Editorial: Der Preis fossiler Emissionen – Unberechenbare Folgen


Von Irm Scheer-Pontenagel, erschienen im SOLARZEITALTER 1-2022.

In Glasgow hat sich die Einschätzung durchgesetzt, dass es unter dem alten Kyoto-Protokoll viel Wildwuchs bis zu Betrügereien gegeben hat. So scheinen einige Fehler erkannt und es ist immerhin gelungen, das seit 2015 für das Paris-Abkommen diskutierte Regelbuch zum Klimaschutz abzuschließen – mit Regeln, nach denen die Staaten ihre nationalen Zusagen erheben, berechnen und berichten. Ebenso mit Regeln für die internationale Zusammenarbeit bei Investitionen in den Klimaschutz. Wie diese Regeln erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Weiterhin unklare Aussagen – wie die zur Taxonomie – werden Erfolge jedoch einschränken. Da heißt es außerdem z.B. es kann durchaus sinnvoll sein, eine bestimmte Summe Geld nicht im eigenen Land in den Klimaschutz zu investieren, sondern anderswo, wo man viel größere Effekte damit erreichen kann. Diese Meinung sollte hinterfragt werden. Die Aussage „viel größere Effekte“ ist nicht nur unpräzise, sondern auch kaum belegbar. Außer Acht gelassen wird dabei die wichtige Information: wer „investiert“ und wer „profitiert“? Ein „viel größerer Effekt“ braucht eine Bezugsgröße, die nicht benannt wird. Wenn dem die Annahme zugrunde liegt, dass z.B. die Technik der PV in sonnenreichen Gegenden insgesamt „effizienter“ sei, so ist dies Argument schnell zu widerlegen, denn die „Effizienz“ bezieht sich allein auf die Anlage und nicht auf das Energiesystem, in welches sie zu integrieren wäre. Das heißt, ohne die Kosten eines dazu nötigen Leitungssystems ist die Berechnung unvollständig. Es werden Effizienz und Effektivität und ihre jeweilige Bedeutung für eine Energieversorgung gleichgesetzt oder verwechselt. Leider unterstützen solche Unklarheiten falsche Anreize zum Nachteil der Klimabilanz der Welt.

Der Begriff „Geoengineering“ – erstmals in den 1960er Jahren diskutiert – scheint heute in der Wissenschaft eine neue Diskussionsgrundlage zu bekommen. Die berechtigte Befürchtung, die in Paris gesetzten Klimaziele einer Reduzierung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu verfehlen, führt in der Wissenschaft und darüber hinaus zu weitreichenden, aber auch kontroversen Diskussionen und Forderungen. Die Annahme, dass die politischen Minderungsziele nicht ausreichen, die CO2 Konzentration in der Atmosphäre zu stoppen, verpflichte zur Ausweitung der „Technik-Forschung“, zur Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre oder als ein „Management“ der Sonnenstrahlung. Zu befürchten ist, dass diese Entwicklung Akteure als „Krisengewinnler“ zu neuen Geschäftsmodellen stimuliert. Dazu hat das Umweltbundesamt eine Studie („Geo-Engineering: wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn“) vorgelegt. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, hebt im Interview die Gefahren eines „Sonnen-Engineering“ hervor. Einem von ihm initiierten Aufruf schloss sich eine Großzahl von Wissenschaftlern an.

Zwischenruf: Logik des Krieges

Jeder Krieg hinterlässt „verbrannte Erde“ für Mensch und Natur. Kriege werfen die Menschheit zurück im Einsatz gegen den bedrohlichen Klimawandel. Wenn Aggressoren es wollen und können, führen sie Krieg. Die Menschheit scheint machtlos, dieser Gewalt etwas anderes entgegen zu setzen – die Welt rüstet auf.

In Deutschland haben (fast) alle Parteien die Bedeutung des menschengemachten Klimawandels anerkannt mit der Einsicht, dass fossile Emissionen in der Atmosphäre unberechenbare Folgen für das Klimasystem zum Preis haben. Diese Folgen über einen Handel mit Zertifikaten als Verschmutzungsrechten begrenzen zu wollen, ist unethisch und entspringt einem hybriden Marktdenken. Falsche Erwartungen und Berechnungen eines „unberechenbaren“ Systems – wie dem Klimawandel – setzen die fortgesetzte Nutzung „fossiler“ Energien voraus. Einnahmen aus diesem System für Fördertöpfe oder zur Abfederung sozialer Härten bei Preissteigerungen im fossilen System erfordern einen kostspieligen Bürokratismus. Welche Blüten der in Deutschland neu eingeführte Emissionshandel im Verkehr treibt, dokumentiert ein Erfahrungsbericht von Hans-Josef Fell.

Irm Scheer-Pontenagel, Foto: Peter-Paul Weiler/berlin-event-foto.de

Es geht bei der Transformation unseres Energiesystems allein um den Energiequellenwechsel – vom atomaren und fossilen zum Erneuerbaren Energien-System und das so schnell wie möglich. Die Menschheit steht im Wettlauf mit der Zeit. Aufwendungen für „Umwege“ versperren den Blick, auch wenn diese in Krisenzeiten unumgänglich zu sein scheinen. Ob dazu jedoch langjährig bindende Verträge mit ebenso kriegführenden Ländern nötig sind, ist fraglich. Ebenso, ob es politisch klug oder vorausschauend ist, den Bau von Schiffsterminals als LNG-Infrastruktur zum Import von hochumstrittenem Fracking-Gas zu beschleunigen, wenn der Ausbau Erneuerbarer Energien Vorrang haben sollte, wie von den Koalitionären betont.

Deutschland hat sich als erste Industrienation dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Das „Osterpaket“ will diesem Anspruch gerecht werden. Von EUROSOLAR werden dazu politische Rahmenbedingungen erwartet, die eine Transformation des Energiesystems – regional und dezentral – erfolgreich umsetzen. Für EUROSOLAR heißt das, Wiederbelebung der Kommunalen Solar-Initiative mit noch intensiverer Öffentlichkeitsarbeit und Verbreitung regionaler Praxisbeispiele in Städten, Kommunen und Regionen über die Auslobung erfolgreicher Projekte mit dem Deutschen und Europäischen Solarpreis.

Eine schnelle unabhängige Energieversorgung im Einklang mit den Klimaverpflichtungen kann nur dezentral und mit regionalen Akteuren erfolgen. Die Stadt als „Sonnenkraftwerk“ bietet die Chance, jenseits des Bodenverbrauchs umfassend Potentiale auszuschöpfen. PV auf den Dächern, Windkraftanlagen und PV entlang von Autobahnen, Bundesstraßen und dem Schienennetz – hier liegen die Ausbauziele. Wasserstoffproduktionsplanungen mit Wind- und Solarparks im Zusammenwirken mit der regionalen Industrie sind dezentral realisierbar. Internationale Großindustrie gegen regionale Investoren zu stellen, wäre ein falsches  Signal und ein Widerspruch. Eine Energiepolitik mit solchen Prioritäten und Abhängigkeiten kann fatale Folgen haben, das ist heute schmerzhaft zu erfahren. Die Energiewende mit Erneuerbaren Energien ist eine Energiesystemwende von einem zentralisierten internationalen Versorgungssystem zur dezentralen Trägerstruktur mit regionaler Wertschöpfung und Partizipation. Zu befürchten ist allerdings, dass auch heute wieder das Denken in großen internationalen Maßstäben – getragen von überkommenen Versorgungsstrukturen im alten Profitsystem – dem sogenannten Klein-Klein entgegengesetzt wird.

SOLARZEITALTER 1-2022

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 1-2022 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

Weitere Informationen

Kein Wissenschaftler wird bezweifeln, dass auch in Deutschland und in der EU die Energie der Sonne ein Vielfaches unseres Bedarfs decken kann. Es kommt allein darauf an, welche Techniken und Technikfortschritte wir in effektiven Synergien für ihre autonome Nutzung einsetzen. Die Großkonzerne scheinen in Deutschland die Gunst der Stunde erkannt zu haben. Internationale Großkonzerne sichern sich kommunale Flächen für Solar- oder Windparks, die genauso als Bürgerenergie- oder Genossenschaftsparks mit regionalen Investoren und Wertschöpfung mit breiterer Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen wären. Die politische Forderung im „Osterpaket“, 2% der Fläche eines Bundeslandes zum Windkraftausbau zu sichern, geht in die richtige Richtung. Allerdings wird die „Bandbreite“ von Investoren in der Kommune rasant steigen. Kommunale Entscheidungsträger werden es daher nicht leicht haben, die demokratische Mitwirkung ihrer Bürger im Sinne des Gemeinwohls zu sichern. Es bleibt bei der Grundfrage, wer wann welche Fläche bebaut und wer profitiert.

Energy in Afrika

Europa will seine fossile Brennstoffabhängigkeit durch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft lösen. Dazu sieht nicht nur die EU, sondern auch Deutschland besondere Chancen in Afrika. „Mit billigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen kann man grünen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen herstellen” erklärte Frans Timmermans, als Vizechef der Europäischen Kommission auf dem siebten EU-Afrika Wirtschaftsforum (14. Februar 2022). Zudem könne die Produktion von Wasserstoff Afrika erlauben, seine Wirtschaft zu diversifizieren, indem der grüne Wasserstoff die Produktion von grünem Stahl oder grünem Dünger erschließt. Auch Deutschland setzt auf den Import von Wasserstoff aus Afrika. Das Auswärtige Amt hat dazu in den Hauptstädten Nigerias und Angolas Büros eröffnet. In Afrika haben 600 Millionen Menschen noch keinen Zugang zu Strom. Ob diese Pläne der EU und Deutschlands ihnen dabei helfen, Arbeitsplätze zur Grundversorgung aufzubauen und zu sichern, ist fraglich, eher gilt auch hier der Grundsatz: Nur ein regionaler dezentraler Systemaufbau mit Erneuerbaren Energien sichert Entscheidungsstrukturen zur autonomen Versorgung und Wertschöpfung.

Das solare Regierungsviertel

Das „Band des Bundes“ sollte den einstigen Ost- und Westteil Berlins über die Regierungsbauten entlang des Spreebogens um den Reichstag herum verbinden und stellt das Berliner Regierungsviertel (mit Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus) dar. Vor den Bauarbeiten (1997–2003) veranstaltete EUROSOLAR 1992 im Reichstagsgebäude das Symposium „Das solare Regierungsviertel“. Dort wurde das Ziel formuliert, mit den Um- und Neubauten für den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung ein markantes   Beispiel für energetisch optimiertes Bauen und die Nutzung der Solarenergie zu setzen. Am 8. September 1999 nahm der Deutsche Bundestag mit der ersten Plenarsitzung im neuen Reichstagsgebäude seine Arbeit auf. Noch im gleichen Jahr wurde der Bundestag von EUROSOLAR mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet. Das Regierungsviertel als Band des Bundes ist damit ein sichtbares Zeichen der Brücke ins Solarzeitalter.

Die folgenden Beiträge und Interviews greifen die hier angesprochenen Themen auf und vertiefen sie. Ich wünsche ein interessantes Lesevergnügen.

Irm Scheer-Pontenagel