Solarwirtschaft in Deutschland und Europa

Interview mit Eicke Weber

Erschienen im SOLARZEITALTER 2-2022

Eicke R. Weber ist Chair des European Solar Manufacturing Council ESMC, war Initiator des Aufrufs vom 4. August 2021, Solarenergie zum „Important Project of Common European Interest (IPCEI) zu erklären! – Was wurde daraus?

SOLARZEITALTER: Herr Weber, vor einem Jahr habe ich mit Ihnen ein Interview zur unbefriedigenden Situation der Solarindustrie in Deutschland und der EU geführt. Grundlage dazu war Ihr offener Brief – unterstützt von besorgten WissenschaftlerInnen – zur Entwicklung des Weltklimas an die scheidende Kanzlerin Angela Merkel (2021). In diesem Interview stellten Sie die Forderung auf – Solarenergie zum „Important Project of Common European Interest“ zu erklären! Nach einem Jahr möchte ich in einem erneuten Interview die politischen Reaktionen auf Ihre Forderung diskutieren. Die Problemlage der PV-Industrie in der EU und in Deutschland, entstanden durch eine fehlgeleitete – oder wenig engagierte Politik – bedeutet das Verharren in Abhängigkeiten besonders von China. In einer Zeit, in der die Erkenntnis immer wichtiger wird, dass Energieversorgung und Sicherheit zwei Seiten einer Medaille sind und politisch in Einklang gebracht werden müssen, bleiben politische Lösungsansätze weiterhin hinter der Problemlage zurück.

Eicke Weber: Leider muss ich Ihnen sagen, dass sich bisher an der unbefriedigenden Lage der Solarindustrie in Deutschland und Europa nur wenig geändert hat. Der unerwartete Angriffskrieg der Russen und die darauffolgenden Sanktionen hatten enorme Preissteigerungen fossiler Energien zur Folge. Heute sollte allen Verbrauchern, allen Wählern, klar sein, dass die Energiepolitik der letzten Bundesregierung dazu führte, dass wir statt der gut erreichbaren 80 % erneuerbarem Anteil im Stromnetz ‚nur‘ 50 % haben – 50 % ist schon eine gute Zahl, aber 80 % hätte uns viele Probleme der Energiepreissteigerungen erspart!

Nach vorn schauend ist uns heute aber klar, dass wir jetzt alle Hemmnisse gegen die Einführung Erneuerbarer Energien rasch abbauen müssen. Wir sollten alle PV- und Windanlagen, die noch auf Anschluss warten, raschest möglich zum Erfolg führen. Wir sollten neue Modelle des gemeinsamen Verbrauchs von Erneuerbare-Energie Ressourcen wie Solar und Wind umgehend erlauben – eine neue, zentral wichtige Forderung ist unser Vorschlag, die Stelle eines speziellen Beauftragten für die beschleunigte Einführung Erneuerbarer Energien zu schaffen, der/die ausreichend Autorität haben sollte, die oft unnötig langwierigen und umständlichen Genehmigungsverfahren zu verkürzen.

SOLARZEITALTER: Bei dieser unbefriedigenden Situation der deutschen und europäischen Solarindustrie bleibt die Frage: Wie wurde die Forderung Ihrer Organisation – unterstützt durch ein breites Spektrum von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Fachinstitutionen – in Deutschland und Europa politisch aufgenommen?

Eicke Weber: Auf Seiten der Wissenschaftler wie aber auch der interessierten Industrie haben wir breite Zustimmung und Unterstützung. Im Augenblick sitzt unser Hauptproblem in den Bürokratien der Ministerien, die noch nicht wirklich erkannt haben, dass wir in ein neues Zeitalter eingetreten sind: Es liegt im zentralen Interesse Deutschlands, sowohl die Produktion als auch die Systeme für Erneuerbare Energie so effizient und rasch wie möglich aufzubauen, als Teil eines neuen Energiesystems mit ausreichend Speichern und Vernetzung, um eine nahe 100 % Versorgung mit regenerativer Energie (RE) möglich zu machen. Diese Erkenntnis muss noch von der Leitung des BMWK über die Staatssekretäre/Innen an Abteilungsleiter und Referenten gelangen! Es gibt Anzeichen, dass Dinge in die richtige Richtung zu laufen beginnen, wie den von Minister Habeck selbst angestoßenen ‚Stakeholder Dialog zu industriellen Produktionskapazitäten für die Energiewende‘ StiPE – aber es geht nur langsam und mühsam voran, während uns die Zeit davon läuft!

SOLARZEITALTER: Sie haben in einem Schreiben an den deutschen Wirtschaftsminister die Situation geschildert und auf die geringen Kosten der heutigen PV-Produktion hingewiesen. Eine Kostenreduktion, die Deutschland durch die Einführung des Erneuerbare Energiegesetz im Jahr 2000 angestoßen hat und in dieser Zeit weltweit zum Vorreiter in der Solarindustrie wurde. Heute steht China an der Spitze und Deutschland ist in eine fatale Abhängigkeit geraten. Wie stellt sich das Wirtschaftsministerium und der Minister zu dieser Problemlage?

Eicke Weber: Wie ich bereits ansprach sehe ich nicht das Problem darin dass Minister Habeck unsere Bitten und Vorschläge nicht unterstützt. Ich sehe das Problem eher in der zähen Bürokratie des Ministeriums, die natürlich unter ganz anderen Vorzeichen geschaffen wurde und der es daher schwer fällt, zu verstehen dass wir keine Woche, keinen Monat Zeit zu verlieren haben, wenn wir es ernsthaft schaffen wollen, noch in diesem Jahrzehnt Deutschland und Europa wieder ernsthaft als Global Player in der Produktion von PV-Anlagen aufzustellen und Europa beispielhaft in der raschen Transformation auf ein kostengünstiges, emissionsfreies und von Importen wenig abhängiges Energiesystem auf dem Weg in eine wirklich nachhaltige Wirtschaft aufstellen möchten.

SOLARZEITALTER: Privatpersonen, Industrie und Gewerbe in Deutschland setzen immer mehr auf eine unabhängige direkte Energieversorgung. Mit großen PV-Anlagen auf eigenen Dächern oder Beteiligung an Windprojekten. Dazu entwickelt sich ein Speichermarkt, der den Wunsch nach Autonomie widerspiegelt. Im städtischen Baubereich – besonders beim Quartiersneubau – werden PV-Wasserstoff-
Speicher-Projekte angereizt. Beschränkt wird dieser „Boom“ allerdings durch die Unterbrechung der Lieferketten, besonders für PV-Module aus China. Was steht Ihrer wichtigen Forderung nach einer lokalen Solarproduktion politisch entgegen?

Eicke Weber: Das wichtigste und immer wieder auch aus dem BMWK gehörte Argument ist: Wir haben dies bereits vor 10 Jahren versucht, wir sind gescheitert, wir wollen nicht zum zweiten Mal politisches Kapital mit dem Thema heimische PV-Industrie verlieren.

Tatsache ist ja, dass wir in der Tat durch das EEG 2002 die Voraussetzungen dafür schafften, Investitionen in damals noch teure Techniken der Bereitstellung Erneuerbarer Energien, wie Wind und Sonne, überhaupt erst lohnend zu machen. Damit leisteten wir der ganzen Welt einen unschätzbaren Dienst. Ohne diesen genialen Ansatz wäre die große Kostensenkung sicher auch gekommen, aber wahrscheinlich viele Jahre später.

Der Fehler war aber, dass man sich damals in der politischen Führung wie der Teufel vor dem Weihwasser scheute, Industriepolitik zu machen: Wir ließen unsere Mikroelektronik-Industrie elend scheitern, wie die Beispiele Quimonda oder Communicant drastisch zeigen, die weltführende Technologie entwickelt hatten, aber nicht die erforderliche Unterstützung erhielten, um einen kurzen konjunkturellen Abschwung zu überleben. Wir sahen zu, wie in China gigantische PV-Produktionskapazitäten aufgebaut wurden, freuten uns, dass dies einige Jahre guter Geschäfte für unsere Ausrüster-Firmen bedeutete, scheuten uns aber, auch unseren PV-Firmen die nötigen Kreditgarantien zu geben, um auch bei uns Gigawattskalige, kostengünstige Produktion aufzubauen! Wenn Länder, die autoritär geführt werden und sich nicht scheuen, technologisch interessante Produktion staatlich zu fördern, in wirtschaftlicher Konkurrenz mit Ländern stehen, die die reine Lehre der Zurückhaltung des Staates aus der Marktwirtschaft zum Maß der Dinge machen, dann ist dies kein ‚level playing field‘ mehr! Es ist interessant, dass sowohl Frankreich wie auch die USA bereits bedeutend pragmatischere Industriepolitik betreiben als wir hier in Deutschland.

SOLARZEITALTER: Die ausweichende Antwort des Wirtschaftsministers mit Hinweis auf Förderprogramme ist wenig ambitioniert und kein Beleg für Aktivitäten des Ministeriums die Abhängigkeiten einzuschränken. Welche Antwort erhielten Sie aus der Europäischen Kommission?

Eicke Weber: Es ist sehr interessant, dass wir mit der Europäischen Kommission bereits bedeutend weiter sind als mit der Bundesregierung: Am 20. Mai 2022 haben wir in Brüssel gemeinsam mit der Energie-Kommissarin Kadri Simson den Anstoß zur europäischen Initiative gegeben, das Thema PV-Produktion zu einem ‚Important Project of Common European Interest‘, einem IPCEI, zu machen – und aus dem riesigen BMWK gab es keinen Beamten, der sich die Zeit genommen hätte, an dieser Veranstaltung auch nur virtuell teilzunehmen! Ich würde sagen: Diese offensichtliche Ignorierung eines auf EU-Ebene bereits gut angelaufenen Prozesses durch die Regierung des Landes, das mit dem EEG erst die Voraussetzung zur revolutionären Kostensenkung der direkten Ernte der Solarenergie auf der Erde geschaffen hat, nimmt mir den Atem. Und dabei haben wir den zuständigen Minister und führende Mitarbei-
terInnen mit zwei Briefen, unterschrieben von 14 bzw. 15 CEOs der am Aufbau einer deutschen Solarindustrie direkt interessierten Firmen, direkt und recht klar auf dieses Thema angesprochen, niemand kann sagen: Das haben wir ja gar nicht gewusst!

SOLARZEITALTER: Die Solarindustrie in Deutschland im Zusammenspiel mit der EU neu zu beleben sollte auch im Interesse der Kommission und der Umsetzung des Projektes „Green-Deal“ stehen. Welche Schritte in diese Richtung werden dort gefördert oder in welchen Ländern der EU zwischenzeitlich initiiert?

Eicke Weber: Bisher haben sich 8 EU-Länder unserer Initiative angeschlossen, PVFertigung zum IPCEI zu erklären, unter der Führung von Spanien. Deutschland wie auch Frankreich sind noch nicht dabei. Wie ich bereits ausführte, fanden wir auch gute Unterstützung in der Kommission, besonders im Energie-Kommissariat von Kadri Simson.

SOLARZEITALTER: Bei der Produktion von Wasserstoff stellt man sich in Deutschland hauptsächlich auf Großprojekte mit internationalen Standorten ein. Orientiert am Lieferkettenmodell der fossilen Energiewirtschaft. Einer Logik, die sich aus der Nutzung der fossilen Quelle entwickelte. Ein politisch unsicheres und teures System, dessen Notwendigkeit sich bei der Transformation mit Erneuerbarer Energie weder in Deutschland noch der EU stellt. Skaleneffekte, die große internationale Projekte „billiger“ machen sollen, haben außerdem neben weiteren Leitungskosten „unberechenbare“ Kosten. Wie sehen Sie die Möglichkeiten solaren Wasserstoff in Deutschland und der EU zu produzieren mit allen Vorteilen für unsere Volkswirtschaften?

Eicke Weber: Es ist technisch kein Problem, bei uns in Deutschland einen wesentlichen Teil des für die deutsche Industrie erforderlichen grünen Wasserstoffs zu produzieren. Dazu müssen wir unsere eigenen Ressourcen an Sonnen- und Windstrom wie auch alle anderen Arten des erneuerbar herstellbaren Stroms weiterentwickeln. Beim Solarstrom sollten wir allerdings bedenken, dass die Ausgangskosten kritisch von der Sonneneinstrahlung abhängen, die in Südeuropa oder Nordafrika leicht doppelt so ertragreich sein kann wie in Deutschland.

Daher wird es interessant sein, Möglichkeiten des Imports von grünem Wasserstoff aus diesen sonnenreichen Gegenden sorgfältig zu prüfen. Dabei können neue Abhängigkeiten leicht vermieden werden, da grüner Wasserstoff von allen Ländern mit guten Wind- und Solar-Ressourcen importiert werden kann. Für Länder, von denen keine Pipelines verlegt werden können, ist dabei der Seetransport in Form von gekühltem Flüssigwasserstoff oder in weiteren Verbindungen wie Methan oder Methanol attraktiv.

SOLARZEITALTER: Eingetretene Lieferengpässe sollen nun durch den Bezug fossiler Energien aus Ländern wie Ägypten oder Katar mit dem Ausbau neuer Infrastrukturen wie H2-Terminals gesichert werden. Wie beurteilen Sie diese politische Entscheidung auch unter Klimagesichtspunkten?

Eicke Weber: Wie oben ausgeführt wird der Import großer Mengen grünen Wasserstoffs ein sehr attraktives Business-Modell werden. Die jetzt geplanten LNG-Terminals können dabei eine wichtige Rolle spielen. Daher unterstütze ich diese Entscheidung.

SOLARZEITALTER: Deutschland ist umfassend in die Produktion von Elektrolyseuren zur H2 Produktion eingestiegen. Ein wichtiger Baustein in der Lieferkette. Über Kombinationsprojekten in der EU wären internationale Abhängigkeiten zu vermeiden. Es würden Produktionsstätten mit regionalen Arbeitsplätzen und regionaler Wertschöpfung geschaffen. Welche Möglichkeiten zum Aufbau dieser Solarwirtschaft in Deutschland und der EU sehen Sie?

Eicke Weber: Natürlich gehören zur künftigen Energiewirtschaft außer der Produktion von grünem Strom aus Sonne und Wind auch viele weitere Elemente, wie Energiespeicher, Elektrolyseure, und Brennstoffzellen. Deutschland ist in der Lage in all diesen Technologien vorbildliche, hochautomatisierte Produktionsanlagen aufzubauen und auch weltweit zu etablieren. Daher sehe ich sehr attraktive Chancen für die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren.

SOLARZEITALTER: Nicht nur der Koalitionsvertrag verpflichtet – auch alle politischen Beiträge und Statements versichern die Notwendigkeit des schnellen Umstiegs der Energieversorgung auf Erneuerbare Energie. Ein politisches Man-
tra, das in keiner Diskussion fehlt! Die politische Entscheidung, in Krisenzeiten nochmals auf die Nutzung fossiler Energien, zwar zeitlich beschränkt, aber als notwendige Brückentechnologie zurückgreifen zu müssen, wird kon-
trovers diskutiert. Projekte dieser Art sind nicht nur klimarelevant, sondern auch kostenintensiv und rechnen sich nur langfristig. Mittel die der Transformation mit Erneuerbaren Energien nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Wie schätzen Sie diese Gefahr für die Energiesystemwende ein?

Eicke Weber: Hier sollte mit einem fundamentalen Irrtum aufgeräumt werden: Die Transformation unseres Energiesystems, unserer Wirtschaft, zu einem nachhaltigen System, das auf Erneuerbaren Energien beruht, führt oft zu bedeutend kostengünstigeren Lösungen als die heutigen Technologien. Dieses System wird unabhängig werden von den oft drastisch fluktuierenden Preisen fossiler Brennstoffe. Es erlaubt lokale Stromproduktion basierend auf Wind und Sonne, und wird zusammen mit einem intelligenten Netz, in dem auch künstliche Intelligenz zur optimierten Steuerung eine wichtige Rolle spielt, insgesamt bedeutend zuverlässiger, in den Kosten planbarer und insgesamt eben kostengünstiger sein als unser altes, auf fossilen und nuklearen Energien basierendes System. Natürlich werden für die Transformation bedeutende Investitionen erforderlich sein, aber dies werden lohnende Investitionen sein, keine Zuschüsse, die interessante Renditen erzielen werden.

SOLARZEITALTER: Welchen Stellenwert hat die Weltpolitik beim Aufbau der Solarwirtschaft?

Eicke Weber: Die Weltpolitik hat natürlich einen großen Einfluss auf den weiteren raschen Zubau der Solarwirtschaft, wie wir leider gerade seit dem 24. Februar 2022 erfahren mussten. Ich erwarte, dass sich die Erkenntnis der großen Chancen beim Umbau unserer Weltwirtschaft auf eine nachhaltige Kreislauf-Wirtschaft, basierend auf 100 % regenerativen Energien, in dieser Dekade Bahn bricht, und den Ländern und Firmen, die diese Chancen frühzeitig erkennen, sehr attraktive Möglichkeiten bietet.

SOLARZEITALTER: Herr Prof. Weber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Irm Scheer-Pontenagel, Herausgeberin SOLARZEITALTER.