können. Die Kapazitäten der wenigen Registrierungs-Mitarbeiter waren offensichtlich am Anschlag. Wohl dem, der sich – wie der Autor – vorausschauend schon am Sonntagnachmittag vor Konferenzbeginn in aller Ruhe registriert hat.
Auch die vier Security-Lanes schienen oft überlastet, zumindest zu den Stoßzeiten morgens. Darauf wurden die Teilnehmer sogar per E-Mail vom UN-Sekretariat (UNFCCC) hingewiesen und gebeten, früher aus den Betten zu kommen – natürlich anders formuliert und in englischer Sprache.
Die Sicherheitsmaßnahmen waren denen der Airports nicht nur ebenbürtig, sondern – mit freundlichem Lächeln begleitet – deutlich strenger. Also nicht nur die Taschen leeren, sondern auch Gürtel ablegen, aber sonst durfte man textil bekleidet weiter durch die Kontrolle.
Gewöhnungsbedürftig erschienen die Mitarbeiter der UN-Security, die schwer bewaffnet in der Verkleidung – sorry Uniform – texanischer Sheriffs auftraten. Und der Tag 0 (sonntägliche Registrierung am 4.6.) war unschwer daran erkennbar, dass man nicht einmal in das wunderschöne Glas-Foyer des WCCB-Hauptgebäudes vordringen durfte, wenn man als Teilnehmer vom 5.6. bis 15.6 ausgewiesen war.
Ein echter Tag Null also mit deutschem Formalismus im UN-Gewand.
Information ist alles und ohne Information ist alles nichts. Man mag sich auf der UNFCCC- und SB58-Website kundig machen wollen, aber vor die Information haben die „UN-Götter “ die Wissenschaft einer komplexen Website-Struktur gestellt. Sie sind damit in guter Gesellschaft mit sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten, die sich alle Mühe geben, die Komplexität ihrer Themen auch in der Usability der Websites widerzuspiegeln.
Eine stets flüchtige Erscheinung – ausschließlich auf der Website – stellte das Programm dar, was sich erst im Laufe der Konferenz entwickeln durfte. Man hätte vielleicht eine gewisse vorbereitete Struktur vorab erwarten können. Fehlanzeige – die Agenda selbst rief schon das Konfliktpotential der unterschiedlichen staatlichen Interessen auf den Plan.
Das Programm wurde offensichtlich immer bei Nacht und Nebel (den gab es allerdings nicht) vor dem jeweiligen Tag „mit heißer Nadel gestrickt“. Man nennt das dann „preliminary“ und fühlt sich wenig verpflichtet, es nur annähernd einzuhalten.
So begann die Auftakt-Session im Plenum des großen Saals „New York“ am ersten Tag nicht nur „c.t.“, sondern mit zwei (!) Stunden Verspätung. Ohne die Erfahrung über einen längeren Zeitraum hätte man fast vermuten können, die Zeiten seien nicht in Ortszeit, sondern in UTC bzw. GMT+1 +1 h Sommerzeit, angegeben. Letztlich gelang dann doch noch die Begrüßungsrede des UN-Klimareferatchefs Simon Stiell, gefolgt von einem Haufen Formalia, durch die die beiden SBI- und SBSTA-Chairs (hier mal eine kleine Probe der hohen Kunst der UN-Abkürzungsterminologie) mit dem „Versteigerungshammer“ führten („so it’s decided“).
Unter solchen Bedingungen fällt es freilich schwer, gezielt „Vorlesungen“ zu schwänzen und andere auf keinen Fall zu verpassen. Die letzte und (vermeindlich) valide Instanz des Programms findet man auf großen TFT-Monitoren. Leider können diese nicht – wie z.B. auf Flughäfen üblich – seitenweise anzeigen, sondern nur von statisch auf scrollend wechseln. Der tiefblaue Hintergrund macht die schwarze Schrift leider auch nicht besser lesbar. Auch sonst gab es in Sachen Information und Beschilderung noch deutlich Luft nach oben.
Tag 4: Substanz. Substanz?
Grundtenor ist natürlich immer der inzwischen ganz offensichtliche und überwiegend menschengemachte Klimawandel. Nur Verschwörungstheoretiker, Trumpisten, Querdenker, AfD-ler und einige „freiheitliche“ Ampel-Politiker zweifeln noch daran. Allerdings sind die Zahlen aktueller Studien immer wieder schockierend, weil sich der Prozess weiter exponentiell beschleunigt (>0,2°C/Dekade). Das wurde auch noch mal von den IPCC-Experten z.B. im SB58 Research Dialog im Plenum New York dargelegt und durch eine kritische Betrachtung der bislang zu wenig beachteten Non-CO2-GHG (Green Hous Gases) ergänzt. Hier spielt neben den Fluorgasen insbesondere das hoch klimawirksame Methan eine herausragende Rolle, das z.B. durch auftauenden Permafrost, aber auch durch Leckagen bei Förderung, Weiterverarbeitung und Kompression/Kühlung von LNG-Gas, insbesondere beim Fracking, verstärkt in die Atmosphäre gelangt.
Damit hat es sich aber schon mit dem wissenschaftlichen Konsens, und die divergierenden Interessen der vertretenen Staaten und ihrer Lobbyisten werden erkennbar. Unübersehbar ringen insbesondere die Länder des globalen Südens um längst überfällige Maßnahmen gegen den Treibhausgasanstieg und für finanzielle Unterstützung seitens der Industrienationen, um die zwingend notwendigen Anpassungen an den Klimawandel stemmen und sich selbst mit regenerativen Energiequellen entwickeln zu können. Die Transformation selbst hingegen ist mehr die Aufgabe der bisherigen Haupt-Klimasünder.
Ganz offensichtlich zeigt sich die Vernebelungstaktik der Öl- und Gasförderländer, die überhaupt kein Interesse an einer wirklichen Decarbonisierung haben, allenfalls im Sinne eines Greenwashings mit PV und Windkraft für das eigene Land oder Alibi-Green-H2 Produktion in s.g. „Energiepartnerschaft“ mit Deutschland. Gleichzeitig führen ihre fossilen „Schätze“ klammheimlich woanders auf der Welt zum klimaschädlichen CO2- und Schadstoffausstoß.
Zur Kompensation der weiteren Fossilnutzung hat man sich CDR (Carbon Dioxid Removel) ausgedacht, in der Research-Session vorgestellt von Saudi Arabien. Dieser „Zaubertrick“, also die weitere Nutzung von Öl und Erdgas unter CO2-Abscheidung als klimaneutral zu verkaufen, ist wissenschaftlich völlig unhaltbar, weil in absehbarer Zeit derart hochskalierte CDR-Technologien nicht verfügbar sind und wenn sie es denn wären, dringend gebraucht würden, um die schon viel zu hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu reduzieren anstatt als Alibi für neue Emissionen herzuhalten.
Tag 7 (nach sonntäglichem Ruhetag): Auf der Suche nach dem ominösen Bonn City Center und Greta’s Voice
Ohne große Erwartungen an die Resilienz des vorläufigen Programms für den nächsten Tag, wurde man auch nicht enttäuscht: Es war erneut nicht wiedererkennbar und UNschön durcheinandergequirlt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben mit „it’s over“, wer zu früh kommt, „verhungert“ beim Warten z.B. auf das wieder einmal zwei Stunden verspätete Plenum im Saal New York.
Teilnehmer, die sich für den „Sixth Technical Expert Dialog …“ interessierten, fühlten sich an eine kindliche Schnitzeljagd erinnert. Location: „Bonn City Center“. Was ist das? Es gab einmal ein Bonn Center am Kanzlerplatz, dass jetzt einer Großbaustelle zum Opfer gefallen ist. Aber dieser „Raum“ findet sich auf keiner Map und auch nicht auf der Website.
Da kommt man leider nicht um eine fast schon peinliche Konsultation des Information Desk herum. Der UNenglisch sprechende Mann hinter dem Tresen wirkte reichlich konsterniert. „Bonn City Center? I don’t know.“ Realy? Das sollte sich aber doch mit Hilfe der beiden Damen am Nachbarinfostand „Meeting Romm Assignment“ klären lassen. Man glaubt eher an Fake denn an Fact bis zur Vorlage des Programms. Da steht es – schwarz auf weiß und niemand kennt es. Nach einem 10-minütigen-Recherche-Rückzug durch die Hintertür kam die Antwort: Das Meeting findet angeblich im Ameron-Hotel Königshof an der B9 gegenüber vom Hofgarten, also in drei Kilometern Entfernung statt. Im Ernst? Realsatire?
Ein kurzer Presserummel im Saal Nairobi und anschließend auf der Treppe des Foyers am Meeting Point hauchte der Konferenz ein wenig mehr Bedeutung ein. Greta Thunberg erschien mit einigen weiteren jungen Klimaaktivist:innen und stand natürlich sofort im Medienfokus. Sie war nicht mit dem Segelboot rheinaufwärts angereist, aber was hatte die Icone der FFF zu sagen? Kein aggresives „how dare you?“, sondern eher ein hilfloses Bedauern des insgesamt fehlenden politischen Willens, dem Klimawandel ernsthaft zu begegnen anstatt an wirtschaftlichen Interessen und Machtstrukturen festzuhalten.
Tag 10: Game over
In der Umgebung des WCCB gab es einige Demonstrationen und Blockaden von Aktivisten, aber längst nicht in dem Ausmaß, das man hier hätte erwarten können. Am letzten Tag rangen die „Klimakleber:innen“ der „Letzten Generation“ noch mal um Aufmerksamkeit auf der B9 nahe dem Konferenzzentrum. Sie wurden natürlich von der Polizei im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Verkehr gezogen, dem Amtsrichter vorgeführt und bis zum nächsten Tag „vorsorglich“ festgesetzt, damit sie keine Dummheiten (Straftaten) mehr anstellen konnten. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Konsequenz gegen die zurecht Protestierenden anstatt gegen den bedrohlichen Klimawandel selbst vorgegangen wird.
Mit laut Presse angeblich fast 8.000 (das UN-Sekretariat nennt 5.800 bzw. 4.800) Deligierten und Beobachtern war es die bislang teilnehmerstärkste Klimakonferenz, wo auch immer die sich alle aufgehalten oder ggf. auch im Sharing die Konferenz besucht haben. Die eigene Wahrnehmung ließ eher auf maximal 2.000 Teilnehmer schließen. Aber egal, von der Masse hängt sicher nicht das Ergebnis ab – im Gegenteil könnten weniger Teilnehmer vielleicht eine stringentere Organisation, Durchführung und Diskussion möglich machen.
Wieder einmal gab es Verschiebungen im vorläufigen Programm. Das Abschlussplenum wurde nochmal von 15 auf 17 Uhr vertagt und noch später begonnen. Es war eigenlich schon in einigen vorausgehenden Sessions klar, dass es keine tragfähige Einigung in Vorbereitung der Konferenz in Dubai geben würde. Einleitend apellierte der SBSTA-Chair in „Santiago del Chile“ nochmal an die notwendige Kompromissbereitschaft. Vergeblich. Teilweise kam es sogar zu tumultartigen Sitzungsunterbrechungen und Stand-up-Diskussionsrunden. EU und kleine Inselstaaten sprachen sich für einen verbindlichen Zeitplan zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern aus – kaum zu machen mit Öl- und Gasförderländern sowie mit China. Der häufigste Satz eines chinesischen Deligierten: „We don’t agree“.
Was will man von einer Klimakonferenz erwarten, die von einem Öl-Sheick bzw. dem UAE-Oil-CEO Sultan Ahmed Al Jaber als Präsidenten geleitet wird? Fossile Einkommensquellen vergessen oder zumindest nicht noch mit neuen Öl- und Gaslagerstätten ausbauen, weil man inzwischen auch genügend andere wirtschaftliche Standbeine in den ohnehin superreichen Golfstaaten hat? Wohl kaum. Andere, z.B. das OPEC+-Mitglied Russland, werden für fossile Ressourcen auch noch die Arktis plündern.
Der UN-Klimareferatsleiter Simon Stiell lobt den Fortschritt in Fragen der globalen Bestandsaufnahme, der Klimafinanzierung, des Umgangs mit Verlusten und Schäden sowie der Anpassung an den Klimawandel. Er spricht von „Brücken bauen“, „Hand ausstrecken und Kompromisse finden“ und sieht darin den „Grundstein für ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen“. Es fällt schwer, diesen Lobeshymnen zuzustimmen und sie nicht nur als Event-Marketing und Referenz an Dubai zu sehen.
Aber was darf man überhaupt von s.g. „Vereinten Nationen“ erwarten, die so wenig vereint sind wie seit Ende des kalten Krieges nicht mehr. Eine Staaten-„Gemeinschaft“, in der Repräsentanten von fast der halben Weltbevölkerung (China, Indien, Indonesien, Brasilien etc.) den Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilen, deren Sicherheitsrat gerade vom Außenminister des Aggressors geleitet wird, die Völkerrecht als Auslegungssache behandelt und die Einforderung von Menschenrechten als Einmischung in inneren Angelegenheiten zurückweist? Apropos UNsicherheitsrat: Eine Fehlkonstruktion mit sechs ständigen Mitgliedern, von denen fast immer mindestens eines direkt oder indirekt in militärische Konflikte involviert ist und dann von seinem Veto-Recht Gebrauch macht. So geht leider gar nichts in Sachen Sicherheit und Weltfrieden.
Und so wird das auch nichts mit dem weltweiten Klimaschutz. Die COP28 in Dubai könnte zur reinen Show der UAE und des Öl-Sultans verkommen, die mit CDR die Absolution der Weltgemeinschaft für ihre ungebremste fossile Wirtschaft ergattern wollen.
Die Medien waren zurückhaltend mit ihrer Berichterstattung von der Konferenz und ihres Abschlusses. Selbst die Führungsfigur Greta Thunberg landete trotz vermeintlichem Presserummel abseits der populären TV-Nachrichtensendungen. Was sollte man auch verkünden? We agree to disagree? Aber auch das wäre eine wichtige Nachricht gewesen.
Parallel: Versagen auf ganzer Linie auch zuhause
In Deutschland ist nicht einmal ein Verzicht auf neue (!) fossile Heizungen denkbar, ohne den Aufstand der Masse zu provozieren. Kognitive Dissonanz oder einfach nur egoistische Dummheit? Parallel zur Klimakonferenz ist Habeck’s gefleddertes Gebäudeenergiegesetz (GEG, „Heizungsgesetz“) inzwischen als unwirksames Skelett (laut Habeck „im Kern erhalten“) im Parlament gelandet, und das Klimaschutzgesetz mit seinen mühsam via BVerfG erstrittenen Nachbesserungen wurde zur Legalisierung eines fortgesetzten Rechtsbruchs „weichgeklopft“ und seiner Sektorenverantwortlichkeit beraubt. Gut für den ignoranten BMDV Volker Wissing, aber nicht fürs Klima. So einfach geht das in einer „innovativen Fortschritts“-Koalition.
Mit herzlichen Grüßen
Claus P. Baumeister