von Fabio Longo, erschienen im SOLARZEITALTER 2-2023/1-2024
Der Ausgang der Bundestagswahl 2021 brachte Hoffnung. Endlich könnten mit der neuen Mehrheit der Ampelparteien im Bundestag die im vorigen Jahrzehnt hochgezogenen Blockaden gegen die Erneuerbaren Energien gelöst werden. In diesen Tagen befinden wir uns bereits tief in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode und die Bilanz fällt zwiespältig aus. Der Ausbau der Erneuerbaren nimmt tatsächlich Fahrt auf: Das Wachstum bei der Photovoltaik ist rasant und bei der Windenergie naturgemäß etwas verzögert. Symbolisch steht das neu eingeführte überragende öffentliche Interesse an Solar, Wind, Wasserkraft & Co. (§ 2 EEG) für den Aufbruch.
Man könnte also sagen: Die Richtung stimmt – unabhängig von berechtigter Kritik an (fehlenden) Einzelmaßnahmen (etwa für mehr Energiesicherheit aus Wasserkraft, Geothermie, Biogas und Energiespeichern). Kopfzerbrechen bereitet aber etwas Anderes. Wie konnte es mit dem Fanal „Heizungsgesetz“ nur passieren, das höchste Gut des Ausbaus der Erneuerbaren Energien – die Unterstützung durch die allgemeine Öffentlichkeit – in Gefahr zu bringen? Denn was nützt ein Strohfeuer der Beschleunigung, wenn nach vier Jahren Ampel verbrannte Erde zurückbleibt. Die Wegstrecke für den Energiewechsel ist um einiges länger als eine kurze Legislaturperiode.
Für das Debakel wurden schnell Erklärungen gesucht und gefunden:
Und ja, wir befinden uns in einem Stadium der Energiewende, in dem es für die bislang dominierenden wirtschaftlichen Akteure der Energieversorgung ans Eingemachte geht. Da sind Widerstände jener eine Binsenweisheit, die mehr damit beschäftigt sind, ihre alten Besitzstände zu verteidigen, als die Zukunft mitzugestalten. Der Atomausstieg ist vollendet, der Kohleausstieg beschlossen und die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken in Deutschland trotz aller Unkenrufe auf dem Rückzug. Der Hochlauf bei Elektroautos und Wärmepumpen führt unweigerlich zur schrittweisen Ablösung fossiler Kraft- und Heizstoffe aus Erdöl und Erdgas. Selbstverständlich bringt diese Entwicklung Gegnerschaft hervor.
Ja, die Bundesregierung hat es bei Energiethemen mit destruktiver Fundamentalopposition zu tun. Das beste Beispiel ist das Trommelfeuer für den Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomkraft, obwohl CDU/CSU Letzteren selbst beschlossen hatten. Da half nicht einmal, dass die Bundesregierung mit der Laufzeitverlängerung die letzten Energiereserven aus den Brenn-stäben der drei verbliebenen Atomkraftwerke im Energiekrise-Winter 2022/23 herausgeholt hat.
Das alles und vieles mehr kann man beklagen. Allerdings darf man doch voraussetzen, dass genau diese Randbedingungen im politischen Berlin bekannt waren. Sie hätten Ansporn sein müssen, es beim sensiblen Thema Heizungen und Ordnungsrecht so gut wie irgend möglich zu machen. Anstatt Gesetzentwürfe aus der Mottenkiste zu holen, hätte man vor dem Hintergrund der neuen Zeit mit wenigen kleinen Veränderungen große Effekte erzielen können. Niemand wäre doch in der Gaskrise im Ernst darauf gekommen, sich eine neue Gasheizung anzuschaffen. Doch genau das passierte massenhaft. Anstatt die große Reform des Heizungsteils im Gebäudeenergiegesetz um ein Jahr vorzuziehen, hätte man sich mitten in der Energiekrise auf drei Maßnahmen konzentrieren können: Abschaffung der Förderung von Gasheizungen, Einführung von Förderprogrammen für die Umstellung auf Wärmepumpen, für solares Bauen und erneuerbare Wärmenetze sowie ein Verbot von Gasheizungen allein bei Neubauten, nicht im Gebäudebestand. Die Gesellschaft hätte den Rest erledigt, war sie doch im Jahr 2022 sowieso schon dabei, massiv in Wärmepumpen zu investieren. Stattdessen hat sich die Ampel monatelang über einen technokratisch-bürokratischen ersten Gesetzentwurf für ein „Heizungsgesetz“ gestritten und einer Pressekampagne zum „Heizungshammer“ Stoff geliefert, die am Ende zu Panikkäufen für neue Gasheizungen geführt hat.
Entfesselung statt Überregulierung
Was ist hier in Vergessenheit geraten? Das Substrat des ursprünglichen Erfolgs der Energiewende, wie sie von Hermann Scheer gestaltet und analysiert worden ist. Es ist die Gesellschaft, die den Energiewechsel vollzieht. Und es entscheidet sich in der Politik, ob dieser Wechsel beschleunigt wird. Wer Beschleunigung will, sollte Politikansätze der Technokratie, der planwirtschaftlichen Überregulierung und des Bürokratismus unterlassen. Das politische Gebot der Stunde heißt Entfesselung der gesellschaftlichen Akteure durch Abbau von Hemmnissen und Unterstützung bürgerlicher, kommunaler und unternehmerischer Initiative. EUROSOLAR hatte schon anlässlich der Koalitionsverhandlungen und vor Amtsantritt der Ampelregierung genau dafür appelliert. Zweieinhalb Jahre später hängt das Solarpaket I zum Bürokratieabbau bei der Photovoltaik noch immer im Gesetzgebungsverfahren und wird das Solarpaket II auf die lange Bank geschoben. Beide Pakete sind zwar keine großen Würfe, sie bringen aber doch einige Erleichterungen und viele Investoren warten auf Klarheit.
Die Ampel sollte das verbleibende gute Jahr ihrer Regierungszeit nunmehr ausschließlich für Entfesselung nutzen und der Gesellschaft das Vertrauen schenken, das sie zur Entfaltung des Energiewechsels braucht.
Durchbrüche wohin man schaut
Die Voraussetzungen für eine positive Aufbruchstimmung waren und sind so gut wie noch nie. Im Zuge der Energiekrise ist das Bewusstsein in der Gesellschaft gewachsen, dass man sich mit heimischen Erneuerbaren Energien unabhängig von fossil-atomarer Erpressbarkeit machen kann. Photovoltaik und Windenergie an Land sind die günstigsten Stromerzeugungsarten. Elektroautos erzielen schon heute beachtliche Reichweiten bei schnellen Ladezeiten. Weitere Durchbrüche bei Batterietechnologien und Preissenkungen stehen vor der Tür. Durch Elektroautos und Wärmepumpen wird die Gesellschaft technisch und wirtschaftlich in die Lage versetzt, erneuerbaren Strom im Alltag universell auch für Mobilität und Wärme einzusetzen. Immer vorausgesetzt, die Akteure werden nicht durch Überregulierung gehemmt und können Solar- und Windstrom einfach selbst bzw. in Bürgerenergiegemeinschaften herstellen oder durch variable Tarife günstig und systemdienlich beziehen.
Wer hat schon ein Ölfeld unter dem Haus sowie Raffinerie und Zapfsäule im Garten? Photovoltaik auf dem Dach und Wallbox in der (Tief-)Garage sind für Eigenheimbesitzer und Mieter hier und da schon Realität und anders als das Ölfeld längst keine Utopie mehr. Welches Stadtwerk hat ein eigenes Gasfeld in der Stadt? Mit erneuerbarer Wärme aus der Erde, aus Flüssen, Abwasserkanälen und Abwärme aus Industriebetrieben können sie das Fernwärmenetz auf regionale Wertschöpfung umstellen und unabhängig von Gasimporten aus Russland oder den USA werden. Und bei welchem Industrie-betrieb sprudeln Öl und Gas aus dem Untergrund? Günstiger Industriestrom aus nahegelegenen Solar- und Windparks ist in vielen Fällen machbar.
Triebkräfte des Energiewechsels
Diese greifbaren Chancen sind die Triebkräfte des Energiewechsels. Die politische Kunst besteht darin, sie zu mobilisieren. Panik vor möglichen Kipppunkten des Weltklimas oder vor einem „Heizungshammer“ lähmen die Gesellschaft („es hilft doch alles nichts“) oder führen zu kontraproduktiver Überreaktion („noch schnell eine Gasheizung kaufen“). Konzentrieren wir uns lieber auf das, was möglich ist. Wie all jene, die mit einfachen Alltagserfahrungen ihrer Nachbarschaft längst vorleben, wie der Energiewechsel funktioniert und ihre Lebensqualität verbessert. Wie fortschrittliche Stadtwerke, die der Bevölkerung gerade in Mehrfamilienhäusern Sicherheit mit Fernwärme aus heimischen Energiequellen geben. Wie Unternehmer, die trotz aller bürokratischen Hemmnisse Arbeitsplätze durch günstigen Strom aus Wind- und Solarparks in der Umgebung sichern. Wie unsere Solarpreisträger, die mit ihrem ganz besonderen Beispiel vorangehen. All diese Erfahrungen sind wirkmächtiger für das Ergreifen weiterer Initiative als es Ängste jemals sein können. Diese gesellschaftliche Energie gehört freigesetzt.
Dieses Heft ist geprägt von drei Schwerpunkten:
Erstens: Entfesselung. Lassen Sie sich dazu u. a. von den Interviews und Beiträgen von Johannes Lackmann, Ralf Bischof, Dirk Uwe Sauer, Dieter Attig, Stefan Gsänger sowie den Berichten über die Träger des Deutschen Solarpreises 2023 inspirieren.
Zweitens: Neuaufstellung. EUROSOLAR hat mit Stephan Grüger, MdL, einen neuen Präsidenten und einen neuen Vorstand. Die Europäische Delegiertenversammlung im Dezember 2023 hat den Ton gesetzt. EUROSOLAR besinnt sich auf den von Hermann Scheer geprägten Kern, den Energiewechsel ganzheitlich zu begründen und voranzutreiben. Lesen Sie dazu den Beitrag von Stephan Grüger.
Drittens: Gedenken an Rosa Hemmers. EUROSOLAR verliert mit ihr ein Mitglied der ersten Stunde, die dem Verein von Beginn an in vielen Funktionen gedient hat. Gerade erst mit der letzten Ausgabe hatte sie von Irm Scheer-Pontenagel die Redaktionsleitung der SZA übernommen.
So erklärt sich fast von selbst, warum das SOLARZEITALTER dieses Mal verspätet als Doppelausgabe erscheint. Wir bitten um Verständnis und wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre über die Osterfeiertage.