Gegen starke Widerstände durchgesetzt

Von Stefan Gsänger, erschienen im SOLARZEITALTER 1-2022

Die Gründung der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA war ein langwieriger Prozess über mehrere Jahre, bei dem viele Hürden überwunden werden mussten. Der von IRENA später offiziell als „Gründungsvater“ anerkannte Hermann Scheer wusste aus den 90ern sehr genau, wo die Fallstricke für eine solche internationale Initiative lagen, und hatte daher für IRENA nicht den Weg über die Vereinten Nationen gewählt, sondern schlug IRENA als eigenständige, multinationale Organisation vor. Damit war kein Konsens mehr zwischen allen Staaten nötig und die Gruppe der Willigen konnte vorangehen. Dennoch stieß die Initiative sofort auf große Widerstände – und das nicht nur oder gar in erster Linie direkt aus der Richtung der fossilen oder atomaren Energiewirtschaft, wie man hätte vermuten können.

Die World Wind Energy Association (WWEA) gehörte zu den ersten und wichtigen Verbündeten von Hermann Scheer und warb von Beginn an aktiv bei Regierungen und anderen Stakeholdern für IRENA, da es aus Sicht von WWEA eine offensichtliche Lücke im internationalen System gab, die geschlossen werden musste: Erneuerbare Energien waren im UN-System nicht wirksam vertreten und diese eklatante Schwäche offenbarte sich beispielhaft bei den ersten UN-Klimakonferenzen, bei denen Erneuerbare Energien praktisch überhaupt nicht thematisiert wurden – obwohl sie doch das Hauptinstrument zur Bewältigung der Klimakrise darstellen.

Bedauerlicherweise stellten sich Teile der internationalen Umweltverbände bei der Realisierung von IRENA quer, einschließlich von Teilen der NGOs in Deutschland, sowie auch der damalige Umweltminister Trittin. So endete die an sich erfolgreiche internationale Regierungskonferenz Renewables2004, ohne dass das Wort IRENA offiziell auch nur erwähnt worden war – während beim parallel tagenden Parlamentarier-Forum eine Resolution verabschiedet wurde, die genau die Gründung von IRENA forderte.

Mit dem Wechsel zur Großen Koalition im Jahr 2005 änderte sie die Lage und die Bundesregierung ging ernsthaft und systematisch die Gründung von IRENA an. Sonderbotschafter wurden ernannt und warben für die Initiative, die bald offiziell von mehreren Staaten getragen wurde. Bei dem offiziellen Gründungstreffen in Bonn im Januar 2009 unterzeichneten dann mehr als 75 Länder die Gründungsdokumente – weit mehr, als selbst viele IRENA-Befürworter erhofft hatten. Heute hat IRENA 167 Vollmitglieder, was ein eindrucksvoller Beleg ist, wie wichtig Hermann Scheers Idee war und ist.

Nach Gründung: Versuch der Dominanz durch zentralistische Akteure

Von dem Moment an, an dem sich herauskristallisierte, dass IRENA nicht mehr zu verhindern war, änderten sich die Lager blitzartig und vormalige Gegner der Initiative versuchten nun, den Gründungsprozess zu beeinflussen und die Kontrolle über die weitere Entwicklung von IRENA zu gewinnen. Das galt für Regierungen wie auch für nicht-staatliche Akteure, und manche Grundsatzentscheidungen zu IRENA spiegelten dies wieder, einschließlich wichtiger Personalfragen und auch des Sitzes der neugegründeten Organisation.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich dabei die Art und Weise, wie nicht-staatliche Organisationen formell und informell Einfluss auf die Arbeit von IRENA nehmen können. Anders als bei UN-Organisationen wie dem UN-Klimasekretariat, wo es zumindest für die formelle Einbeziehung von NGOs klar definierte Verfahren gibt, war bei IRENA lange nicht klar, auf Basis welcher Modalitäten IRENA mit nicht-staatlichen Akteuren kooperieren kann. Bis heute gibt es etwa für die Teilnahme an den offiziellen IRENA-Treffen keinen permanenten Beobach-
terstatus, wie dies diverse UN-Einrichtungen kennen. Letztlich wurde die sogenannte Coalition for Action gegründet, bei der Nicht-Regierungsorganisationen die Möglichkeiten haben, Mitglied zu werden und dadurch offiziell an der Arbeit von IRENA mitzuwirken. Die Coalition verfügt inzwischen über mehrere Arbeitsgruppen, in denen Weißbücher erarbeitet und auch diverse Veranstaltungen durchgeführt werden.

Bereits bei der Gründung der Coalition gab es Bestrebungen, für bestimmte Akteure privilegierte Zugänge zu schaffen und die Agenda der Coalition einseitig zu gestalten. Es handelte bzw. handelt sich dabei häufig um Organisationen, die unter Einfluss der konventionellen Energiewirtschaft stehen und deren Ziel es ist, auch künftig die energiewirtschaftliche Dominanz dieser Unternehmen sicherzustellen. Bis in jüngster Zeit gab es ganz offene Versuche, sogar Öl- und Gasunternehmen formell entscheidenden Einfluss zu verschaffen. Größere Diskussionen entstanden etwa darum, ob internationale Konzerne aus dem Öl- und Gas-Sektor Mitglied in der Coalition werden könnten. Obwohl eine deutliche große Mehrheit der NGOs das ablehnte, gab es sogar bei einigen Verbänden der Erneuerbaren Energien Befürworter.

Hilfreich ist natürlich die von Hermann Scheer in kluger Weise angelegte Konstruktion von IRENA als Agentur nur für Erneuerbare Energien und nicht etwa für „nachhaltige“ oder „saubere“ Energie: Daher muss IRENA gemäß ihren Statuen selbst dafür sorgen, dass die Arbeit sich nur auf Erneuerbare Energien bezieht und nicht einmal indirekt die Nutzung atomarer oder fossiler Energien unterstützt wird. Insgesamt lässt sich sagen, dass dies in der Realität größtenteils auch so umgesetzt wird, auch wenn es inzwischen Kooperationen etwa mit der stark fossil geprägten Internationalen Energie-Agentur IEA oder der Internationalen Atomenergieagentur IAEA gibt.

Der Energie-System-Konflikt
bei IRENA

Nicht übersehen werden darf aber: Der dezentrale Charakter der Erneuerbaren Energien, von Hermann Scheer oft als wahre Ursache für den Systemkonflikt der Energiewende beschrieben, sorgt für ein grundsätzliches Problem bei IRENA: Unbestreitbar spielen einerseits lokale und dezentrale Akteure, oftmals klein- und mittelständische Unternehmen, die also für die Energiewende konstitutiv sind, beim Aufbau und der Nutzung der Erneuerbaren Energien eine fundamentale Rolle. Gleichzeitig haben solche Akteure in der Regel weder die Möglichkeit noch erkennen sie überhaupt die Notwendigkeit, sich an internationalen politischen Prozessen zu beteiligen und daher nehmen solche Akteure natürlicherweise nicht an Treffen von IRENA teil. Plastisch gefragt: Welche deutsche Energiegenossenschaft verfügt über ein Reisekostenbudget und über Personal, um an IRENA-Treffen teilnehmen zu können? Klein- und mittelständische Unternehmen stehen übrigens vor der gleichen Herausforderung. Auch die Sprache stellt eine weitere Hürde dar, da natürlich lokalere Akteure ihre jeweilige Landessprache nutzen und oft nicht gut Englisch sprechen, die Arbeitssprache von IRENA.

Neu auf der Agenda von IRENA: dezentrale und gerechte Energiewende

Will IRENA weiter erfolgreich sein, so muss sie die Energiewende und ihre maßgeblichen Akteure in ihrer Gänze wahrnehmen und einbeziehen – was wie beschrieben keine triviale Aufgabe ist. Umso wichtiger ist einzuschätzen, dass es gelungen ist, eine Arbeitsgruppe für Bürgerenergie bei IRENA einzurichten. Dies geschah auf Initiative von WWEA bereits im Jahr 2017, verbunden mit dem ausdrücklichen Ziel, eine breitere Vertretung der maßgeblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure bei IRENA sicherzustellen. Letztlich zielt diese Initiative darauf ab, bei IRENA zu gewährleisten, dass die Bedürfnisse und die Expertise von kleineren energiewirtschaftlichen Akteuren einfließen. An der Bürgerenergie-Gruppe beteiligen sich zwar aus den bereits beschriebenen Gründen wenige kleinere Akteure direkt, allerdings sind wichtige Bürgerenergie-Netzwerke beteiligt und bringen so die Perspektive der lokalen Akteure mit ein. Inzwischen konnte die Gruppe auch mehrere Weißbücher erstellen, die bei den IRENA-Mitgliedern auf konkretes Interesse stoßen. Zu hoffen bleibt, dass die Führung von IRENA diese Arbeit auch zunehmend in ihrer Arbeit und vor allem bei der Formulierung von politischen Empfehlungen berücksichtigt. Seit dem Jahr 2020 gibt es darüber hinaus auf der Ebene der IRENA-Mitgliedsstaaten eine Kollaborationsplattform für eine gerechte und inklusive Energiewende, an der auch Gewerkschaften beteiligt sind. Auch dies ist sehr zu begrüßen, da es den Blick schärft, dass die weltweite Energiewende auch große sozioökonomische Verteilungsfragen aufwirft und dass auch die Perspektive von Arbeitnehmer*innen elementar ist.

Das künftige Potenzial von IRENA, weltweite Energiewende zu fördern – am Scheideweg

IRENA hat, wie beschrieben, ohne Zweifel inzwischen eine wichtige Rolle beim weltweiten Wechsel hin zu den Erneuerbaren Energien. Die Agentur verfügt über exzellente Daten zu der Entwicklung der Erneuerbaren Energien, vertritt diese Perspektive auch bei internationalen Prozessen wie bei den UN-Klimakonferenzen und berät vor allem Entwicklungsländer bei der Formulierung von politischen Rahmenbedingungen für Erneuerbaren Energien.

Entgegen zwischenzeitlicher Tendenzen steht die Arbeit von IRENA inzwischen auch auf mehreren Säulen, wenn auch noch nicht von einer ausgewogenen Situation gesprochen werden kann. Internationale Unternehmen, auch aus dem fossilen oder atomaren Bereich, haben es schlichtweg viel einfacher, die Arbeit von IRENA zu beeinflussen und sie tun dies auch sehr rege. Es muss daher sicher weiter sehr genau beobachtet und begleitet werden, welche Gruppen und Organisationen bei IRENA welchen Einfluss haben. In dem Zusammenhang ist sehr kritisch zu sehen, dass IRENA inzwischen sogar Kooperationsabkommen mit einzelnen Unternehmen abgeschlossen hat – natürlich stets große, internationale Konzerne. Hier ist es ganz entscheidend, IRENA zu sensibilisieren und auf Defizite hinzuweisen, damit ausgleichende Maßnahmen ergriffen werden. Denn die weltweite Energiewende kann nur dann funktionieren, wenn sie den richtigen Prämissen folgt. Und eine der wichtigsten Prämissen ist, dass, ob in Industrie- oder in Entwicklungsländern, lokale Unternehmen und lokale Gemeinschaften eine zentrale Bedeutung haben. Nur mit deren aktiver Unterstützung wird es gelingen, die weltweite Energiewende rechtzeitig zu schaffen. IRENA kann hier eine Schlüsselrolle spielen, wenn sie ihre Mitgliedsländer dabei berät, wie Energiewende durch Mobilisierung lokaler Ressourcen gelingen kann.

SOLARZEITALTER 1-2022

Diesen und viele weitere Artikel lesen Sie in der Ausgabe 1-2022 im SOLARZEITALTER, der EUROSOLAR-Zeitschrift.

Weitere Informationen

Sollte IRENA in erster Linie dem Einfluss zentralistischer Akteure folgen, dann werden einige der Bemühungen ins Leere laufen und IRENA wird nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Regionale Organisationen werden dann dafür sorgen müssen, dass die Energiewende die wichtigen Akteure mobilisiert. Angesichts dieser Herausforderung für IRENA ist es umso wichtiger für diejenigen, die die Bedeutung einer demokratischen und bürgernahen, einer partizipativen Energiewende erkannt haben: Bringt Euch bei IRENA ein, als nicht-staatliche Akteure entweder über die Coalition for Action! Oder, indem die Regierungen der Mitgliedsländer von IRENA dazu animiert werden, dass sie auf die Beachtung der grundlegenden Prinzipien einer erfolgreichen Energiewende bei IRENA achten: Dezentralität und breite gesellschaftliche Partizipation.

Ibrahim Togola und Stefan Gsänger verbindet eine langjährige enge Freundschaft und Zusammenarbeit. Gemeinsam arbeiten sie auf internationaler Ebene für die weltweite Wende hin zu 100% Erneuerbare Energien, basierend auf den Prinzipien von Dezentralität, Demokratie und Partizipation. Gemeinsam haben sie u.a. die 2. Welt-Bürgerenergie-Konferenz organisiert, die im November 2018 mit Delegierten aus 30 Ländern in der malischen Hauptstadt Bamako stattfand. Ziel war es, das Konzept Bürgerenergie auf dem afrikanischen Kontinent bekannter zu machen und die Bedeutung von lokalen Investoren beim Aufbau der Erneuerbaren Energien in Afrika zu stärken.

Stefan Gsänger ist Generalsekretär der World Wind Energy Association (WWEA)