Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 wird entschieden, wie die Agrarsubventionen für den nächsten Siebenjahreszeitraum verteilt und damit die Weichen für die Agrarpolitik gestellt werden. Auf dem Spiel stehen die Qualität unseres Essens, eine klimagerechte Landwirtschaft und das Überleben kleiner Bauernhöfe.
Mit 60 Milliarden Euro im Jahr stellen die Agrarsubventionen 40 % und damit den größten Titel im EU-Haushalt. 20 % aller Betriebe – die Großbetriebe – erhalten 80 % der Direktzahlungen nach Fläche. Kleinbauern bekommen am wenigsten. Über 100.000 deutsche Kleinbetriebe mussten in den vergangenen zehn Jahren schließen. Das frei gewordene Land kaufen dann meist Agrarkonzerne oder Investoren. Die fatalen Folgen sind Höfesterben, Monokulturen, Glyphosat, Megaställe und Artenschwund. Ein Blick in den Agrar-Atlas der Böll-Stiftung zeigt deutlich, wie die Mittelvergabe nach Fläche zu weniger, dafür größeren Betrieben führt, weil Größe zum Wettbewerbsvorteil wird.
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Ernährung
Die globale industrielle Landwirtschaft produziert einen verheerenden Cocktail an reaktivem Stickstoff, der neben dem Klima unsere Gesundheit bedroht, so das United Nations Environment Programme (UNEP). Wieder einmal hängt alles mit allem zusammen und wir wissen nicht genau, wie‘s funktioniert. Ein Beispiel: Phosphor, genau dosiert, nutzt dem Pflanzenwachstum. In der intensiven Landwirtschaft wird Phosphor in Massen als künstlicher Dünger verwendet. Das wirkt dann toxisch und vergiftet Flora und Fauna in den Seen, Flüssen und Meeren. So nimmt der Getreidebauer dem Fischer seinen Fang. Besonders umwelt- und klimaschädlich sind die Lachgas- und Nitratemissionen aus der Massentierhaltung.
Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, die EAT-Lancet Commission on Food, Planet, Health, entwarf 2019 die Idee, eine gesunde Ernährung für eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden sicherzustellen und die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft auf Klima, Artenvielfalt und Gewässer zu verringern. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Konsum von rotem Fleisch und Zucker halbiert werden müsse – was auch der allgemeinen Gesundheit förderlich wäre. Die Vernichtung von Lebensmitteln müsste mindestens auf die Hälfte gesenkt werden. Die Ernährung wäre zum größten Teil pflanzlich und – was der Bericht nicht vertieft – ergänzt durch mit Biotechnologie künstlich produziertem Fleisch. Es scheint schwer vorstellbar, dass sich eine global gerechte Gesundheitskost für alle politisch durchsetzen lässt. Doch die Überlegung zeigt, dass es möglich wäre, deutlich mehr Menschen als derzeit auf der Erde leben, zu ernähren. Trotzdem hungern heute noch über 800 Millionen Menschen.
Flächen- und Wasserverbrauch
Das nova-Institut errechnete, dass eine vollständige Umstellung auf Biokunststoffe mit 30 % Biomasseanteil und 70 % durch direkte CO2-Nutzung machbar ist. Die hierzu notwendige Menge an Biomasse entspräche etwa einem Prozent der aktuell genutzten Biomasse. Bei agroindustriellem Anbau haben bio-basierte Kunststoffe jedoch keinen nennenswerten Umweltvorteil gegenüber erdöl-basierten Kunststoffen.
Die industrielle Agrarproduktion, sowohl von Futtermitteln als auch von Bioplastik, Kosmetika, Biokraftstoffen, Pressspan und Möbelholz, wächst. Es gibt eine starke Flächenkonkurrenz zwischen diesen beiden Nutzungsarten und der Ernährung, die auf einem globalen Markt ausgetragen wird. Konkurrenz besteht auch bezüglich des jeweiligen Wasserverbrauchs. Die Erzeugung der Biokraftstoffe für einen Transatlantikflug verbraucht so viel Wasser, wie in ganz Deutschland am Tag getrunken wird. Sie werden Erdöl nicht ersetzen. Agro-PV-Solarmodule über dem Acker verbrauchen fast kein Wasser, sondern helfen durch Verschattung den Feldern sogar, weniger Wasser zu verdunsten.
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Internationale Zusammenhänge
Die Handelspolitik der Europäischen Union wirkt sich negativ auf die Weltpreise aus und ist mit dafür verantwortlich, dass es weltweit zu Land Grabbing, der Aneignung von Land, kommt. Afrikanische Bauern können produktiv nicht mit Exportsubventionen, Billigfleisch und unfairen Handelsabkommen konkurrieren und gehen Pleite. Internationale Agrarkonzerne, Banken, Pensionskassen und nationale Investoren sichern sich dann riesige Flächen. Schätzungen schwanken zwischen 50 und 220 Millionen Hektar bereits industrialisiertem Ackerland weltweit. Die gesamte EU hat etwa 180 Millionen Hektar Äcker. Seit der Finanzkrise 2008 kaufen Finanzinvestoren Land. 2019 gibt es um die 140 spezialisierte Landfonds, vor einem Jahrzehnt waren es noch ein Dutzend. Das Investitionsvolumen in Land wächst jährlich um etwa zehn Prozent. Da ist es nur logisch, dass die armen und hungernden Menschen weltweit keine lukrative Zielgruppe sind, wenn über diesen sogenannten freien Markt versucht wird, maximale Renditen zu generieren. Durch Wetten auf die Preisentwicklung von Agrar-Rohstoffen wie Mais oder Weizen treiben Investmentbanken die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Sie sind Mitverursacher der Hungerkrisen und Flüchtlingsströme auf der Welt. Der rein spekulative Handel mit Rohstoff-Futures muss begrenzt werden. Die Limits könnten zentral von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) festgelegt werden.
Sämtliche wissenschaftlichen Analysen ebenso wie die des Europäischen Rechnungshofs belegen, dass eine Agrarpolitik der reinen Geldverteilung nicht angemessen ist. Trotzdem soll den Mitgliedsstaaten freie Hand für Umwelt-Dumping gewährt werden. Kommission und Europaparlament wollen, dass die EU-Länder allein entscheiden, ob Agrar-Umweltmaßnahmen in „wenigen benachteiligten Regionen“ angewandt werden sollen. Bauern, die etwas für Umwelt und Gesellschaft tun wollen, werden dann sogar benachteiligt gegenüber den Betrieben, die auf Kosten aller günstiger wirtschaften dürfen. Die aktuellen Vorschläge zur Neuorientierung der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) für die Periode 2021 bis 2027 bieten kaum Chancen für dezentrale Initiativen oder mehr Natur-, Umwelt- und Klimaschutz.
Es braucht mehr Vielfalt auf den Feldern, einen abwechslungsreichen Anbau von verschiedenen Ackerfrüchten, Mischkulturen und Agroforstsysteme, bei denen Bäume neben Nahrungspflanzen wachsen statt Monokultur. Naturferne Kiefern- und Fichtenwälder sollten in artenreiche Mischwälder umgewandelt werden. So kann auch CO2 in Böden zurückgeführt und der Wasserhaushalt stabilisiert werden. Die derzeitige Agrarpolitik mit ihrer pauschalen Mittelvergabe ist unökologisch, ungerecht und ineffektiv, so sagen einmütig die Umweltverbände. Gegen die Fehlanreize schlägt die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ein Punktesystem vor, das die Fördermittel stärker an gesellschaftlich relevante Leistungen koppelt.
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In Bayern hatte das Volksbegehren zur Rettung der Bienen so großen Zulauf, dass selbst der erzkonservative, doch geschmeidige Ministerpräsident Söder plötzlich von Blühstreifen, Arten- und Klimaschutz schwärmt – lauter Themen, die die dem Bauernverband treu ergebene CSU bisher zu verdrängen wusste. Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Klöckner hat dieses plebiszitäre Erweckungserlebnis noch vor sich. Im Januar 2019 demonstrierten in Berlin 30.000 Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt“ für eine andere Landwirtschaftspolitik. Dabei ging es neben Tierwohl, Insektenschutz und den Perspektiven kleinerer Betriebe auch um das Thema Klimaschutz. Die Wachsamkeit der Bevölkerung wächst.
Fazit
Die meisten der hier angesprochenen Themen werden in der Politik nur am Rande diskutiert. Die existierenden Beschlüsse zur Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union sind ein fantasieloses „Weiter so“ zur bisherigen Politik, die umweltschädlich und ungerecht ist. Doch erkennen immer mehr Landbesitzer, dass sie von guter Klimapolitik enorm profitieren könnten. Biomasse, Windräder, Wasserkraft- und PV-Anlagen benötigen Fläche und erhöhen damit die Pachterlöse. Gleichzeitig schädigt der Klimawandel den Wert ihres Eigentums, weil die landwirtschaftlichen Erträge sinken. Die politische Kraft der Landbesitzer könnte daher der Klimapolitik zu ihrem Durchbruch verhelfen. Die Europawahl ist auch Agrarwahl.
Dr. Axel Berg ist Vorsitzender der deutschen Sektion von EUROSOLAR.
Seinen vollständigen Artikel finden Sie in der kommenden Ausgabe des SOLARZEITALTERs (SZA 2/2019).
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