Der Netzentwicklungsplan dient nicht in erster Linie der Energiewende, sondern vor allem den Übertragungsnetzbetreibern, die ein betriebswirtschaftliches Interesse daran haben, auch künftig möglichst viel Energie zu transportieren. Er dient weiterhin den zentralistischen Stromkonzernen, die so ihre Macht festigen können, die durch den dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien stetig schwindet.
Die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNBs) in Deutschland (Amprion, 50 Hertz, Tennet, Transnet-BW) sind durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG §12b und §17b) verpflichtet, der Bundesnetzagentur (BNetzA) im Zweijahresrhythmus einen gemeinsamen Netzentwicklungsplan (NEP) Strom vorzulegen, welcher durch die BNetzA zu prüfen und zu bestätigen ist. Zu diesem Verfahren und den aktuellen Entwürfen der ÜNBs nimmt EUROSOLAR als gemeinnütziger und an einer gemeinwohlorientierten, dezentralen, schnellen und kostengünstigen Energiewende Stellung und benennt die gravierendsten Fehlentwicklungen des Planungsverfahrens. Die offiziellen Entwürfe und weiterführenden Dokumente sind auf der Internetseite der ÜNBs https://www.netzentwicklungsplan.de/ öffentlich einzusehen.
Die Bedeutung der NEP für die Zukunft der Energiewende
Die Bedeutung der aktuellen Entwürfe für den NEP2030 und den O-NEP2030 (für die Anbindung der Offshore-Windparks in Nord- und Ostse) besteht darin, dass hier die Wünsche der ÜNBs für den Ausbau der Übertragungsnetze artikuliert werden und nach der Konsultationsphase und der Überprüfung durch de BNetzA in den Bundesbedarfsplan und über das Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) in eine gesetzlich bindende Festlegung für die Gestaltung der zukünftigen Netzinfrastruktur fließen und somit weitreichende Weichenstellungen, Festlegungen und Pfadabhängigkeiten erzeugen.
Die Bedeutung von soliden und verantwortlich betriebenen Stromnetzen für eine sichere Energieversorgung steht außer Zweifel. Um Strom örtlich zu transportieren ist ein eng vermaschtes und zuverlässiges Stromnetz unabdingbar. Deutschland verfügt bereits über ein gut ausgebautes und verlässliches Stromnetz, das hinsichtlich der Ausfallzeiten weltweit vorbildliche Spitzenwerte vorzuweisen hat und sich durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf 12 Minuten jährlich weiter reduziert hat. Die ÜNBs identifizieren im NEP trotzdem erneut einen hohen Ausbaubedarf in Form neuer Trassen von 3.800 km für die Übertragungsnetze, davon alleine 2.600 km in Form neuer HGÜ-Verbindungen. Bestehende Übertragungsnetze sollen auf einer Länge von mindestens 7.600 km optimiert und verstärkt werden.
Umgekehrt werden aufgrund der berechtigten Zweifel der Bevölkerung und der wachsenden Widerstände gegen den Netzausbau im EEG2017 per Verordnungsermächtigung durch die BNezA sogenannte „Netzausbaugebiete“ ausgewiesen. Damit sollen Gebiete von der Küste bis nach Hessen bezeichnet werden, in denen der HGÜ-Ausbau stockt und deswegen der weitere Ausbau von EE-Anlagen gedrosselt werden müsse. Ein gemeinsames Gutachten der TU Berlin und des DIW im Auftrag der Hermann-Scheer-Stiftung konnte jedoch weder im Bereich des Netzausbaus noch in der Verfügbarkeit von Speichern und deren Entwicklung kurz- oder mittelfristige Engpässe für den weiteren EE-Ausbau feststellen
Netzausbau als Folge der Energiewende?
Der weitere Ausbaubedarf wird von den ÜNBs dabei in direkten Zusammenhang mit den Erfordernissen durch die Energiewende gestellt und damit gerechtfertigt. Damit wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass die Energiewende über die Investition in neue Wind- und Solarkraftwerke weitere Kosten induziert, die zwingend erforderlich seien. Diese Rechtfertigung entbehrt jedoch aus Sicht von EUROSOLAR der sachlichen Grundlage. Denn die Planungsgrundsätze für die NEPs machen an entscheidenden Stellen Vorgaben, die einem überdimensionierten Netzausbau und damit den Profitinteressen der ÜNB direkt in die Karten spielen. So wird auf der einen Seite ein Einspeisemanagement zur Spitzenkappung bei Wind und PV verankert, um den Netzausbau zu reduzieren. Dieses Vorgehen macht durchaus Sinn, da durch eine Spitzenkappung von 3 % der jährlichen Strommenge der notwendige Netzausbau um mehr als 50 % reduziert werden kann. Überdies könnten alternativ Investitionen in Speicher oder Power-to-X angeregt werden. Auffällig ist, dass auf der anderen Seite, also im Falle der unflexiblen Kohlekraftwerke, eine solche Vorgehensweise nicht gemacht wird. Mit Verweis auf die, durch das Strommarktdesign festgeschriebene, Orientierung auf einen uneingeschränkten europäischen Stromhandel wird den fossilen Kraftwerksbetreibern zugesichert, das Netz so zu dimensionieren, dass eben noch die letzte gehandelte Kilowattstunde bis nach Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich, die Schweiz, Polen oder in die Tschechische Republik transportiert werden kann.
Damit wird jedoch das Prinzip einer volkswirtschaftlich sinnvollen und an den tatsächlichen Erfordernissen orientierten Netzplanung fahrlässig verlassen. Die von den ÜNBs als zentral angesehenen HGÜ-Trassen von Nord- nach Süddeutschland werden nicht für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit benötigt, worauf nicht nur EUROSOLAR immer wieder hinweist. Der Ausbau der Hoch- und Höchstspannungsnetze sowie eines HGÜ-Netzes sind nicht in erster Linie durch den Ausbau der Erneuerbaren oder für die Herstellung der Versorgungssicherheit bei niedriger Einspeiseleistung durch Wind- und Sonnenstrom nötig. Sie sichern vielmehr den ungehinderten Export von Kohle- und Atomstrom ins angrenzende Ausland auch bei hoher Einspeisung von Sonnen- und Windstrom! Damit werden der Allgemeinheit Kosten und Belastungen durch neue Trassen aufgebürdet, um die Profite der fossilen Kraftwerksbetreiber zu sichern. Und das, obwohl sich in der Gesellschaft längst die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass wir aus der Kohleverstromung sozialverträglich aber schnell aussteigen müssen.
Der Aufbau eines gigantischen HGÜ-Netzes wird mit der Argumentation verteidigt, den Windstrom aus dem Norden in die Nachfragezentren in Süddeutschland leiten zu müssen. Diese Geschichte fällt zwar auf fruchtbaren Boden, ist bei genauerer Betrachtung jedoch völlig unhaltbar, wie Stephan Grüger, MdL und Vizepräsident von EUROSOLAR hier eindringlich erklärt .
Dass die HGÜ-Leitungen mit dem Thema Energiewende und der Aufrechterhaltung der Stromversorgungssicherheit nichts zu tun haben, lässt sich auch daran erkennen, dass die produzierten Strommengen aus Offshore-Anlagen selbst zusammen mit den Landwindanlagen in Norddeutschland den regionalen norddeutschen Strombedarf selbst in einem ambitionierten Ausbauszenario bei weitem nicht übersteigen. Ein aufwendiger und teurer Transport nach Süddeutschland ist daher völlig unsinnig. Vielmehr müsste die regionale Versorgung im Norden weitestgehend gedeckt werden und durch den Einsatz von Speichern und Power-to-X Technologien der Einstieg in eine vollständig erneuerbare Energiewirtschaft angegangen werden. Denn auf Situationen mit niedriger Stromproduktion aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien sind HGÜ-Leitungen keine Antwort. Sie sind ebenso auf entsprechend flexible Erzeugungs- oder Speicherkapazitäten angewiesen, schon weil sie Strom nur örtlich, nicht aber zeitlich verschieben.
Wenn die Netzbetreiber betonen, dass die Kostenschätzung von 33 Mrd. € für die geplanten HGÜ-Leitungen nur vorläufig sein kann und auf den wenigen Erfahrungen aus der eher leicht zu durchwühlenden norddeutschen Tiefebene stammen, kann man erahnen, dass die realen anfallenden Kosten diesen Betrag bei weitem übersteigen werden und damit für sinnvolle Maßnahmen nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung fehlt. Diese würde klarmachen, dass eine Einschränkung der impliziten Einspeisegarantie für fossile Kraftwerke für den Stromexport die meisten der geplanten Maßnahmen überflüssig machen würde.
Unter falschen Prämissen ist kein sinnvolles Ergebnis zu erwarten!
Die BNetzA hat nach einem eigenen Konsultationsverfahren einen Szenariorahmen genehmigt, der den ÜNBs die planerische Grundlage vorgibt, um ihre massiven Netzausbauwünsche und damit ihr Interesse an renditeträchtigen Investitionen in den Mantel der technischen Notwendigkeit zu kleiden. Trotz der vielfältigen Eingaben und Hinweise bei der Konsultation des Szenariorahmens auf absehbare Entwicklungen im Energiespeicherbereich, bei dezentralen Versorgungsansätzen, die zunehmende Bedeutung von SmartGrids, das Potential der Konvergenz der Energiemärkte und die allgemeine Geschwindigkeit bei der Technologieentwicklung und der Kostendegression, geht der Szenariorahmen selbst im „ambitionierten“ Energiewendeszenario C2030 nur in Ansätzen auf die zu erwartenden Entwicklungen ein. Die Verhaftung an den offiziellen Zielen der aktuellen Bundesregierung, die Orientierung an einem – von EUROSOLAR immer wieder scharf kritisierten –atomar-fossil strukturierten zentralisierten System führen insgesamt zu einer Netzplanung, die eben keinen soliden Rahmen für verschiedene wahrscheinliche Pfade der Energiewende aufzeigt, sondern vielmehr von der bremsenden Energiewendepolitik der Bundesregierung geprägt ist.
Als eine Neuerung im Verfahren gegenüber den letzten Jahren wird die regionale Betrachtung des erwarteten Ausbaus Erneuerbarer Energien präsentiert. Darin wird die, durch gesetzgeberische Mängel (Referenzertragsmodell, 10-H-Regelung, Ausschreibungsverfahren) entstandene, regional ungleiche Verteilung von Wind- und Solaranlagen abgebildet und eine weitere Fehlentwicklung in die Zukunft fortgeschrieben. Mit der fetischhaften Fixierung auf die Deckelung des Ausbaus und die Einführung von Ausschreibungen im EEG2017 im Zusammenspiel mit dem Verzicht auf mögliche Ausnahmen für kommunale und bürgerschaftliche Energieprojekte wurde das alleinige Kriterium für die Verteilung neuer Anlagen auf das niedrigste Preisgebot reduziert. Damit wird die ungleiche Verteilung von EE-Anlagen radikalisiert und so erst die Notwendigkeit für übermäßigen Netzausbau geschaffen. Dabei stehen in Süddeutschland ebenso ausreichend Potentiale für die Nutzung der Windenergie zur Verfügung, wie es im Norden ausreichend Potentiale für die Nutzung der Photovoltaik gibt. Mit einem Wort, das Szenario einer echten, dezentralen Energiewende mit weitreichenden kommunalen und regionalen Selbstversorgungsanteilen wird überhaupt nicht untersucht. Ebenso wenig werden Alternativen zum Netzausbau in Gestalt von kleinen und mittleren Gaskraftwerken für eventuell auftretende Versorgungsengpässe in Süddeutschland in Erwägung gezogen.
Grundsätzlich bleibt die fragile Zersplitterung der verschiedenen energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Maßnahmen zu bemängeln, die zu einer getrennten Betrachtung und Regulierung von eng miteinander verbundenen Bereichen führt. An dieser Stelle fehlt eine konsequente EnergieWENDEpolitik, die sich durch die Etablierung einer Neuen Energiemarktordnung und durch die Berücksichtigung und Anreizung der Konvergenz der Energiemärkte für Strom, Wärme und Mobilität auszeichnen würde. Die Pläne der ÜNBs und die Vorgaben der BNetzA atmen vielmehr den Geist einer zentralistisch orientierten Oligopolstruktur, die durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen abgesichert wird. Die offensichtlichen Vorteile einer dezentralen, verbrauchsnahen Versorgung werden ignoriert.
EUROSOLAR e.V. fordert daher ein transparentes, an den tatsächlichen Notwendigkeiten einer konsequenten und vollständigen Energiewende orientiertes, Verfahren unter Einbeziehung aktueller Erkenntnisse und belastbarer volkswirtschaftlicher Vergleichsrechnungen der vorhandenen und bekannten Alternativen.
EUROSOLAR e.V. fordert den Gesetzgeber auf, den energierechtlichen Rahmen endlich grundlegend zu bereinigen und in eine Neue Energiemarktordnung zu überführen, die Erneuerbare Energien ins Zentrum des Energiemarktes stellt, anstatt die überkommenen Geschäftsmodelle der atomar-fossilen Energieindustrie künstlich zu verlängern.