30 Jahre „Das Solare Regierungsviertel“

Von Astrid Schneider, erschienen im SOLARZEITALTER 1-2022

Solarenergie auf dem Reichstagsgebäude, dem Kanzleramt, den Parlamentsgebäuden, dem Bundesrat und so gut wie allen Ministerien in Berlin – das ist das Ergebnis der Konferenz „Das Solare Regierungsviertel“ am 28. September 1992 im Reichstagsgebäude in Berlin

EUROSOLAR war ein noch junger Verein, vor allem junge Naturwissenschaftler versammelten sich um Hermann Scheer und ließen sich inspirieren. Die Debatte um erneuerbare Energien war zuerst von den Umweltproblemen wie dem Waldsterben getrieben – und erst seit kurzer Zeit rückte der Klimawandel in die Diskussion. Im Jahr 1989 hatte EUROSOLAR noch einen lustigen Namen: „EUROSOLAR – Vereinigung zur Durchsetzung des Solaren Energiezeitalters“. Wenn ich das damals jemandem erzählte, wurde ich genauso angeschaut, als wenn ich mich mit einem orangefarbenen Umhang in die Fußgängerzone gesetzt und getrommelt hätte. Ungläubig, staunend, fragend – und irritiert. Bei EUROSOLAR-Versammlungen, welche Andreas Brockmöller, der die Regionalgruppe Berlin gründete, an der Hochschule der Künste in Berlin abhielt, liefen plötzlich Physiker mit langen Bärten, karierten Flanellhemden und Birkenstockschlappen zwischen den Marmorsäulen durch die heiligen Hallen der Kunst. Der Gegensatz hätte nicht größer sein können. Die Wende kam, Andreas Brockmöller war überbeschäftigt – und ich wurde gebeten nachzufolgen.

Mit der Frage konfrontiert, was Gotthard Schulte-Tigges (Physiker) und ich als frisch gewählte SprecherInnen der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg von EUROSOLAR zur Aufgabe von EUROSOLAR beitragen könnten, hatte ich als Architekturstudentin eine Idee: wie wäre es, wenn das neue Regierungsviertel solar gebaut würde? Das Dauerargument gegen den Einsatz von Solarenergie war der Preis. Aber wäre das auch so bei Regierungsgebäuden? Die Stadt Berlin war frisch dem Klimabündnis der Städte beigetreten und hatte sich verpflichtet, ihre CO2-Emissionen und Treibhausgase um 50 % zu reduzieren. Die Bundesrepublik hatte das Klimaabkommen von Kyoto unterzeichnet. Die Idee: könnten Gelder vorgesehen für Repräsentation nicht für Solarenergie genutzt werden? Das Geld war doch da? Und gab es noch Ausreden ob der hehren Ziele?

Initiatoren

Wir nahmen Kontakt mit Hermann Scheer, dem Präsidenten von EUROSOLAR auf, der sofort Feuer und Flamme war, eine solche Konferenz in Berlin abzuhalten – und zwar sollten wir das im Reichstag machen. Die Räume dort würden dem Parlament – welches damals noch samt Regierung in Bonn war – bereits zur Verfügung stehen. Der Saal sei groß, bis zu 400 Personen würden hineinpassen. Per Zufall hatten wir einen Mitarbeiter der „Energieleitstelle“ des Berliner Umwelt- und Stadtentwicklungssenates in unserer Regionalgruppe, Manfred Kasper. Er fragte dort um Förderung an – und ob der Senator Volker Hassemer (CDU) sprechen würde – und beides funktionierte, die Senatsverwaltung wurde zudem Mitveranstalter. Auch das Bundesbauministerium, damals noch unter der FDP, ließ die Ministerin als Schirmherrin mitwirken. Nun hatten wir schon einmal Vertreter der drei Parteien SPD, CDU und FDP im Boot  – sowie den grünen „Energiepolitischen Ratschlag Berlin“ als Mitveranstalter. Somit konnten wir unser Anliegen „parteineutral“ gestalten. Als weiterer Unterstützer machte auch die DGS  (Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie) mit. Und Solidar Architekten, Günther Löhnert und Ludewig stellten ihr Büro als Organisationsplattform zur Verfügung – zusammen mit Birgit Heller-Irmscher als Organisationstalent.

Die Konferenz im „alten“ Reichstagsgebäude

Solarkonferenzen waren damals noch bei weitem nicht so populär wie heute – E-Mails gab es noch nicht, wir faxten noch. Es kam der 28. September 1992 – und der Saal war bis auf den letzten Platz voll. Über 400 Teilnehmer füllten den Saal. Der Senator kam – und konnte es kaum glauben.

Das Konzept der Konferenz war innovativ: ein „Mitmachkonzept“ – eine Konferenz mit einem Ziel: Solarenergie und Erneuerbare bei den Neubauten zu etablieren. Vorab wurden von den Initiatoren und Stakeholdern Thesenpapiere eingefordert. Hier exemplarisch die Thesen des Vorstandssprechers des Berliner Energieversorgers BEWAG, Jürgen Beyer: „Die Solarenergie spielt in Berlin gegenwärtig nur eine geringe Rolle. Sie wird auch in der Zukunft, abgesehen von Einzelfällen, keinen größeren Anteil an der Energieversorgung in Berlin haben. Die BEWAG ist jedoch überzeugt davon, dass die Solarenergie in Zukunft in den Entwicklungsländern in zunehmendem Maß an Bedeutung gewinnt. (…)“. Die heute noch lesenswerte Dokumentation in Form einer Publikation des Berliner Senates (Das Solare Regierungsviertel – Neue Energiepolitik für Berlin Heft 10) dokumentiert alle Stellungnahmen und Vorträge. So schrieb Hermann Scheer: „Sie wissen, dass 40 % des Energieverbrauchs in der BRD in Häusern stattfindet. Das heißt mit anderen Worten, dass man, wenn die konkrete Utopie realisiert wird – für die es heute schon Beispiele gibt – und zu Null-Energiehäusern kommt, d.h. zu Häusern, die keine herkömmliche Fremdenergie mehr benötigen, dann hätten wir die Hälfte des gesamten Energie-Umweltproblems alleine mit dem Bauen gelöst. (…)“. Ich selbst schrieb damals: „Solarenergie wird in unseren Breiten im nächsten Jahrtausend einen erheblichen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Das nächste Jahrtausend beginnt in sieben Jahren und drei Monaten. Den regenerativen Energien und der Kultur des intelligenten Umgangs mit Energie und Material kommt in den nächsten Jahrzehnten die Schlüsselrolle zur Sicherung unserer Energieversorgung, unseres Wohlstandes und unserer Umwelt zu. (…)“. Wir wussten damals bereits, dass wir Geschichte schreiben würden.

Eine Vielzahl prominenter Redner führte den damaligen Stand der Technik und den Ausblick aus. Prof. Rolf Kreibich berichtete über Energie in der IBA Emscher Park, Andreas Brockmöller berechnete „Das Solarenergiepotential in Berlin“, Günther Löhnert erläuterte „Entwurflich planerische Anforderungen an Solararchitektur“. Dieter Schempp gab Beispiele für „Grüne Solararchitektur in öffentlichen Bauten“ – ein bis heute zu wenig beachteter Ansatz der Integration von Pflanzen, Mensch und Technik. Stefan Behling von Foster Associates beschrieb „Solarenergie als eine Herausforderung in der Architektur“ – eine Herausforderung, welcher sich die späteren Gewinner des Wettbewerbs zum Umbau des Reichstages zum Deutschen Bundestag dann auch stellten.

Und auch der Quartiersgedanke wurde auf der Konferenz bereits deutlich. So beschrieb Klaus Müschen, damals Leiter der Berliner Energieleitstelle „Das Solare Regierungsviertel im Rahmen des Energiekonzeptes Berlin“. Siegfried Rettich erläuterte, was „Dezentrale und regenerative Energieversorgungskonzepte“ leisten können. Derweil zeigte Norbert Kaiser einen Weg auf für ein „Solargestütztes urbanes Energiekonzept für das Regierungsviertel“. Auch Hans-Dieter Hegner vom Bundesbauministerium äußerte sich bei der Konferenz offen für ein „lokales Energieversorgungskonzept“, wie es später auch realisiert wurde.

Das Parlament als Bauherr

Wichtig war die Einbindung der tatsächlichen Akteure und Entscheidungsträger in diese initiale Konferenz. So war Peter Conradi (MdB) Sprecher der SPD-Fraktion in der Baukommission des Ältestenrates des Bundestages. Diese war der eigentliche Bauherr und Auftraggeber des neuen Regierungsviertels. Den von ihm formulierten „Anforderungen an die Bundesbauten aus Sicht des Bundestages“ kam insofern Gewicht zu. Frank und frei gibt er zu: „Bei den Bonner Bauten haben ökologische Überlegungen keine Rolle gespielt“. Zur Formulierung des städtebaulichen Wettbewerbes zum Regierungsviertel in Berlin und für den Umbau des Reichstages sagte er: „Beide Wettbewerbe erlauben Solararchitektur; Solararchitektur ist erwünscht“.  Wichtig war dann, dass in der Folge der Konferenz der Ältestenrat als Bauherr ein gesondertes Budget für Solaranlagen auf und an den Bundesbauten im Spreebogen zur Verfügung gestellt hat, um so das Dilemma zu lösen, dass die spezifischen Anlagenkosten damals noch hoch waren und ansonsten drohten, durch das Gebot zur Wahl des wirtschaftlichsten Systems bei öffentlichen Bauten aus der Realisierung herauszufallen.

Doch der beste Bauherr kann nichts bewirken, wenn nicht auch seine „Umsetzer“ begeistert sind. Große Anerkennung gebühren hier dem Bundesbauministerium und der Bundesbaugesellschaft, welche mit der Realisierung von Bundestag und Bundesregierung beauftragt wurde. So schlug Prof. Ehm vom Bundesbauministerium bereits auf der Konferenz den Niedrigenergiehausstandard für die Bundesbauten vor, sie sollten weniger als 20 kWh/m2/a für Heizen und Kühlen verbrauchen. Als konkrete Umsetzungsmaßnahme wurde in der Folge vom später benannten „Umzugsbeauftragten der Bundesregierung“ von Bauminister Klaus Töpfer ein Energiebeauftragter für die neuen und zu renovierenden Bundesbauten in Berlin ernannt. Beauftragt wurde das IEMB, hervorgegangen aus der Ostberliner Bauakademie, in Persona Herr Römmling.

Das Resultat: ein Solares Regierungsviertel in Berlin

Die Vision für ein «Solares  Regierungsviertel» zeigte Wirkung. Auf parlamentarische Initiativen von Hermann Scheer folgten Beschlüsse des Bundestages, die Grundsätze für das energiebewusste und solare Bauen festschrieben:

  • Mindestens 15 % Deckung des Energiebedarfs der neuen Regierungsbauten in Berlin sollten aus regenerativen Energiequellen stammen.
  • Niedrigenergiehaus-Bauweise als Baustandard mit 25 % geringerem Verbrauch als in der (damals noch zukünftigen) WSVO 1995 wurde vorgeschrieben.
  • Bereitstellung eines gesonderten Etats von 18 Millionen DM für Solarstromanlagen und zwei Millionen DM für solar-thermische Anlagen auf den Regierungsgebäuden.
  • Installation von rund 10.000 m2 Photovoltaikanlagen auf den Regierungsgebäuden und 1500 m2 solarthermischen Kollektoren.

Integriertes Energiekonzept

Im Berliner Energiebeirat wurde in Folge monatelang um die Energieversorgung für das eigentliche „Regierungsviertel“ im Spreebogen gerungen. Als Vertreterin von EUROSOLAR im Beirat hatte ich eine mühsame Aufgabe: der Berliner Energieversorger BEWAG wollte das lukrative Prestigeprojekt Regierungsviertel unbedingt für sich gewinnen und an die Berliner Fernwärme anschließen. Abenteuerlichste Berechnungen – auch vom Berliner Büro des Ökoinstitutes – wurden vorgelegt, um zu beweisen, dass die fossile Energieversorgung der BEWAG – mit einem Erdgas-GUD – wesentlich ökologischer sei als ein regeneratives Energiekonzept. Solarenergie würde nur Braunkohlestrom als Ergänzung nach Berlin holen und so wesentlich zur Umweltverschmutzung beitragen. Nach langem Ringen wurde in Abstimmung vom Berliner Senat, welcher für die städtische Energieinfrastruktur zuständig war, zusammen mit der Bundesbaugesellschaft als Bauherrin der Gebäude ein dezentrales Energieversorgungskonzept für den Spreebogen ausgeschrieben.

Als Gewinner bezüglich Wirtschaftlichkeit und Emissionsvermeidung ging aus diesem Wettbewerbsverfahren das später realisierte Konzept hervor:

  • Für die Gebäude im Spreebogen – das Bundeskanzleramt, den Reichstag, das Paul-Löbe Haus, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sowie das Jakob-Kaiser-Haus – wurde ein Energieverbund mit einem Leitungsnetz für Elektrizität, Wärme und Kälte geschaffen.
  • zentrales Element sind Blockheizkraftwerke, welche mit Rapsmethylester betrieben werden.
  • sowie ein Aquifere-Tiefenspeicher (280–300 Meter Tiefe für Wärme und 60 Meter für Kälte), Abwärme aus den BHKW kann so vom Sommer in den Winter gespeichert werden und winterliche Kälte über Freikühler für die sommerliche Kühlung über Kühldecken und Betonkernaktivierung genutzt werden.

Dieses bereits vor mehr als 20 Jahren realisierte regenerative Quartierskonzept kann noch heute als fortschrittlich betrachtet werden. Auch wenn statt Biomasse heute vermehrt auf Sonne und Wind gesetzt würde.

SOLARZEITALTER 1-2022

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 1-2022 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

Weitere Informationen

Unsichtbare Solarenergie

Heute wundern sich viele, die vom Solaren Regierungsviertel lesen: ja wo ist denn die Solarenergie? Man sieht ja gar nichts! Das war allerdings damals in der Tat Konzept. Die Architekten wollten nur ja keine Solaranlagen sichtbar machen. Teils kamen die Herausforderungen spät in den Wettbewerb, teils wurden die Solaranlagen allerdings auch bereits damals meisterhaft integriert.

So hat das Paul-Löbe-Haus gegenüber dem Bundeskanzleramt ein sehr großes Atrium, welches im Rahmen des „Solaren Regierungsviertels“ mit einer über 3000 m2 großen Verschattungsanlage bestehend aus Glaslamellen mit amorphen Solarzellen versehen wurde. Beim Bundeskanzleramt sind die Solaranlagen auf den Flachdächern – und beim Reichstagsgebäude wurde das Süddach mit integrierten kristallinen Glas-Glasmodulen erbaut. Beim Bundespräsidialamt wird sogar der Sitzungssaal und beim Justizministerium ein Glasatrium mit beweglichen Solar-Verschattungslamellen beschattet. Als eines der letzten Ministerien wurde am Spreebogen der Neubau des Forschungsministeriums realisiert. Dort wurden erstmals Solarmodule als attraktive Fassadenelemente eingesetzt.

Die heutigen Herausforderungen und verlockende Südwände von Parlamentsgebäuden und Kanzleramt

Als Fortsetzung des Projektes eines „Solaren Regierungsviertels“ könnte man heute überlegen, ob nicht die verlockenden Südwände des Bundeskanzleramtes, des Paul-Löbe-Hauses und des Elisabeth-Lüders-Hauses das „Band des Bundes“ mit einem „Band der Energie“ ergänzen könnten. Aus gestalterischen Gründen wurde der Ost-West-Brückenschlag dieser Regierungs- und Parlamentsgebäude mit großen geschlossenen Betonfassaden gestaltet. Sie verlocken geradezu sie solar zu aktivieren, zumal sich die Fassaden des Bundeskanzleramtes bereits als Dauerbaustelle erwiesen haben.

Ich selbst stellte auf der Konferenz das Projekt eines „Internationalen Solarzentrums in Berlin“ vor, um so die spätere IRENA nach Berlin zu locken. Die „IRENA“ wurde aufgrund der intensiven politischen Bemühungen von Hermann Scheer und EUROSOLAR schon längst gegründet. Aus den Ideen zu einem „Internationalen Solarzentrum Berlin“ entstanden das „Energieforum Berlin“ an der Spree und das „Solarzentrum Berlin“ in der Fasanenstraße. Jetzt in der Tat wäre die richtige Zeit, um ein „Internationales Solarzentrum“ in Berlin zu etablieren, welches Forschung, Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Demonstration verbinden und den internationalen Besuchern vorstellen könnte.

Der Deutsche Bundestag erhielt für den Umbau des Reichstags mit regenerativem  Energiekonzept den Deutschen Solarpreis 1999.

Astrid Schneider ist Architektin und war von 1992 bis 2015 zusammen mit Gotthard Schulte-Tigges Sprecherin der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg von EUROSOLAR e.V.

www.astrid-schneider.de