Ausbau der Erneuerbaren

Beschleunigung durch Weitergabe
von Kostenvorteilen

Von Johannes Lackmann, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2022

Bis zu Beginn der 20er Jahre waren Entwicklung und Ausbau der Erneuerbaren Energien im Strombereich angewiesen auf Fördergesetze mit Mindestpreisregelungen wie etwa das EEG. Sowohl die technisch-wirtschaftlichen Entwicklungen wie auch die Bildung einer mittelständischen Akteursstruktur wären sonst kaum möglich gewesen.

Ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen bleibt auch für die Zukunft wichtig, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

Aber 2 Dinge haben sich inzwischen verändert:

  • Solar- und Windstrom sind so kostengünstig geworden, dass sie Neuinvestitionen in fossile und nukleare Erzeugung unterbieten können.
  • Die Strommarktpreise haben sich seit Ende 2021 extrem von den Erzeugungskosten abgekoppelt. Die Preisexplosion kann zu schweren sozialen Verwerfungen führen, Zulauf für rechten Populismus schaffen und einige Industriesektoren in den Ruin treiben.

Bisher war der Druck zum Ausbau der Erneuerbaren vor allem klimapolitisch begründet. Das war – abgesehen von einigen Unwetterkatastrophen – für die meisten Menschen eher abstrakt und aus Sicht der Industrie eher eine lästige Pflicht, wo man im Rahmen des „burden sharing“ nur einen möglichst geringen Teil selbst beitragen wollte. Aus der lästigen Pflicht ist jetzt plötzlich ein dringender Bedarf geworden. Ohne Erneuerbare ist Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben. Die Abhängigkeit von autokratischen Regimen endet in extremen Preisen mit hohem Anteil an Willkür.

Der Handlungsbedarf für die Politik ist unübersehbar und inzwischen wohl auch unbestritten. Aber wie stellt sich die Erneuerbaren Branche jetzt selbst dazu auf? Denn weder die mögliche Versorgungssicherheit noch die Kostenvorteile durch Erneuerbare kommen von selbst beim Verbraucher an.

Versorgungssicherheit

Sonne und Wind sind nicht speicherbar, Bioenergie schon. Dementsprechend gehört der Einsatz von Bioenergie nicht in die Grundlast, wo die Bioenergie dann in Konkurrenz zu Sonne und Wind tritt. Die wertvolle Bioenergie sollte vorrangig dann eingesetzt werden, wenn Sonne und Wind fehlen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Verstetigung.

Versorgungsengpässe kündigen sich auch im Wärmesektor an. Es macht keinen Sinn, die Erzeugungsspitzen von Wind und Sonne zu Dumpingpreisen an die Börse zu drücken, wenn gleichzeitig extrem teures Erdgas zum Heizen verbraucht wird. Power to heat ist in aller Munde, in der Praxis bislang nur in wenigen Projekten zu finden.

Kostenvorteile

Die Erzeugungsspitzen von Wind und Sonne drücken den Preis an der Strombörse nur für kurze Zeit nach unten, die meiste Zeit schwimmen die Vergütungen mit auf der hohen Energiepreiswelle, weit über EEG-Niveau. Da die Erneuerbaren inzwischen einen Strommarktanteil von rund 50 % liefern, können sie sich nicht mehr als unscheinbarer Nischenanbieter verstecken. Sie müssen selbst mehr Verantwortung übernehmen und Kostenvorteile weitergeben. Wenn sich der deutsche Stromverbrauch in Höhe von rund 600 Mrd. kWh/a (nach aktuellem Stand) um 40 ct/kWh verteuern sollte, dann wären das Mehrkosten von 280 Mrd €, die von den Stromkunden zu schultern wären. Davon würde ein nicht geringer Anteil auf die Erneuerbaren entfallen. Das Bild raffgieriger Energiemultis ist quasi Allgemeingut. Hohe Extragewinne einer Branche, deren Entwicklung über 20 Jahre von den Stromverbrauchern finanziert wurden, können auch das bislang sehr positive Image der Erneuerbaren Branche schnell ins Gegenteil verkehren.

Umgekehrt zeigen aber die wenigen Beispiele von Anlagenbetreibern, die zusammen mit Grünstromversorgern günstige Bürgerstromtarife anbieten, dass diese Tarife zu einer viel höheren regionalen Akzeptanz beim Ausbau zum Beispiel der Windenergie führen. Diese regionale Akzeptanz ist Grundbedingung für einen zügigen weiteren Ausbau. Im Paderborner Land stehen so viele große Windenergieanlagen wie in ganz Baden-Württemberg. Aber die Menschen haben mit dem stark veränderten Landschaftsbild weitgehend Frieden geschlossen, weil fast alle davon profitieren.

Ähnlich verhält es sich mit der Industrie. Warum sollten sich Industriefirmen bei Politikern und Behörden für neue Windprojekte stark machen, wenn ihnen die Börse weiter die Strompreise diktiert? Es ist aber sehr wohl möglich, mit Firmen Vereinbarungen zu treffen, dass diese den Strom aus neuen Windprojekten zu Preisen von unter 10 ct/kWh bekommen, wenn sie selbst bei der örtlichen Politik darauf drängen, dass sie diesen Strom an ihren Standorten dringend brauchen. Dieser Beschleunigungsfaktor erweist sich aktuell als mindestens so wertvoll wie das Osterpaket.

Denn trotz der Vorrangregelungen im Osterpaket lehrt die Erfahrung mit den Behörden vor Ort, dass sich ansonsten gar nichts beschleunigt hat. Aufgeschlossene Behördenleiter und deren Stab arbeiten weiter konstruktiv wie zuvor. Andere blockieren weiter nach Kräften und zählen Erbsen auf kleinstem Niveau.

Es muss allerdings klar sein, dass freiwillige Bürgerstromtarife kein Ersatz für staatliches Handeln sind, um Energie für Bürger und Industrie wieder bezahlbar zu machen. Freiwillige Maßnahmen waren und bleiben aber eine wichtige Ergänzung zu einer durch Gesetz bestimmten Marktordnung.

Dazu haben die Energieminister in der EU am 30.9. einen wichtigen Durchbruch erzielt: „Kriegsgewinne“ von Stromproduzenten sollen gekappt werden und an Verbraucher zurückerstattet werden. Dieses Eingriffsmodell ist aus mehreren Gründen besser als ein Eingriff in die Preise der Strombörse. Eine Senkung der Börsenpreise würde einen Nachfragesog aus anderen Ländern zur Folge haben und eher zu Versorgungsengpässen führen. Eine Preiserstattung an die Verbraucher kann auf eine Teilmenge des Strombezugs, zum Beispiel auf 80 % des Vorjahresverbrauchs beschränkt werden, sodass in der Spitze ein starker Anreiz für Einsparungen erhalten bleibt. Die EU nennt eine Kappungsgrenze von 18 ct/kWh, erlaubt aber eine flexible nationale Ausgestaltung.

Eine Differenzierung nach Erzeugungstechnologien ist auch notwendig. Denn eine Grenze von 18 ct/kWh wäre für Windstrom und Freiflächen-PV zu hoch, für Biogas jedoch zu gering. Der Biogasstrom und die Wärme aus Biogas-BHKW muss aus der Grundlast genommen werden und vorrangig für Dunkelflauten zur Verfügung stehen. Die dafür notwendigen Investitionen in größere BHKW und größere Speicher vertragen sich nicht mit einem Strompreisdeckel.

Um die Rückerstattung zügig auf den Weg zu bringen, sollte die Bundesregierung keine neuen bürokratischen Verfahren entwickeln, sondern den bewährten Mechanismus der EEG-Umlage beibehalten. Hierbei muss lediglich das Vorzeichen geändert werden: aus der Umlage wird dann eine Erstattung.