Stadtwerke und Bürgerenergiegenossenschaften

Von Dieter Attig, erschienen im SOLARZEITALTER 1-2023

Die Vorteile eines Stadtwerks müssen auf einer Stadtwerkekonferenz nicht extra betont werden. Auch ist klar, dass Bürgerenergiegenossenschaften einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Häufig ist jedoch umstritten, dass neben einem gut funktionierenden Stadtwerk auch eine oder mehrere Bürgerenergiegenossenschaften zur Errichtung möglichst vieler Erneuerbarer Energieanlagen eine hohe Bedeutung haben. Wegen der Knappheit von Energiestandorten entsteht leicht ein Konkurrenzverhalten zwischen den Gesellschaften.

Der extrem schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien hat für mich derzeit die absolute Priorität in der Energiewirtschaft, weshalb jede Möglichkeit einer Beschleunigung genutzt werden muss. Aus Gründen der Resilienz und der Wirtschaftlichkeit ist es sinnvoll, einen Großteil dieser Anlagen in Deutschland zu errichten. Platz ist genug da. Knapper ist schon das erforderliche Kapital und besonders problematisch ist die Akzeptanz in der Bevölkerung. Obwohl auf allen Kanälen ständig über den Klimawandel berichtet wird, ist vielen der Ernst der Lage immer noch nicht bewusst. Es soll daher zur Begründung meiner Ausführungen ein kurzer Ausblick auf die zu erwartende Erdüberhitzung erfolgen.

Die Klimaschutzziele einer Begrenzung der Erd-erwärmung auf 1,5 bzw. 2 Grad werden immer wieder beschworen, obwohl den Fachleuten längst klar ist, dass ein Temperaturanstieg von 3 Grad kaum noch zu vermeiden ist. Dies hat mehrere Gründe:

Die Weltbevölkerung hat sich in den letzten 80 Jahren von 2,5 auf derzeit 8 Mrd. Menschen mehr als verdreifacht (Abbildung 1). Für den Klimawandel relevant ist jedoch der Wohlstand. Man unterscheidet hier vier Klassen (Abbildung 2). Der CO2-Ausstoß liegt bei den oberen beiden wohlhabenden Klassen um ein Vielfaches höher als bei den ärmeren Menschen (Abbildung 3). Eine grundsätzlich erfreuliche Information ist die Vorhersage, dass sich die Zahl der Menschen in den beiden wohlhabenden Klassen schon bis 2040 mehr als verdoppeln wird (Abbildung 4). Für den Ausstoß von Treibhausgasen bedeutet dies jedoch eine Katastrophe. Die Verdoppelung dieser Menge kann durch noch so große Einsparbemühungen kaum aufgefangen werden.

Der Umbau unseres Wirtschaftssystems, das auf der Basis von Wachstum und Konsumsteigerung beruht, in eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist nicht in Sicht.

Die Industrie der fossilen Energien weiß seit 50 Jahren nachweislich um die schrecklichen Folgen des Klimawandels und nimmt diese zugunsten ihrer Profite in Kauf. Es ist nicht zu erwarten, dass sie jetzt plötzlich freiwillig auf geschätzte eine Billion Dollar jährlichen Gewinn verzichtet.           

Eine Erwärmung von durchschnittlich 3 Grad wird schon schlimme Folgen haben, besonders für den ärmeren Großteil der Erdbevölkerung. Hierzu muss man wissen, dass eine Durchschnittserwärmung von 3 Grad auf Landflächen eine Temperaturerhöhung von 6 Grad bedeutet, da der Temperaturanstieg über den Ozeanen, die 70 % der Erdoberfläche bedecken, weit geringer ausfällt. Nur durch große Anstrengungen lässt sich noch vermeiden, dass die Temperatur noch über drei Grad ansteigt. Ohne auf Einzelheiten einzugehen lässt sich sagen, dass die am dichtesten besiedelten Gebiete unserer Erde nahezu unbewohnbar werden.

Beschleunigung der Energiewende

Nach obigen Ausführungen werden wir die Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftens in absehbarer Zeit nicht ändern können. Umso wichtiger wird es sein, die fossile Energieerzeugung auch gegen großen Widerstand der Lobbygruppen so schnell wie möglich hinter uns zu lassen. Dies bedeutet den absolut vorrangigen Ausbau von Wind- und Solaranlagen. Alle denkbaren Akteure müssen eingebunden werden. Es sind diese:

Energieversorger mit Schwerpunkt örtlich agierende Stadtwerke Bund, Länder und Kommunen

Private Investoren mit Schwerpunkt Bürgerenergiegenossenschaften             

Der Hauptanteil der Investitionen wird durch die großen Energieversorger und durch Groß-
investoren aufgebracht werden. Sobald die Rahmenbedingungen stimmen, wird viel Geld in diese nachhaltigen und sicheren Projekte drängen. Engpass werden gerade in Deutschland die knappen Standorte sein. Dies hängt stark mit der erforderlichen Akzeptanz bei Grundstückseigentümern und Anliegern zusammen. Am besten ist diese Akzeptanz zu erreichen, wenn örtliche Stadtwerke oder noch besser Bürgerenergiegenossenschaften investieren.

Konkurrenz bei der Stromerzeugung

Für den Kommunalpolitiker hat die Gewinnabführung der eigenen Stadt- und Gemeindewerke eine hohe Bedeutung, da hiermit häufig Bäder und Verkehrsbetriebe mitfinanziert werden. Eine Gewinnverringerung durch konkurrierende Aktivitäten bei der Energieerzeugung wäre daher problematisch. Auf ergänzende örtliche Energiegenossenschaften trifft dies allerdings nicht zu, wenn die Werke die Dienstleistungen für die Energieanlagen übernehmen. Da die Genossenschaften zusätzliche Anlagen akquirieren, kann sich das Geschäft der Werke sogar noch ausweiten.

Ein weiterer Vorteil zusätzlicher Energiegenossenschaften ist die Bereitstellung von Investitionskapital. Die Werke haben neben der Abführung von Gewinnen an ihre Kommune auch die Aufgabe, ihre Netzinfrastruktur zu erhalten und für die Energiewende verstärkt in Wärmenetze und Wärmepumpenanlagen zu investieren. Da kommt eine Entlastung bei den Investitionen in Erneuerbare Energien gelegen, zumal zusätzliche Erträge aus Dienstleistungen erhalten bleiben. Das Problem der oft beklagten hohen Kosten für die Energiewende wird entschärft und die öffentliche Hand entlastet.

Aus den obigen Ausführungen ergeben sich zwei wesentliche Folgerungen:

1.      Wenn örtliche Stadt- und Gemeindewerke mit Sparten der Energieversorgung für die Energiewende solche Vorteile bieten, sollten die Kommunen ohne eigene Werke die Einrichtung derartiger Institutionen prüfen. Die Erweiterung bestehender Stadt- und Gemeindewerke um den Energieerzeugungsbereich kann eine sinnvolle Möglichkeit darstellen. Bei kleineren Kommunen bietet sich der Zusammenschluss zwecks Gründung eines Energieerzeugungsunternehmens an.                                                                                          

2.      Neben örtlichen Energieversorgern sollte jede Kommune Wert auf eine ortsbezogene Bürgerenergiegenossenschaft legen. Die Gründung derartiger Gesellschaften erfolgt häufig aus der Bürgerschaft. Wichtig kann aber ein Anstoß und weitere Unterstützung durch die Kommune oder ihr kommunales Werk sein.

3 Beispiele:

Die Bürgerenergiegenossenschaften im Umfeld der Städtischen Werke  AG Kassel (SWK)

Die SWK haben in den vergangenen Jahren in ihrem Umfeld mehrere große Windparks errichtet, die sie auch betreuen. An den jeweiligen Gesellschaften wurden örtliche Bürgerenergiegenossenschaften sowie benachbarte Stadtwerke beteiligt. Die SWK behielten nur Anteile zwischen 25,1 % und 33,4 %, um bei der Betriebsführung Einfluss zu behalten und natürlich auch von den Erträgen zu profitieren. Auf diese Weise konnten sie ohne übermäßigen Kapitaleinsatz zusätzlich sowohl von der Projektierung als auch von der dauerhaften Dienstleistung Vorteile erlangen. Aber auch die beteiligten Dritten sind mit ihren Erträgen und der zuverlässigen und transparenten Dienstleistung sehr zufrieden.

Kommunalwerke Region Kassel GmbH & Co. KG (KRK) und zugeordnete Bürgerenergiegenossenschaften

Acht Kommunen aus dem Kreis Kassel mit insgesamt etwa 100.000 Einwohnern haben 2016 die KRK gegründet. Hauptziel ist der Auf- und Ausbau der Energieerzeugung mit dem Schwerpunkt der Erschließung regenerativer Energiequellen. In der Zwischenzeit wurden Anteile an Windparkgesellschaften in der Region erworben, wodurch Anlagen mit einem Sachwert von 10 Mio. EURO finanziert wurden. Mit dem Bau erster Solaranlagen ist auch ein Einstieg in die Photovoltaik gelungen. Über die KRK werden die beteiligten Kommunen an viele weitere nachhaltige Projekte herangeführt, die sie allein in dem Umfang nicht realisieren würden.

Um die Zahl der Anlagen mit Erneuerbaren Energien noch deutlich weiter zu steigern, ist beabsichtigt, durch die KRK in einzelnen Mitgliedskommunen Bürgerenergiegenossenschaften zu initiieren. Damit soll der Zugang zu neuen Standorten verbessert werden. Außerdem werden die Kommunen bei der Finanzierung weiterer Anlagen der Erneuerbaren Energien durch privat aufgebrachte Gelder entlastet.

Stadtwerke Lemgo GmbH (SWL) und Umweltinitiative Lemgo/Lippe eG (UIL)

Die SWL sind ein traditionsreiches Stadtwerk und genießen bei ihren Kunden einen ausgezeichneten Ruf. Neben den Versorgungssparten Strom, Gas und Wasser wurde schon sehr früh  mit dem Aufbau eines umfangreichen Fernwärmenetzes begonnen. Die damit einhergehende Stromeigenerzeugung über Kraft-
Wärme-Kopplung versetzte die Stadtwerke in die Lage, nach der Liberalisierung auch qualifiziert in den Stromhandel einzusteigen. Damit waren günstige Voraussetzungen für einen frühen Einstieg in die Erneuerbaren Energien gegeben.

Die jüngsten politischen Forderungen nach einem sehr schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien – verstärkt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes – führten zu der Überlegung, trotz der großen Anstrengungen der SWL auf diesem Gebiet zusätzlich eine Bürgerenergiegenossenschaft mit dem Namen UIL zu gründen. Die dadurch initiierten zusätzlichen Anlagen der Erneuerbaren Energien verschaffen den SWL bei Nutzung ihrer Dienstleistungen weitere Vorteile. Durch die finanzielle Entlastung bei den Erneuerbaren Energien können die SWL verstärkt in den Ausbau der Fernwärme und die CO2-freie Wärmeerzeugung investieren.

Fazit

Schon die drei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen für den forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien in jeder Kommune sind. Sowohl kommunale Werke als auch Bürgerenergiegenossenschaften fördern den Ausbau der dezentralen Energieerzeugung. Ist in einer Kommune jedoch schon eine der beiden Gesellschaftsformen vertreten, so wird für diese Gesellschaft der vorrangige Vertretungsanspruch beim Bau von Erzeugungsanlagen postuliert.

Der Beitrag soll zeigen, dass infolge der drängenden Notwendigkeit eines sehr schnellen Ausbaus der Erneuerbaren Energien ein Nebeneinander beider Gesellschaften sinnvoll ist, da sich öffentliche und private Interessen ergänzen. Häufig werden die finanziellen Bedingungen für beide Gesellschaften noch verbessert, so dass nicht nur der Umweltvorteil für solche Lösungen spricht.