Die Erneuerbaren Energien müssen aufwachen!

von Fabian Stichtenoth, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2021.

Seit Anfang des Jahres 2019 engagiere ich mich neben meinem Studium bei Fridays for Future. Während dieser Zeit habe ich unter anderem dabei unterstützt, die bundesweiten Forderungen der Bewegung auszuarbeiten, Großstreiks mit Millionen Teilnehmer*innen allein in Deutschland zu organisieren und ich habe an der Studie „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze“ des Wuppertal Instituts mitgearbeitet. Während dieser Zeit habe ich jedoch auch immer wieder Widerstände zu spüren bekommen, die zumindest ich vorher so nicht kannte.

Zu Beginn gab es Kampagnen, die Fridays for Future die Legitimität absprechen wollten. Auf diese folgten Kampagnen, die die Klimakrise als Verschwörungstheorie darstellten oder Deutschlands Verantwortung in der Bekämpfung der Klimakrise leugneten. Als auch nach diesen Kampagnen das Thema Klima nicht aus der öffentlichen Debatte verschwand, dauerte es nicht lange bis eine Kampagne der Initiative Neue Solziale Marktwirtschaft (INSM) Klimaschutz im Sinne der fossilen Industrie und Lobbyorganisationen durchsetzen sollte.

Doch trotz all dieser Kampagnen ist die Klimakrise und Klimaschutz für die Bevölkerung noch immer ein wichtiges und wahlentscheidendes Thema. Laut einer repräsentativen Studie von „More in Common“ macht sich die Mehrheit von 80 % der Bevölkerung Sorgen um die Klimakrise und auch in öffentlich geführten (Wahl-)Debatten geht es nicht selten um die Klimakrise. Kein Wunder, denn in den letzten Jahren wurden richtungsweisende Gerichtsurteile von der Klimagerechtigkeitsbewegung gewonnen, es wurden Fehlentscheidungen der Politik verhindert und die Union steht in Wahlumfragen so schlecht da wie noch nie. Auch wenn man es viel zu selten merkt, es gibt sie doch, die Erfolge im Kampf gegen die Klimakrise. Und doch, trotz all dieser Erfolge frage ich mich immer noch, wie es sein kann, dass öffentlich darüber diskutiert wird, ob, wann und wer etwas gegen die Klimakrise unternehmen muss! Es wird darüber diskutiert, wer die Kosten für Klimaschutz übernimmt und ob sich die Energiewende überhaupt für uns lohnt. Es wird darüber diskutiert, wie Arbeitsplätze in den fossilen Industrien gerettet werden können und eine Branche wird als Bürde für die gesamte Gesellschaft dargestellt: Die Erneuerbaren Energien!

Auch während des Wahlkampfes zur Bundestagswahl wurde den Erneuerbaren Energien vor allem die Rolle der Bürde zugeschrieben. So wurde bspw. während des TV-Triells am 12.09. von ARD und ZDF 16 Minuten über Klimaschutz diskutiert. Während dieser 16 Minuten ging es 12 Minuten um die Kosten der Energiewende. Konkrete Inhalte, Maßnahmen oder sogar Vorteile der Energiewende wurden kaum thematisiert, weder von den Moderator*innen, noch von den Kandidierenden. Auch bei der Nutzung öffentlicher Gelder zeigt sich, dass Erneuerbare Energien als Bürde angesehen werden und man lieber in fossile Industrien investiert. Greenpeace recherchierte 2016, dass allein in Nordrhein-Westfalen über 60 Kommunen RWE-Aktien besitzen. Das Correctiv konnte dies 2020 durch zusätzliche Recherchen bestätigen, stoß bei diesen jedoch auf großen Widerstand aus der Politik. So wollte zum Beispiel die Kreisfreie Stadt Mülheim

an der Ruhr Anteile im Wert von mehr als 250 Millionen Euro verschweigen.

Aber fossile Energien werden nicht nur finanziell unterstützt. Stattdessen werden die Erneuerbaren Energien zusätzlich aktiv von der Politik ausgebremst. PV-Deckel, 10H-Regel und bürokratische Hindernisse sind nur einige der Maßnahmen, um eine Energiewende zu verhindern. Insgesamt wurden unter Kanzlerin Merkel circa 117.000 Arbeitsplätze in den Erneuerbaren Energien vernichtet. Allein 2019 musste Enercon 3.000 Stellen streichen.

SOLARZEITALTER 2-2021

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 2-2021 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

Weitere Informationen

Das Debakel der „Bürde der Erneuerbaren Energien“ gipfelt in den Entschädigungszahlungen für den Kohleausstieg. Diese liegen offiziell bei 4,35 Milliarden € und damit laut Öko-Institut um 1,9 Milliarden € zu hoch. Wie diese Summe berechnet wurde, ist unklar, das Bundeswirtschaftsministerium dementierte lediglich die Nutzung einer fragwürdigen Formel, legte die richtige Grundlage der Berechnung aber nicht offen. Und doch, trotz all dieser Unterstützung für die fossilen Industrien, trotz des negativen Framings der Erneuerbaren Energien kommt die Gegenwehr der gesamten Branche, wenn es sie denn gibt, kaum in der Öffentlichkeit und in den wichtigen Debatten an. Es gibt kaum öffentlich wirksame Kampagnen für die Nutzung und den Ausbau der Erneuerbaren Energien und auch in Talkshows treten keine Vertreter*innen der Branche auf. Und das, obwohl es gute Argumente dafür gäbe. Argumente, die das Narrativ der „Bürde“ aushebeln könnten. Argumente, die z.B. aufzeigen, dass mit einer Investition in RWE von 2000 bis 2019 im Schnitt jährlich -3,4 % Rendite eingefahren wurde, während Bürgerenergiegenossenschaften jährlich circa 4 % Rendite auszahlen können. Argumente, die aufzeigen, dass die 117.000 verlorenen Arbeitsplätze deutlich zukunftsfähigere und nachhaltigere Arbeitsplätze waren als die 20.000 Arbeitsplätze, die vehement in der Kohleindustrie gerettet werden sollen. Und eben Argumente, die aufzeigen, dass bei dem Kohleausstieg unbegründet Steuergelder verschenkt werden in einer Höhe, die selbst das Mautdebakel in den Schatten stellt, anstatt diese in die Energiewende zu investieren.

Die Erneuerbare Energien-Branche muss sich also endlich zusammentun und gemeinsam aktiv an der öffentlichen Debatte teilhaben und somit auch gegen die Klimakrise ankämpfen. Sie muss sich endlich gegen Narrative der fossilen Industrie wehren und der Bevölkerung zeigen, dass sie keine Bürde für die Gesellschaft ist. Auch bei Fridays for Future arbeiten wir daran. Solche Aufgaben können aber nicht allein von einer Schüler*innen- und Student*innenbewegung gestemmt werden und deswegen braucht es Vereine wie EUROSOLAR. Vereine, die die Erneuerbare Energien-Branche zusammenbringen und organisieren können. Neben meiner Tätigkeit bei Fridays for Future möchte ich mich deswegen in Zukunft auch vermehrt bei EUROSOLAR einbringen. Gemeinsam können wir vernetzen, Narrative verändern und endlich für die Energiewende sorgen, die wir wirklich brauchen.

Fabian Stichtenoth ist 25 Jahre alt und studiert im Master Elektrotechnik an der TU Berlin. Neben seinem Studium engagiert er sich zusätzlich seit Anfang 2019 bei Fridays for Future und ist Mitglied bei EUROSOLAR.

Quellen