Solarenergie zum „Important Project of Common European Interest“ erklären

Interview mit Eicke Weber, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2021.

In einem offenen Brief vom 4. August 2021 an die scheidende Kanzlerin Angela Merkel führten besorgte WissenschaftlerInnen aus, welche Entwicklungen das Erdklima in den kommenden Jahren und Jahrzehnten als Folge des bisher ungebremst ansteigenden Gehaltes der Erdatmosphäre an CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen wie Methan nehmen wird. Sie warnten vor den Gefahren des ‚tipping points‘, des kritischen  Schwellwertes, jenseits dessen sich die weitere Entwicklung irreversibel beschleunigen werde. Sie weisen darauf hin, dass in wichtigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und durch Autoren des IPCC im Detail beschrieben wird, dass viel früher als bis zum Jahr 2050 die Gefahr besteht, wichtige Schwellwerte zu überschreiten; mit Temperaturerhöhungen von 3 Grad und mehr, begleitet vom Anstieg der Meeresspiegel um einen Meter oder darüber. Es sei sehr wahrscheinlich, dass diese Schwelle bereits um 2035 erreicht wird. Prof. Dr. Eicke R. Weber, Chair, European Solar Manufacturers Council  ESMC war Initiator dieses Aufrufs.

Solarzeitalter: Wir haben das vor uns stehende Problem gut erkannt. Im Jahr 2000 wurde in Deutschland das vom Parlament eingebrachte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verabschiedet. Es fand weltweit Beachtung und wurde Grundlage für viele nationale Regelungen. In Deutschland konnten damit allein die Kosten der Solarenergie in zwei Jahrzehnten um mehr als den Faktor 10 reduziert werden – von 50 Cent/kWh zu Beginn des Jahrhunderts auf unter 5 Cent/kWh – trotzdem steigen die Energiekosten in Deutschland. Wie ist das den Bürgern zu vermitteln?

Eicke Weber: Deutschland hat in der Tat der Welt einen großen Dienst erwiesen: Durch das EEG haben wir vor 10 Jahren einen attraktiven finanziellen Rahmen geschaffen, der Investitionen in den Zubau von Erneuerbaren Energien, besonders Wind und Sonne, durch das Angebot eines attraktiven, auf 20 Jahre garantierten Einspeisetarifs finanziell attraktiv machte. Dies erzeugte einen ungeahnten Boom, und in der Folge sanken die Kosten von Solarstrom tatsächlich um den Faktor 10, aber auch die Kosten von Windstrom. Dafür mussten natürlich die Zusatzkosten für die Netzbetreiber erstattet werden, und dies geschah durch die EEG-Umlage auf den Strompreis. Bis 2009 funktionierte dies auch sehr gut, der Anstieg der Strompreise war kaum spürbar. Dies änderte sich, als im Zuge einer EEG-Novellierung der Kreis der Stromabnehmer, der von der Umlage ausgenommen wird, von den ursprünglich angepeilten Firmen im internationalen Wettbewerb auf alle Strom-Großverbraucher ausgedehnt wurde. Zusätzlich wurde die Berechnung der Umlage auf den Unterschied zwischen Einspeisetarif und dem Preis an der Strombörse bezogen, der durch die Einspeisung rasch wachsender Mengen erneuerbar eingespeisten Stroms rasch sank. Dies trieb in den folgenden Jahren die EEG-Umlage etwa doppelt so schnell in die Höhe wie der Anstieg der Ausgaben für die Umlage wirklich war, und diese Belastung wurde wesentlich auf die Kleinverbraucher konzentriert. Großabnehmer von Strom profitierten von den durch die Einspeisung großer Mengen von Solar- und Windstrom gesunkenen Preisen an der Strombörse sowie von den Ausnahmeregelungen. Die Kleinverbraucher dagegen bemerkten nur die durch die Einspeisevergütung wie auch die steigenden Netzentgelte steigenden Belastungen.

Eicke Weber. Foto: Robin Krahl, CC BY-SA 4.0

Die augenblicklichen Steigerungen unserer Energiepreise beruhen allerdings auf den Preissteigerungen der Öl- und Gasmärkte, und da kann man nur sagen: Wenn wir jetzt bereits weiter fortgeschritten wären auf dem Weg zur Energiewende, wäre der Einfluss der steigenden Öl- und Gaspreise auf die Energiekosten der Verbraucher in Deutschland bedeutend geringer gewesen. Unsere Leistungen in der Vergangenheit, die bereits zu über 50 % unserer Stromversorgung basierend auf Erneuerbaren Energien führten, helfen bereits, den Effekt der schwankenden fossilen Energiepreise abzupuffern. Zusätzlich sollten wir feststellen, dass stabile, planbare Energiepreise für unsere Industrie ein Wettbewerbsvorteil sein werden, wie es schon ein Wettbewerbsvorteil ist, dass die Zahl der Unterbrechungsminuten unserer Stromversorgung in Deutschland, der SAIDI Index (Strategic Average Interruption Duration Index), einen historischen Tiefstand erreicht hat.

Solarzeitalter: Diese Lösungen sind kostengünstig und sie schaffen Arbeitsplätze. Deutschland war in dieser Zeit Vorreiter bei der Entwicklung eines dezentralen Arbeitsmarktes zur Energiewende. Unter Beteiligung von Bürgerinitiativen, Kommunen, Firmen und dem Handwerk wurden über 400 000 Arbeitsplätze geschaffen. Politische Rahmenbedingungen wie das 100 000 PV-Dächer-Programm unterstützten diese Entwicklung. Doch dann folgte der Einbruch – Firmeninsolvenzen mit dem Verlust von über 100 000 Arbeitsplätzen in der jungen Industrieproduktion. Was war geschehen?

Eicke Weber: Dies ist sehr leicht zu erklären: Während wir in Deutschland überaus erfolgreich einen rasch wachsenden Markt für Photovoltaik (PV)-Module in Gigawatt (GW) Größenordnungen schufen, haben wir keine Industriepolitik betrieben, um auch den Aufbau der entsprechenden Industrie zu fördern.

Die wenigen Firmen zur Herstellung von PV-Zellen und -Modulen, die in Deutschland gegründet wurden, nutzten die begrenzten Möglichkeiten der EU-Regionalförderung für die neuen Bundesländer. China dagegen erkannte 2008 die strategische Bedeutung der Solarenergie und stellte einen großen Fördertopf bereit – Schätzungen sprechen von $50 Mrd. – nicht als Subventionen, sondern in Form von Kreditgarantien für Firmengründer. Diese wurden übrigens zu ca. 90 % nie benötigt, da die Firmen profitabel waren. Daher entstand in China im Zeitraum 2009­–2013 eine große Kapazität von PV-Produktion, die wesentlich nach Deutschland geliefert wurde. Allerdings floss ein großer Teil jener $ 50 Mrd. nach Deutschland und Europa, um hier die für die PV-Produktion erforderlichen Maschinen zu kaufen. Dies schuf weitere Arbeitsplätze bei uns. Der Aufwuchs der Produktionskapazität ging aber noch rascher als das Wachstum des Marktes, 2013 war die globale Produktionskapazität mit ca. 60 GW etwa doppelt so hoch wie der damalige Weltmarkt, der ‚nur‘ 30 GW betrug. Diese Überkapazität führte zu weiteren, drastischen Einbrüchen der Preise. Firmen mit großen Vorräten an unverkauften Solarmodulen warfen diese auch unter Produktionskosten auf den Markt, um Liquidität zum Überleben zu erzeugen. Dazu kam, dass wir durch die bereits angesprochene Novellierung des EEG 2009 den Zubau von PV-Anlagen schwieriger machten, so wurden z.B. große Freiflächenanlagen vollkommen aus der Förderung genommen. So kam es, dass viele PV-Produktionsfirmen in Deutschland und Europa, aber auch in China, die keine tiefen Taschen einer Mutterfirma oder des Staates hatten, in dieser Zeit Pleite machten. Durch den Einbruch des Marktes erging es ebenso vielen PV-Installateuren, daher sprechen wir vom Verlust von ca. 100.000 Arbeitsplätzen.

SOLARZEITALTER 2-2021

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 2-2021 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

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Solarzeitalter: Sie sehen starke Widerstände in der fossilen Wirtschaft. Welche sind das und welche politischen Weichenstellungen fordern Sie?

Eicke Weber: Die fossile Wirtschaft hat in den letzten Jahren deutlich bemerkt, dass ihre Situation im Markt zunehmend unhaltbarer wird. Es wird immer deutlicher, dass die Kosten von Strom aus Wind und Sonne unter den Kosten von Strom aus Kohle, Gas, Öl sowie Atomenergie liegen. Um aber mit Investitionen, die zunehmend ‚lost assets‘, also verlorene Investitionen werden, so lange wie möglich Profite zu erzeugen, versucht die alte fossile Wirtschaft, die Transformation zu Erneuerbaren Energien so lang wie möglich zu verzögern.

Eine wirksame politische Weichenstellung kann hier ein CO2-Preis sein, der sich an den wirklichen Kosten der Emission klimaschädlicher Gase orientiert, die bei ca. € 180/t CO2 liegen. Ein derartiger Preis kann nicht sofort eingeführt werden, das würde der Wirtschaft schaden, und die Preisbildung sollte auch nicht dem freien Handel mit Zertifikaten unter einem starren Deckel überlassen werden, da dies zu starken Ausschlägen führen kann, aber ein planbarer Anstieg des CO2-Preises wäre sehr vernünftig.

Insgesamt sollte die Politik erkennen, dass alle regulatorischen wie finanziellen Hindernisse gegen den raschen Ausbau der Erneuerbaren Energien rasch abgeräumt werden müssen, damit wir auch nur eine Chance haben, die vereinbarten, ehrgeizigen Klimaziele einer Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, maximal 1,5 Grad, zu erreichen.

Solarzeitalter: Wir haben die nötigen Werkzeuge und die erforderlichen Mittel, das Problem zu lösen; Es besteht die Möglichkeit der Transformation der Wirtschaft und unseres Energiesystems zu 100% mit Erneuerbaren Energien. Welche Haupthindernisse stehen dieser Entwicklung entgegen?

Eicke Weber: Haupthindernis sind neben den direkt betroffenen Interessen der fossilen Wirtschaft auch die mangelnde Erkenntnis unter Politikern und Wählern, dass die rasche Umstellung unseres Energiesystems, ja unserer gesamten Wirtschaft auf Erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit, nicht nur technisch möglich ist, sondern auch ökonomisch vorteilhaft. Zahlreiche neue, häufig gut qualifizierte Arbeitsplätze werden geschaffen. Energiekosten bleiben stabil und werden planbar, anstatt bei jedem hick-up der Öl- und Gas-Märkte auf und ab zu schwanken. Diese disruptive Entwicklung bietet große ökonomische Chancen, und Länder, die dabei pionierhaft vorangehen, werden davon wesentliche auch wirtschaftliche Vorteile haben. Diese Entwicklung sollten wir daher unbedingt umgehend raschest möglich umsetzen. Außer den angesprochenen wirtschaftlichen Vorteilen treiben uns auch die drohenden Gefahren katastrophaler Klimaveränderungen, die uns in den kommenden Jahren – leider – jedes Jahr immer deutlicher ins Bewusstsein kommen werden.

Solarzeitalter: Die Situation in den Mitgliedsländern der EU ist ebenso unbefriedigend. Mit dem Green Deal legt die EU nun Ziele vor und erwartet von den Regierungen der Länder Umsetzungsprogramme. Wie sehen Sie deren Möglichkeiten?

Eicke Weber: Ich sehe diese Möglichkeiten sehr positiv, der Green Deal bietet den EU-Mitgliedsländern die Chance, Hilfe bei den erforderlichen Investitionen in Anspruch zu nehmen. Zunächst gibt es die umfangreichen Mittel der ‚Recovery and Resilience Facility‘, der nach-Corona-Stützungsmaßnahmen, über € 600 Mrd, von denen ca. 1/3 für den Klimaschutz eingesetzt werden sollen. Das European Solar Manufacturing Council (ESMC) arbeitet an einer genauen Analyse der von den EU-Mitgliedsländern eingereichten Vorschläge. Diese Analyse zeigt, dass ein wichtiger Aspekt, die Wiederherstellung einer lokalen Wertschöpfungskette für die Herstellung von Solarmodulen für die Ernte des preiswerten Sonnenstroms, nur sehr wenig berücksichtigt wurde. Ich halte dies für einen zentralen Fehler: Wenn wir ernsthaft den Umbau unseres Energiesystems in Richtung 100 % Erneuerbare Energie in Angriff nehmen wollen, können wir uns doch nicht bei einem der zentralen Pfeiler, der Ernte der Sonnenenergie zur Stromerzeugung durch Photovoltaik (PV), zu fast 99 % auf Im-porte verlassen, besonders aus einem Land mit so unberechenbaren politischen Verhältnissen wie China. Wir konnten eine derartige Abhängigkeit nicht bei der Herstellung von Batteriezellen für die Elektromobilität tolerieren und sollten dies ebenfalls nicht tolerieren bei der Herstellung von Solarzellen als wichtiger Pfeiler unserer künftigen Energieversorgung!

Daher sollten wir umgehend in der EU die Herstellung von Solarzellen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Solarenergie zu einem ‚Important Project of Common European Interest‘, kurz: IPCEI, erklären, und dadurch den EU Mitgliedsländern die Chance eröffnen, den Wiederaufbau einer konkurrenzfähigen europäischen Solarindustrie der Bedeutung dieser zentralen  Aufgabe entsprechend zu fördern!

Solarzeitalter: Herr Prof. Weber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Irm Scheer-Pontenagel, Herausgeberin SOLARZEITALTER.

Prof. Dr. Eicke R. Weber ist Chair des European Solar Manufacturing Council ESMC, Vorsitzender der Kommission für Energie und nachhaltiges Wirtschaften und Senator des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft BVMW, ehemaliger Direktor des Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems ISE und emeritierter Professor an der UC Berkeley und Albert-Ludwigs University Freiburg.