von Irm Scheer-Pontenagel, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2021.
So betitelten die Autoren Jean-Claude Débeir und Jean-Claude Deléage 1989 ihr Buch zur Geschichte der Energiesysteme. Wie Recht sie haben sollten, zeigen die Auswirkungen der menschengemachten Klimafolgen der letzten Jahre weltweit. Der neuste Bericht des Weltklimarates (IPPC) soll ein nochmaliger „Weckruf“ sein. Analysen, Berechnungen, aber mehr jedoch bestätigen die aktuellen Überschwemmungs- und Brandkatas-trophenereignisse, die schon vor 20 Jahren geäußerten Warnungen vor „irreversiblen“ Folgen der Klimaerwärmung. Wir alle sind Wissende und Zeugen dieser sich anbahnenden Krisen, wir sind Betroffene, Verursacher und Mahner zugleich. In einer Art Schizophrenie leben wir unser Leben mit der „Pyromanie“, heizen mit Kondensationskraftwerken die Atmosphäre auf und erhalten so unser atomar fossiles Energiesystem, auf das die Grundprobleme zurückzuführen sind. Ein Weltkrieg gegen die Natur. Nur die Strahlungsenergie der Sonne, die auf die Erde trifft, ist klimaverträglich – denn die Erde heizt sich selbst nicht auf. „Transformation“ heißt Energiequellenwechsel – von den atomar fossilen Quellen zur Sonne – dazu gibt es keine Alternative.
Die Voraussetzungen wurden mit den Techniken zur Nutzung Erneuerbarer Energien geschaffen – wir brauchen sie nur weltweit einzusetzen. Im November 2021 findet in Glasgow die nächste Klimakonferenz statt. Seit über zwanzig Jahren wird diese Weltkonferenz getragen von Wissenschaftlern, Politikern der Energiewirtschaft und Umweltorganisationen und einer „Gemeinde“, deren Empfehlungen auf internationalen Forderungen und Zielen beruht, deren Umsetzung in den Ländern der Welt erwartet wird. Früh wurde diese Struktur der Weltklimakonferenzen mit ihrem Regelwerk infrage gestellt. Die Kritiker seit Rio behielten Recht. Die Hoffnung, internationale Vorgaben und Ziele werden national umgesetzt, bleibt Wunschdenken. Der Handel mit „Verschmutzungsrechten“ als marktwirtschaftliches Instrument gelobt, erwies sich als folgenlos. Eine immer schneller wachsende undurchsichtige Bürokratie und kriminelle Machenschaften haben dieses Instrument zusätzlich in Verruf gebracht.
Dabei scheint der umfassende Handel mit Verschmutzungszertifikaten als Verschmutzungsrecht eines überkommenen fossilen Energiesystems auf dessen Dauerhaftigkeit zu setzen. In Wahlprogrammen in Deutschland wird wie selbstverständlich davon ausgegangen. Da viele Entwicklungsländer freie Zertifikate verkaufen, kann sich das System lange „erhalten“. In diesem Jahr ist der Einsatz der schmutzigsten Energie Kohle wieder gestiegen. Klimaneutralität schon bis 2040 erreichen zu wollen fordert die Atomkraftbefürworter erneut heraus. Die Klimafrage vorrangig über CO2-Emissionen zu definieren hat seine Tücken. Atomkraftnutzung als klimaneutral zu bezeichnen ist dafür ein Beispiel. Atomkraftnutzung erhitzt die Meere und Flüsse direkt, je nachdem welches Kühlsystem zum Einsatz kommt. Bei steigenden fossilen Energiepreisen wird der Ruf nach einer Verlängerung der Atomkraftnutzung in Deutschland sicher schnell wieder lauter. In Frankreich sollen die maroden Meiler durch kleine dezentrale Atomkraftwerke ersetzt werden – Modell Atom-U-Boot. Und der IPCC-Bericht bescheinigt der Atomkraft Klimaneutralität.
Hier zeigt sich der ganze Widerspruch des CO2-Berechnungssystems! Welche Kosten und Risiken das birgt, wird erst einmal ausgeklammert. Bei Zertifikatspreisen, die weder die wahren Umwelt- und Gesundheitskosten einpreisen noch wirklich berechenbar sind, ist dieses Instrument wohl kaum zur Transformation des bestehenden Energiesystems geeignet und eher ein Ablenkungsmanöver. Der Handel erfolgt mit den alten Akteuren und mit undurchsichtigen Regelungen. Je komplizierter, desto besser. Ein „Ablasshandel“ – die ungleichen Kosten werden auf den „Verbraucher“ abgewälzt mit der Forderung an die Politik, hier Gerechtigkeit zu schaffen. In der EU müssen die Einnahmen nicht nur die umfassenden Bürokratiekosten abdecken, sondern prozentual im Sinne eines Ausgleichs an die Länder zurückfließen. Eine undurchsichtige Rechnung und kein Beweis für die Reduzierung von klimarelevanten Emissionen. Schon 2020 warnte Prof. Uwe Leprich in einem Interview in dieser Zeitschrift (SZA 2/2020). „Schlimmer jedoch ist die Entscheidung, nach einer anfänglich steuerähnlichen Lösung, ab 2026 einen nationalen Emissionshandel für die Bereiche Gebäudewärme und Verkehr einzuführen, der den europäischen Emissionshandel ergänzen soll. Betroffen sind davon rund 4.000 Akteure („Inverkehrbringer“), also mehr als doppelt so viele wie bislang beim europäischen Emissionshandel (ca. 1.800 Anlagen). Geschaffen werden soll also ein bürokratisches Ungetüm […] und wie alle Emissionshandelssysteme die Tür weit öffnen wird für Zockereien von Finanzakteuren, die nach immer neuen Systemen dieser Art lechzen.“
Mit der Befürchtung ambitionierte Ziele nicht zu erreichen, folgt die Diskussion um die „Rückholung“ von CO2 aus der Atmosphäre. Auch in dieser Konstruktion soll es ein „Markt“ richten, bei dem „CO2-Credits“ von Ländern verkauft und von anderen gekauft werden – dabei sind die gleichen Folgen und Probleme zu erwarten, nur ergänzt um die zusätzlich unsichere und umstrittene CO2- Speicherung – in welcher Form auch immer. Hinzu kommt die Idee des „Geoengineering“ – ein weites Feld – mit der Gefahr von unkontrollierbaren Geschäftsmodellen – davor warnt auch die Wissenschaft. Dazu bastelt man in Deutschland und der EU an dem „Masterplan – Wasserstoff“ und dem damit erhofften Einsatz in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen: Wirtschaft – Wärme – Verkehr – damit sich dieser teure Plan auch rechnet. Wasserstoff ist keine Primärenergie und muss als „grüner“ Wasserstoff mit Hilfe EE teuer erzeugt werden und ist somit nur für Großverbräuche wie Flugverkehr, Stahlproduktion und Lastkraftverkehr sinnvoll.
SOLARZEITALTER 2-2021
Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 2-2021 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.
Privilegierung statt Kostenberechnung und Geschäft
Es hat lange gedauert, bis auf Klimakonferenzen die Erneuerbaren Energien überhaupt in den Fokus rückten, da man sich – trotz früher Kritik – interessengesteuert auf den internationalen Emissionshandel festgelegt hatte. Zeitweilig wurde dieser in Deutschland sogar als Alternative zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Stellung gebracht, obwohl die schnelle Kostenreduktion besonders der PV-Technik durch das EEG als größte Entwicklungshilfe weltweit gelobt wurde. Heute belegen die Berichte der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) diese Erfolge.
Eine Energiewende mit Erneuerbaren Energien braucht keinen Handel mit „Verschmutzungsrechten“ oder „CO2-Credits“ oder gar das Geschäftsmodell „Geoengineering“. Techniken zur Gewinnung Erneuerbarer Energien muss man nur einführen. Sie sind weltweit verfügbar und entsprechend regionaler klimatischer Bedingungen effektiv. Bei uns reicht es, Subventionen für den fossilen Bereich zu streichen und den Ausbau EE im Sinn des Klimaschutzes zu privilegieren sowie bürokratische Hemmnisse abzubauen, sodass ein „Bürgerinvestment“ greifen kann – demokratisch – kommunal – regional – dezentral im Sinne der Eigen- und Daseinsvorsorge. Die Einsicht, dass ohne Energie nichts geht, erfordert die Transformation des fossilen Energiesystems zu 100 % mit Erneuerbaren Energien – dem Klima geschuldet so schnell wie möglich – jetzt! Für Investitionen in „Umwege“ reicht weder das Geld noch die Zeit. Die Länder der EU sollten die Struktur des – Green Deal – hieran messen.
Die folgenden Beiträge und Interviews greifen die hier angesprochenen Themen auf und vertiefen sie. Mit der Würdigung und Dokumentation der Preisträger des Deutschen Solarpreises und mit dem Beitrag von Franz Alt schließt diese Ausgabe das Jahr 2021 ab.
Ich wünsche ein interessantes Lesevergnügen.
Irm Scheer-Pontenagel
Herausgeberin SOLARZEITALTER