Was wird aus der Energiewende in der Post-Ampel Ära? Interview with Nina Scheer

erschienen im SOLARZEITALTER 2-2024

Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, zieht im Interview mit dem SOLARZEITALTER Bilanz der Ampel-Koalition und blickt vor allem nach vorn. Welche Themen sind offen geblieben? Was wird aus dem EEG? Und was erwartet uns jetzt bis zur und nach der Bundestagswahl?

SOLARZEITALTER: Bereits im Jahr 2023 und auch absehbar im laufenden Jahr sehen wir eine starke Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren Energien insbesondere von Windkraft- und PV-Anlagen. Kann man deshalb sagen, dass nach dem Ende der Ampel-Regierung alles auf dem richtigen Weg ist oder ist das ein Trugschluss? Wo sehen Sie im Wahljahr 2025 den wichtigsten Handlungsbedarf bei der Energiewende?

Nina Scheer: Für die Energiewende ist es unabdingbar, dass wir weiterhin einen beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien hinbekommen; hier darf es nun auch angesichts der Erfolge zu keinem „Nachlassen“ kommen in der verfehlten Annahme, dass dies nun schneller als gedacht ginge. Insofern: Ja, es ist auf dem richtigen Weg. Es wäre aber dennoch ein Trugschluss, hier stehen zu bleiben. Denn die Energiewende hat viele Facetten. Sie braucht den Ausbau Erneuerbarer, sie braucht aber auch den systemischen Umstieg auf diese. Das heißt, das Stromsystem muss sich auf die fluktuierenden Eigenschaften von Wind- und Solarenergie ausrichten.

Auf der Genehmigungsseite von erneuerbaren Projekten ist nach wie vor zu hören, dass trotz erreichter Erleichterungen teilweise lange und zu komplexe Genehmigungsverfahren stattfinden. Hier muss noch mehr getan werden, dass auch vor Ort geholfen werden kann, etwa durch Flying Teams, die immer wiederkehrende Fragen vor Ort auf angefordertem Weg fachkundig bearbeiten könnten.

Wichtig ist zu betonen: Der Ausbau der Erneuerbaren darf nicht aufs Wartegleis. Das mag zwar eine Selbstverständlichkeit sein; tatsächlich gibt es aber verschiedene Ansätze, die für Verlangsamung stehen. Etwa, wenn „Planbarkeit“ eingefordert wird und für den Ausbau der Erneuerbaren dann Mengebegrenzungsintrumente herhalten. Auch Quoten für zu erreichende Anteile Erneuerbare stellen solche Mengenbegrenzungen darf. Der systemische Umstieg setzt voraus, dass sich das gesamte System an den Eigenschaften Erneuerbarer Energien ausrichtet, um dann über Speicher und weitere Flexibilitätsinstrumente und Netze die Fähigkeit zur Vollversorgung durch Erneuerbare zu erlangen – ausgeweitet auf alle Sektoren. Selbst wenn nun schon Erleichterungen auch für Speicher gefunden wurden, müssen hier noch weitergehende Schritte folgen. All diese Fragen stehen bei der bevorstehenden Bundestagswahl 2025 erneut zur Abstimmung. CDU/CSU und FDP lassen nicht erkennen, dass sie den Systemwechsel zu Erneuerbaren Energien konsequent verfolgen wollen. Es muss uns Sorgen machen, wenn CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz Wahlkampf auf Kosten der „hässlichen“ Windkraft als Übergangstechnologie macht und allen Ernstes durch die Union die Errichtung von zwei Kernfusionskraftwerken in Deutschland verfolgt wird, ohne dass die Technologie perspektivisch über die kommenden Jahrzehnte Strom liefern wird. Zugleich wird erklärt, man wolle auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen. Das Ausmaß des hierin liegenden Widerspruchs stimmt fassungslos.

SOLARZEITALTER: Seit Monaten diskutiert die Bundesregierung über die Umsetzung einer Kraftwerksstrategie. Zuletzt hat man sich jetzt darauf geeinigt, dass ab 2028 ein Kapazitätsmechanismus operativ sein soll in Deutschland. Wofür brauchen wir ein solches Instrument und welche Parameter sind hier wichtig in der Umsetzung?

Nina Scheer: Zunächst ist die Diskussion und der erklärte sowie errechnete Bedarf eines
zusätzlichen Sicherungsinstruments von gesicherter Leistung (Kapazitätsmechanismus) Kennzeichen von Versäumnissen. Hätten wir Jahre früher eben diese Hebel der systemischen Umstellung vollzogen, hätte man heute nicht die Diskussion um einen Kapazitätsmechanismus. Die betreffenden Fragestellungen gingen auf in den Flexibilitätsinstrumenten im Kontext erneuerbarer Vollversorgung. Zu beachten ist somit von heute aus, dass weder Erneuerbare noch Speichermöglichkeiten durch neu angereizte Kraftwerkskapazitäten verdrängt werden. Denn das würde nicht nur zu vermeidbaren Teuerungen führen, sondern auch Verlangsamung im systemischen Umstieg auf Erneuerbare bedeuten. Es passt vor diesem Hintergrund nicht zusammen, einerseits installierte Leistung Bioenergie mangels Anschlussförderung brach liegen zu lassen, während neue Gaskraftwerkskapazitäten geschaffen werden. Vorrang müssen auch hier die Erneuerbaren haben und auch deren Speicherbarkeit. Installation und Netzanschlüsse werden uns hier rein quantitativ vor große Herausforderungen stellen.

Misslich ist, dass ein bereits vom Bundestag verabschiedetes und in Kraft getretenes Gesetz (§ 13k EnWG) aktuell durch die Übertragungsnetzbetreiber und BNetzA nur unzureichend umgesetzt wird; es regelt: „Nutzen statt abregeln“. Anders als gesetzlich formuliert werden hier aktuell nur auf zwei Jahre befristete und pauschalierte Ausschreibungen vorgenommen. Die erste Runde war erfolglos. Nun bleibt abzuwarten, wie es sich entwickelt. Das Ärgerliche: Es wird in der Umsetzung bislang übergangen, dass wir gesetzgeberisch bewusst von einer zeitlichen Befristung und einer solchen Pauschalierung abgesehen hatten. Wir hatten gesetzlich vorgesehen, dass die Regelung vielmehr unbefristet und unpauschaliert erfolgt. Nur „abweichend“ hiervon sind – ergänzend pauschalierte Ausschreibungen für zwei Jahre möglich. Es ist für die Investitionssicherheit möglicher Betreiber von Elektrolyseuren oder zur Nutzung des Stroms für Wärme deutlich attraktiver, keine zeitliche Beschränkung vorzufinden. Hier gilt es weiter die Hemmnisse zu lösen, das hilft auch bei der systemischen Umstellung.

SOLARZEITALTER: Was wird nach dem Ampel-Ende aus der Kraftwerksstrategie?

Nina Scheer: Die Kraftwerksstrategie kann nicht mehr einfach mit der Mehrheit der Ampel-Koalition beschlossen werden. Zugleich gibt es auch bei der Union Aussagen hierzu. Es gilt jedenfalls auch die anstehende dazu nutzen, energiepolitisch weiter zu kommen. Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl stehen allerdings noch ganz andere Fragen auf dem Programm. Man kann sich nicht wirklich sicher sein, ob die Merz-Union fest zum Kohle- und Atomausstiegs-Konsens der Ära Merkel steht. Wie auch immer: Dringend stellt sich die Frage, ob eine von CDU/CSU geführte Bundesregierung die systemisch richtigen Entscheidungen für gesicherte Leistung mit Schwerpunkt auf Erneuerbare, Flexibilität und Speicher einleitet oder doch wieder zu alten fossil-atomaren Rezepten greift. Es geht also 2025 mal wieder ums Ganze bei der Energiewende.

SOLARZEITALTER: Ein weiteres wichtiges Thema sind die die Netzentgelte, die bereits jetzt steigen, obwohl die die ganz großen Investitionen in den Netzausbau noch bevorstehen. Wie lösen wir die Situation?

Nina Scheer: Auf Basis der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung urteilte ja der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor einigen Jahren, dass wir in Deutschland zu einer rechtlichen Neujustierung der Verantwortlichkeiten kommen mussten, was in einer Reform des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und zur Übertragung der Festlegungskompetenz auf die Bundesnetzagentur (BnetzA) führte. Seither ist die BNetzA für die Netzentgelte zuständig. Zum 1.1.2025 wird dies für alle Regionen, die bislang aufgrund hoher Netzausbauten und Netzanschlüsse bzw. Erneuerbare-Energien-Ausbauten zu teilweise deutlich höheren Netzentgelten führte, künftig aufgrund eines neuen Wälzungsmechanismus’ zu deutlich niedrigeren Netzentgelten führen. Insofern bringt dies in bislang stark mit Netzentgelten belasteten Regionen nun deutliche Erleichterungen. Allerdings ist dies nur ein Zwischenstand. Aufgrund des für die kommenden Jahre geplanten massiven Netsausbaus werden auch mit dem neuen Wälzungsmechanismus die Netzentgelte erneut steigen. Abhilfe könnte hier schaffen, wenn die Ausbau- und Transformationskosten, somit alle Kosten, die nicht direkt im regulativen, verbrauchsseitigen Bereich liegen, künftig nicht mehr schlicht über die Netzentgelte finanziert, sondern aus diesen herausgeschnitten werden und haushalterisch staatlicherseits aufgefangen werden. Auch die Übernahme von Anteilen oder des gesamten Netzes Übertragungsnetzes durch den Staat würde diesen Weg ebnen.

Aktuell in Diskussion ist allerdings ein Modell, das – trotz nicht unbedingter Vergleichbarkeit der Ausgangslagen – für das Wasserstoffkernnetz bereits gefunden wurde: Ein Amortisationskonto. Dies bewirkt, dass die Finanzierung zeitlich gestreckt bei den Verbrauchern landet und durch den Staat zwischenzeitlich gestützt würde.

SOLARZEITALTER: 2024 wird ein neues Rekordjahr mit Stunden von negativen Preisen am Spotmarkt sein, vor allem verursacht durch hohe PV-Einspeisung. Einige fordern deshalb ein Ende der EEG-Förderung. Warum ist das nicht die richtige Antwort und welche weiteren Handlungsoptionen gibt es?

Nina Scheer: Es kommen bereits heute Projekte ganz ohne staatliche Förderung aus. Man darf dies aber nicht unachtsam verallgemeinern. Über die Finanzierbarkeit oder Rentabilität von Projekten entscheiden ja unterschiedliche Faktoren. Von den Kosten für Flächen, deren Ertragssituation, über Zuwegungen, Netzanschlusssituationen, Nutzungskonkurrenzen, bis hin zur jeweils anwendbaren Technik und nicht zuletzt auch die Akteure, die es vor Ort jeweils geben muss. Wenn die Potenziale der Erneuerbaren und ihrer Akteure in der Dezentralität, einem Stabilierungsfaktor in der Energiewende, voll ausgeschöpft und auch in der Breite den Menschen und Unternehmen verfügbar gemacht werden sollen und auch die Netzbelastung zeitlich gestreckt werden soll, können nicht nur die aller besten Flächen in den Fokus. Erneuerbare müssen vielmehr in ihrer auch flächenseitigen Bandbreite nutzbar gemacht werden. Ohne ein staatliches Förderinstrument wäre dies Stand heute nicht gewährleistet. Je besser der auch systemische Umstieg gelingt, wird sich auch die Förderung Erneuerbarer Energien an diese Grundlagen anpassen. Die EU gibt uns vor, ab 2027 Gewinnabschöpfung bei Förderung vorzunehmen. Insofern haben wir jedenfalls einen Reformbedarf. Die Koalition hatte sich auf höchster Ebene zum Haushalt 2025 über einen Umstieg auf Investitionskostenförderung verständigt und zunächst ein Ausloten der Praktikabilität durch Pilotverfahren vereinbart. Das darf nun aber nicht als Abschaffung des EEG interpretiert werden. Denn das ist nicht verständigt.

SOLARZEITALTER: Allerdings hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Weißbuch zum Strommarktdesign in diesem Sommer, offenbar auf Druck der FDP, den verabredeten Kurs der Ampel-Koalition verlassen und ohne Praxiserfahrung über das Pilotverfahren zu sammeln, einseitig ein neues Fördermodell auf Basis der Investitionskostenförderung empfohlen. Durch das Ampel-Aus ist dieses Papier nun für die Schublade. Wird es nach der Bundestagswahl wieder zum Leben erweckt?

Nina Scheer: Es gab tatsächlich große Verwunderung über diesen Aufschlag, der ganz offensichtlich nicht ein Ergebnis aus praktischen Erfahrungswerten war, sondern ein Deal zwischen Akteuren, von denen die eine Seite, die FDP, die bestehende Förderung am liebsten sofort abschaffen würde und die andere Seite, SPD und auch Grüne, gerne an erfolgreichen Entwicklungen festhalten und anknüpfen würde. Ich sehe nicht, dass eine Investitinskostenförderung in der Breite die Sicherheit geben kann, die mit dem EEG zum massiven Aufwuchs der Erneuerbaren führte und aktuell, nach Jahren aufgehäufter Hemmnisse auch wieder führt. Die Funktionstauglichkeit der Maßnahmen muss stärker in den Mittelpunkt der fachlichen Auseinandersetzung, damit sich keine Ansätze Bahn brechen, die nicht geeignet sind, die Energiewende erfolgreich fortzusetzen.

SOLARZEITALTER: Die Union fordert einen Wiedereinstieg in die Kernenergie. Der Bundesfinanzminister von der FDP verlangt ein Aufschieben der Klimaziele von 2045 auf 2050. In ganz Europa wächst die Zustimmung für rechtspopulistische Parteien, die oftmals den Klimawandel gleich ganz leugnen. Wie betrachten Sie die Situation und wie bewahren Sie Ihre Zuversicht?

Nina Scheer: Der Wiedereinstieg in die Atomenergie durch die Union ist genau genommen nach wie vor ein Zickzack-Kurs. Das war schon bei den Verlängerungen 2010, der Rücknahme des Ausstiegs aus dem Ausstieg 2011 so und das wird nun fortgesetzt, indem zwar in ihrem Grundsatzprogramm so etwas steht, im Bundestag dann aber meistens doch eher nur von Moratorien der Rückbauten gesprochen wird und Friedrich Merz nun auf Kooperationen mit Frankreich umschwenkt.

Fakt ist: Die immer wieder beschworene Renaissance der Atomenergie findet so nicht statt. Die kursierenden internationalen Zahlen sind genau genommen Prognose-Zahlen, die dann korrigiert werden müssen, der Anteil der Atomenergie ist weltweit rückläufig, die Bauzeiten der Reaktoren ziehen sich bei steigenden Kosten in die Länge. Aber ja: es gibt nach wie vor Entscheidungen zum Bau neuer Reaktoren. Es ist allerdings auffällig, dass dies insbesondere in Staaten mit Atomwaffen oder Zulieferstaaten stattfindet. Will heißen: Die dortige Entscheidung für Atomenergie ist nicht energiepolitisch motiviert, sondern sichert Know How, Personal, Wissenschaft und Material, Technik zur Handhabung von Atomtechnologie. Insofern darf hier keine Energiepolitik unterstellt werden, wenn faktisch Rüstungspolitik drin steckt. Das würde zu verfehlten Schlüssen führen.

Auch systemisch betrachtet wäre es – neben der Problematik mit den Restrisiken, fehlendem Endlager und massiven Kosten – verfehlt, auf Atomenergie zu setzen: sie ist schwer regelbar und passt somit nicht zum Aufwuchs Erneuerbarer Energien. Genau hierin liegt die Gefahr: Wer weiterhin die Atomkraft beschwört, so unrealistisch ein Wiedereinstieg ist, hat die systemische Herausforderung des Umstiegs auf Erneuerbare Energien nicht verstanden und schiebt die notwendige Modernisierung zu einer neuen Energiemarktordnung auf der Grundlage Erneuerbarer Energien weiter auf. Diese beharrliche Weigerung der Realität wird zu schweren Bürde für Energiesicherheit. Denn bei inzwischen über 60 % Erneuerbaren bei der Stromversorgung müssen nun auch die Rahmenbedingungen konsequent und systemisch auf die Eigenschaften der Erneuerbaren, somit auf eine Kombination aus Erneuerbaren, Flexibilitäten und Speicher, umgestellt werden.