Interview mit Martin Pehnt, erschienen im SOLARZEITALTER 1-2023
Martin Pehnt ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Er setzt sich für eine klimaneutrale, gerechte und nachhaltige Energiewende mit Erneuerbaren Energien ein. Auf der diesjährigen EUROSOLAR Stadtwerke-Konferenz in Pfaffenhofen an der Ilm erläuterte Dr. Pehnt Wärmekonzepte und technische Lösungen für Quartiere und Siedlungen. In diesem Interview möchten wir über die Notwendigkeiten und komplexen Herausforderungen sprechen, die uns die nächsten Jahre im Bereich Wärmewende und Sanierung begleiten werden.
SOLARZEITALTER: Zu Beginn möchte ich mit Ihnen über die Treibhausgasemissionen im Ge- bäudesektor reden. Wo steht Deutschland derzeit und erreicht dieser Bereich die Sektorziele?
Martin Pehnt: Leider hat Deutschland die Klimaziele im Gebäudebereich wieder verfehlt. Zwar sind die Emissionen 2022 um 5 % gesunken – das ist vor allem eine Folge des milden Winters und der hohen Energiepreise. Das ist gut, aber nicht gut genug, um die Ziele im Gebäudebereich zu erreichen. Statt dem Sektorziel von 107 wurden 112 Millionen Tonnen verursacht.
Zu diesen 112 Millionen Tonnen muss man übrigens noch die indirekten Emissionen aus der Strom- und Fernwärmeerzeugung zählen – und die sogenannten grauen Emissionen für die Herstellung und Entsorgung von Gebäuden, z. B. durch Zement, Stahl und Glas.
Es ist schon eine gewaltige Herausforderung, dass wir in sieben Jahren diese Emissionen um 40 % senken müssen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jede Sanierungschance nutzen. Und daher ist auch die 65 %-Erneuerbaren Energien-Regel beim Heizungstausch ein Weckruf für die Erneuerbaren Energien.
SOLARZEITALTER: In letzter Zeit wurde viel in der Öffentlichkeit und den Medien über das Verbot des Einbaus von Öl- und Gasheizungen debattiert. Auch viele irreführende Behauptungen wurden aufgestellt. Was ist der aktuelle Stand im Wärmemarkt und wo müssen wir hin?
Martin Pehnt: Die gute Nachricht zuerst: Ich habe den Eindruck, dass die Wärmewende eingeleitet ist. Der Absatz von Wärmepumpen ist deutlich angestiegen. Die ganze Republik diskutiert über Heizungen, und neue Initiativen für erneuerbare Wärmenetze gründen sich. Wir dürfen nicht vergessen: Bis vor zwei Jahren wurde Erdgas vom damaligen Wirtschaftsminister noch „sexy“ genannt, Gasheizungen wurden gefördert. Die Wende ist abrupt, und daher kann ich Ärger und Verunsicherung sehr gut verstehen. Wir hätten mit der Wärmewende vor 20 Jahren anfangen müssen. Aber damals fühlten wir uns mit unseren Projekten ein bisschen wie ein einsamer Rufer in der Wüste.
Deswegen ist klar: Wir müssen unseren Verbrauch um mindestens ein Drittel bis 2045 senken. Wir müssen auf Wärmepumpen umsteigen (und dabei natürlich zugleich den Ausbau von Wind- und Solarenergie pushen) und gemeinschaftliche Wärmelösungen voranbringen. Damit meine ich Quartiersnetze, Nahwärmenetze, kalte Nahwärme und viele andere innovative Versorgungskonzepte, die auf Solarenergie, Geothermie, Wärmepumpen oder Biomasse aus Reststoffen setzen.
SOLARZEITALTER: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass ab 2024 neue Heizungsanlagen mindestens 65 Prozent der mit der Anlage bereitgestellten Wärme aus Erneuerbaren Energien erzeugen müssen. Wie soll dies umgesetzt werden?
Martin Pehnt: Nun, das ist ja kein Ziel, sondern ein Gesetzesentwurf. Die 65 %-Regel sieht vor, dass in naher Zukunft jede Heizung mit mindestens 65 % Erneuerbaren Energien betrieben wird. Das bedeutet: das Heizungshandwerk muss sich grundsätzlich umstellen und in Zukunft nicht mehr 600.000 Gasheizungen installieren, sondern 600.000 Wärmepumpen und andere Heizungen mit erneuerbaren Energien. Der Gesetzentwurf enthält übrigens noch eine Reihe weiterer Regelungen, die sicherstellen sollen, dass Gebäude auf diesen Heizungstausch vorbereitet werden: durch Absenkung der Vorlauftemperatur beispielsweise. Und auch Regelungen zur Messausstattung neuer Heizungen, damit man auch transparent erkennen kann, wie effizient eine Heizung funktioniert.
SOLARZEITALTER: Ein oft genanntes Argument gegen Wärmepumpen ist, dass gerade alte und unsanierte Gebäude nicht sinnvoll mit Wärmepumpen ausgestattet werden können. Können Sie dieses Argument entkräften?
Martin Pehnt: Zunächst ist es immer gut, den Wärmebedarf durch Modernisierung abzusenken. Damit können die Wärmepumpen kleiner ausgelegt werden. Ein gedämmtes Haus ist auch ein toller Energiespeicher, die Wärmepumpe kann dann betrieben werden, wenn Solaranlagen oder Windparks Strom erzeugen. Aber auch in älteren Gebäuden können vielfach Wärmepumpen eingebaut werden. Wichtig ist, dass die Vorlauftemperatur der Heizung nicht zu hoch ist, denn das reduziert die Effizienz und treibt die Stromkosten nach oben. Heizungsexpert:innen können beraten, wie das geht: Entweder durch einen Austausch einzelner, zu kleiner Heizungen oder durch Effizienzmaßnahmen am Gebäude.
Für mich stellt sich hier immer die Frage, was wäre die Alternative. Wir müssen es unbedingt vermeiden, wieder Gas- oder Ölheizungen in alte Gebäude einzubauen, in einer vagen Hoffnung auf fernen und teuren Wasserstoff. In manchen Gebäuden ist eine Hybridheizung eine Lösung, die die Wärmepumpe mit einer fossilen oder Biomasse-Heizung koppelt. Auch das muss man aber durchrechnen, denn man hat höhere Wartungskosten.
SOLARZEITALTER: In Städten und Kommunen ist die Bausubstanz sehr unterschiedlich. Dichte Bebauung, große Mehrfamilienhäuser sowie verschieden gut gedämmte und sanierte Objekte stellen uns vor große Herausforderungen. Welche Konzepte und Lösungen gibt es?
Martin Pehnt: Das ist richtig. Im städtischen Bereich können daher Wärmenetze eine wichtige Option sein oder zumindest gemeinschaftlich genutzte Wärmequellen für die Wärmepumpen, die in Form eines „kalten Nahwärmenetzes“ zu den Gebäuden gebracht werden. Aber auch für größere Mehrfamilienhäuser gibt es geeignete Wärmepumpen-Lösungen. Der Markt dafür muss aber noch deutlich wachsen!
Das schwierigste Gebäudesegment sind vermutlich die Gebäude mit Gasetagenheizungen oder Einzelöfen. Hier muss zunächst die Heizung zentralisiert werden. Auch dafür gibt es clevere Konzepte beispielsweise mit einer Verlegung der Leitungen im überflüssigen Kamin. Hier wünsche ich mir, dass sehr bald Dienstleister auf dem Markt aktiver werden, die im großen Stil Lösungen anbieten.
SOLARZEITALTER: Der breitflächige Einsatz von Wärmepumpen wird auch Auswirkungen auf das Netz und unseren Strombedarf haben. Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen Netz und Gebäuden (wie können wir das Netz entlasten)?
Martin Pehnt: Ich habe ja schon gesagt, dass es sehr hilfreich ist, wenn Gebäude modernisiert sind. Wir haben das in einer aktuellen Studie durchgerechnet. Wir können die elektrische Leistung, die ein Gebäudekomplex benötigt, fünfteln, wenn wir die Gebäude dämmen und dann strommarkt-orientiert betreiben. Dazu brauchen wir dringend flexible Stromtarife! Aber auch, wenn die Gebäude nicht gedämmt sind: Durch die Effizienz der Wärmepumpen ist es vielerorts problemlos möglich, Wärmepumpen anzuschließen.
Aber dennoch: Stromnetz-Betreiber sind ja jetzt schon dabei, ihre Verteilnetze auf Vordermann zu bringen, denn herausfordernder als die Wärmepumpen ist die Elektromobilität und die Einspeisung der Photovoltaik. Also, die Stromnetze müssen zukunftstauglich werden.
SOLARZEITALTER: Auch Wärmenetze wie Nah- und Fernwärme müssen dekarbonisiert werden. Welche Pläne zur Transformation der Wärmenetze gibt es?
Martin Pehnt: Im wahrsten Sinne des Wortes „Transformationspläne“. Wir am ifeu haben dieses Instrument vor fünf Jahren vorgeschlagen, und es hat sich nun durchgesetzt. Gefördert werden die Pläne durch die Bundesförderung effiziente Wärmenetze, und es geht darum, alle lokalen Potenziale für erneuerbare Energien und Abwärme zu identifizieren und daraus ein Konzept für die Dekarbonisierung zu machen. Kläranlagen, Flusswärme, Solarthermie, industrielle Abwärme, tiefe oder oberflächennahe Geothermie, Biogasanlagen: Hier müssen detektivisch die Optionen zusammengetragen werden.
SOLARZEITALTER: Wir müssen nicht nur vorhandene Wärmenetze umbauen, sondern sicherlich auch neue Netze aufbauen. Wie sollen die Wärmenetze der Zukunft in Deutschland ausgestaltet sein (können Sie Beispiele nennen)?
Martin Pehnt: Auf jeden Fall vielfältiger! Ich war jüngst in einer Kleinstadt im Südwesten, die ein Niedertemperatur-Wärmenetz aufbaut. Sie bietet ihren Kunden nur noch um die 60 °C an – dafür erhalten alle Gebäudeeigentümer:innen eine kostenlose Beratung. Das ermöglicht einen extrem effizienten Betrieb eines großen Solarkollektorfeldes und einer Wärmepumpe. Und es ermöglicht den verlustarmen Anschluss auch von kleineren Gebäuden, Reihenhäusern, Einfamilienhäusern. Dies ist nur ein Beispiel. Es gibt in den letzten Jahren ein ganzes Feuerwerk von Ideen. Beispielsweise haben wir in Baden-Württemberg alle Kläranlagen analysiert. Das Abwasser der Kläranlage ist so warm, dass es prima als Wärmequelle für eine Wärmepumpe genutzt werden kann. Das wird jetzt in verschiedenen Orten realisiert.
SOLARZEITALTER: Mein Eindruck ist, dass in öffentlichen Diskussionen oft nur auf Deutschland geschaut wird. Wenn wir den Blick auf Europa ausweiten, gibt es Länder von denen wir lernen können?
Martin Pehnt: Oh ja, es gibt so viele interessante Beispiele. In Dänemark lernt man viel über systematische Wärmeplanung und interessante Netzkonzepte, vielfach mit saisonalen Speichern. Frankreich und Italien sind uns bei der Installation von Wärmepumpen voraus. Die Niederlande steigen aus dem Gas aus. Österreich hat ein Programm für Erneuerbares Heizen für sozial Schwächere. Und so weiter. Nun hoffe ich aber auch, dass viele nach Deutschland kommen werden, um neue Ansätze von uns zu lernen. Die Ideen dafür sind da. Ich hoffe, auch der politische Wille.
SOLARZEITALTER: Dr. Martin Pehnt, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!